Infotext:
In allen drei Stücken, Gitarrenquartett, Streichquartett und Klarinettenquintett, ist die Melodie die tröstende Hand, die vielleicht dem heiligen Augustin die Oase der Ruhe war. Wie seine Wahrnehmung, erschüttert vom Aufprall mit dem Ich, wieder zurück zum Wahrnehmungsinhalt wanderte, wandern die Melodien von Machaut zu mir und vielleicht zurück – mehr melodische Masse als Zitat, mehr Parodie als Bearbeitung. Manchmal werden sie pulversiert, durch ihre Spektren geschleust, oder mit den herkömmlichen Prozeduren der Permutation – Umkehrung, Krebs, Vergrößerung, Stauchung – „abgesungen“.
Husserls Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseins beschäftigte mich seit 25 Jahren. Sein größter Irrtum war vielleicht der fruchtbarste: Der Ton ist nicht das langsamste Ding, das vergeht, seine Teile vergehen ungleich schnell. Es ist nicht nur unmöglich, eine Melodie phänomenologisch wahrzunehmen: Schon der Ton selbst ist eine Illusion. Seine Teile sind das Ganze, bis zum Regress. Mit dieser Differenz zwischen erinnerter und jetzt wahrgenommer Melodie, zwischen Melodie, Ton und den Tonspektren, eine Differenz, die nichts als eine ästhetische Gewichtung und Neigung bedeutet, ging ich auf die Suche.
Charles Uzor
Programm:
„a chantar m’er de so q’ieu no voldria …“
für Klarinette, Streichquartett und Tonband (2004-2005)
[01] 16:20 I allegro con brio
[02] 04:13 II a chantar m’er de so q’ieu no voldria …“
[03] 07:25 III capriccioso e tranquillo
Wolfgang Meyer, Klarinette
Carmina Quartett
Shakespeare’s Sonnet 65
für Streichquartett und Tonband (2001-2002)
[04] 15:36 I
[05] 03:02 II allegro con brio
[06] 04:39 III capriccioso e tranquillo
Carmina Quartett
Esther Uhland/James Aston, Sprecher
„qui ainsi me refait … veoir seulement et oïr“
für Gitarrenquartett
[07] 10:11 I
[08] 11:18 II
Gitarrenensemble quasi fantasia
gesamt: 72:54
Pressestimmen:
03/04.2010
01.2008
03.2008
05.11.2007
Charles Uzor Komponist aus Afrika
„a chantar m’er de so q’ieu no voldria“
„Shakespeare’s Sonnet 65“
„qui ainsi me refait … veoir seulement et oir“
Wolfgang Meyer, Klarinette
Esther Uhland, James Aston, Sprecher
Carmina Quartett
Gitarrenensemble quasi fantasia
NEOS 10714
„Zu fassen ist all das nicht“ – mit diesen bewundernd gemeinten Worten beschließt Wolfgang Meyer, Solist des Quintetts für Klarinette, Streichquartett und Tonband von Charles Uzor, seinen Booklet-Text zur Musik dieses hochbegabten schwarzafrikanischen Komponisten. In der Tat: nicht zu fassen, mit welcher Souveränität dieser 1961 in Nigeria geborene Künstler über verschiedenste kulturelle, historische und aktuelle Stile verfügt; wie er sie, ganz ohne dass sich Gedanken an einen wohlfeilen Eklektizismus aufdrängen müssten, zu konsistenten Werken eines eigenartigen, nicht selten ans Geheimnisvolle rührenden Tonfalls verwebt.
Verstörend und faszinierend zugleich
Uzor, der während des Biafra-Krieges als Siebenjähriger in die Schweiz gekommen war, hatte zunächst in Rom, Bern und Zürich studiert, dann an der University of London sein Konzertdiplom als Oboist und seinen Master im Fach Komposition gemacht. Schon lange fasziniert von einem Schlüsseltext der Husserl’schen Phänomenologie vollendete er nach seiner Rückkehr in die Schweiz eine Dissertation über den Konnex von Melodie und innerem Zeitbewusstsein. Das lineare Moment spielt denn in der hochvitalen Musik des Charles Uzor auch eine zentrale Rolle. So im Klarinettenquintett „a chantar m’er de so q’ieu no voldria…“ (2004 – 2005), dessen Titel („Ich werde singen, was ich nie hätte singen wollen“) auf einen Cantus der Beatrix de Dia zurückgeht, also den Minnesang einer südfranzösischen, so genannten „Trobairitz“ des Spätmittelalters. Verstörend und faszinierend zugleich die vogelschreiartigen Zuspielungen im zweiten Satz, die aus einem papuanischen Initiationsritus stammen sollen.
Klare Vision
Uzor, dessen bereits vielfältiges Oeuvre auch Theaterarbeiten, Orchesterwerke und Chormusik umfasst, arbeitet gern mit Malern, Dichtern und Choreographen zusammen. Sein Hauptinteresse gilt derzeit den kleiner besetzten Werken. Außer dem nachgerade suggestiven Klarinetten-Quintett, findet sich auf seiner jetzt beim Label NEOS erschienenen CD eine musikalische Exegese des fünfundsechzigsten Sonetts von William Shakespeare: paradox anmutender Reigen um Aspekte der Vergänglichkeit, denen doch auch das Schöne überantwortet ist. Mit klugem Engagement und klarer Vision durchmessen die vier Musiker des Carmina-Quartetts komplexe Rhythmusfelder, Glissando-Zonen und modal getönte Landschaften der Harmonie. Nicht greifbar, nicht auslotbar auch die halluzinatorischen Echoräume, die sich immer wieder auftun im zweisätzigen Gitarrenquartett „qui ainsi me refait … veoir seulement oïr“, in denen die Töne einer Ballade Guillaume de Machauts nachwehen. Im zweiten Satz scheinen Raum und Zeit zu zerfließen, denn zur „normalen Stimmung“ spielen im Sechsteltonverhältnis umgestimmte Instrumente Klänge, welche letzte Sicherheiten wanken machen. Man möge hören und sehen … zu fassen ist all das nicht.
Helmut Rohm
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