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DIE »PIANISTENSTIMME« Spielt ein Pianist anders, wenn er gleichzeitig Komponist ist? Ja, sagt Gilead Mishory, seit er komponiere, habe sich seine Sichtweise auf das Klavierspiel verändert. Komponieren – das ist vor allem eine Kunst der Übersetzung, nämlich das, was der Komponist innerlich hört, so in Noten zu übersetzen, dass das Ergebnis dem entspricht, was er sich vorgestellt hat. Interpretation – also, im weitesten Sinne »Übersetzung« – ist für Mishory der umgekehrte Vorgang: das Wiederfinden der Klangvorstellung in der Schrift des Anderen. Mit Werken für Klavier hat Gilead Mishory 1994 als Komponist begonnen. Aber zum Klavier trat schon bald die Stimme hinzu, zunächst die eigene des Pianisten im Melodram Den Mond begraben von 1997. Bald danach, ebenfalls nach Texten des jiddischen Dichters Abraham Sutzkever, schrieb Gilead Mishory seinen einstündigen Zyklus Lider-Togbuch, wieder »für Klavier und Pianistenstimme«. Musik und Sprache gehören für Gilead Mishory zusammen, wie in den Fluchtstücken für Klavier solo nach dem Roman von Anne Michaels. 2005 wurden sie zum 60. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs beim SWR in Baden-Baden uraufgeführt. Zusammen mit den beiden Psalmen für Streichquartett sowie für Violoncello und Klavier sind sie 2011 bei NEOS auf CD erschienen ( NEOS 11022 ). Ob mit biblischen Stoffen, Vergil, Gogol oder Celan – stetig hat sich Gilead Mishory mit dem Verhältnis von Sprache und Musik auseinandergesetzt, wie in dem groß angelegten Zyklus der Hebräischen Balladen nach Else Lasker-Schüler für Sopran und Klavier (»ab und zu mit Pianistenstimme«), dem Wasserpsalm für Kammerchor oder der Chagall-Vertonung Mein fernes Heim für Tenor und Orchester von 2007. Kein Wunder, dass am Ende dieser Entwicklung eine Oper steht, Isaaks Jugend für acht Solisten und Kammerorchester von 2010. Von 2006 stammt das Klavierstück mit dem Titel Cloches de joie et l’armes de rire (»Freudenglocken und Lachtränen«) – als wär’s ein weiteres Prélude von Messiaen, oder eben von Claude Debussy… Die Titel seiner Préludes wie …Danseuses de Delphes oder …Brouillards hat Debussy fast im Verborgenen belassen, indem er sie ganz klein mit drei Punkten ans Ende jedes Stückes setzte, als ob der Spieler erst im Nachhinein erfahren soll, was das Stück wohl bedeuten könnte. Vielleicht auch, um sich nicht auf Abwege führen und zu sogenannten »Freiheiten« verführen zu lassen, wie Gilead Mishory fast warnend sagt. Für ihn als Interpret ist gerade bei Debussy Disziplin das oberste Gebot. Sie vor lauter Farbrausch zu verlieren, ist eine wohlbekannte Gefahr. Also steht am Anfang der Blick auf die Gesamtstruktur mit all den Fragen zwischen Wichtigem und Unwichtigem, Ganzem und Detail, Konstruktivität und Nuance, Farbe und Klang, Tempo und Linie. Das schwierigste Stück des Zyklus’ im Hinblick auf das Verhältnis von Tempo und Linie ist für Mishory das Prélude …Des pas sur la neige (»Schritte im Schnee«) aus dem ersten Band. Wo gehört ein Rubato hin, wo nicht? Wie entsteht durch Pulsierung Zusammenhang? Und vor allem: die rhythmische Struktur. Sie darf am allerwenigsten »vernebelt« werden, gerade im Prélude …Brouillards zur Eröffnung des zweiten Bandes. »Impressionismus« – falsch verstanden – kann leicht zur Karikatur werden. Mishory macht keinen Unterschied zwischen einer Beethoven-Sonate und den Préludes von Debussy, denn beide Komponisten sind ähnlich präzise in der Notierung der Musik und ihrer Spielanweisungen. Wie der Schriftsteller vor dem weißen Blatt Papier muss sich Mishory fühlen, wenn er die Erarbeitung der Préludes mit den Worten beschreibt: »Ich setze mich hin und beginne mit der ersten Note«. Alle interpretatorischen Entscheidungen dienen Gilead Mishory einer »erlebten Realität«. Und da sind wir wieder bei der Sprache. Denn der Pianist hat von den einzelnen Préludes eine derart plastische Vorstellung, dass man sie eigentlich nach seinen Worten unmittelbar malen könnte. Und er entdeckte auch manche »genetische Ähnlichkeit«, etwa zwischen den Préludes …La fille aux cheveux de lin (»Das Mädchen mit dem Flachshaar«) aus dem ersten und …Bruyères (»Heidekraut«) aus dem zweiten Band mit ihren ähnlichen Klangprozessen und einer gemeinsamen Assoziation an die Schäferwelt. Jedes einzelne Prélude bedeutet Mishory eine ganze Welt. Er betrachtet es wie in einem Kaleidoskop, schüttelt seine klanglichen, rhythmischen und emotionalen Schichten durcheinander, bis er die »Versunkene Kathedrale« (…La cathédrale engloutie) sogar auf dem Kopf vor sich sieht. Er liebt Debussys scharfe Gegensätzlichkeit und seine fast groteske Zeichnung der männlichen Protagonisten (…General Lavine (excentric), …Hommage à S. Pickwick Esq. P.P.M.P.C) und zugleich seine warme, leise, diskrete Klangsprache in den Landschaftsbildern und den feenhaften Frauenporträts. Und er bewundert Debussys Fähigkeit, binnen einer Minute eine Bühne aufzubauen, wie in dem spanisch inspirierten Prélude …La sérénade interrompue (»Die gestörte Serenade«), ein Stück, das für Mishory vor allem mit menschlicher Schwäche zu tun hat. Und schon erzählt er, wie ein Ritter seine Gitarre stimmt und unter dem Balkon der Angebeteten zu singen beginnt, und wie genervt diese Donna ist: statt eines Lächelns wirft sie einen Blumentopf hinunter, und wie plötzlich – in einer fremden Tonart – von einer anderen Straße ein weiterer Verehrer mit einer Serenade naht… um voller Mitleid zu schließen: »Der Ritter ist arm dran«. Dass es in Debussys Préludes immer auch um Menschen geht, wie sie sehen, hören, riechen, schmecken, lieben, tanzen, gehen und schließlich ein grandioses Feuerwerk inszenieren, das vermittelt die Aufnahme von Gilead Mishory in jedem Ton. Mehr noch: Mishory gibt den imaginären Protagonisten in Debussys Zyklus eine Stimme, er bringt sie zum Sprechen, zum Erzählen ihrer Geschichten. Damit werden sie selbst zu Gilead Mishorys »Pianistenstimme«. Lotte Thaler |
Programm:
CD 1 Premier livre [01] I …Danseuses de Delphes 02:48 total time: 42:20
CD 2 [01] I …Brouillards 03:09 total time: 41:35
Gilead Mishory piano Klassikinfo.de – Die CD der Woche Klaus Kalchschmid |
Pressestimmen:
06.02.2015 Nunmehr 100 Jahre sind vergangen, seit auch das zweite Buch der eminenten Préludes von Claude Debussy erstmals zur Aufführung gebracht wurde. Gilead Mishory zelebriert dieses Jubiläum mit einer Einspielung, die einer würdevollen Hommage gleichkommt. Ein lebendiges Geschehen Angenehme Gelassenheit Silvan Habenicht
Klassikinfo.de Klaus Kalchschmid
Intimes tête-à-tête
Gilead Mishory’s account of Debussy’s Preludes is very intimate and pure. With an uncompromising attention to detail in terms of color, articulation, phrasing, tempo and dynamics the pianist is very close to Debussy’s idea of a quite sensual but never sentimental or suave tête-à-tête. Der 1960 in Jerusalem geborene Pianist Gilead Mishory, der früher bei Tudor aufgenommen hat, bringt jetzt bei Neos seine zweite Produktion heraus – nach einer mit eigenen Werken – und erweist sich darin als erstrangiger Debussy-Interpret. Debussys zwei Hefte mit ‘Préludes’ sind keine Programmmusik und sie haben auch nichts Zyklisches. Jedes Stück steht für sich, und die Untertitel, die der Komponist den 24 Miniaturen gab, sollen bestenfalls dem Hörer helfen, sich etwas unter der Musik vorzustellen, so wie er sich etwas unter einzelnen Bildern oder Gedichtversen vorstellte, die er wohl nicht vertonte, die ihn aber inspirierten. Die ‘Préludes’ bestehen, wie er selber sagte, « aus Farbe und rhythmisierter Zeit ». So gesehen sind sie oft nur ein Nachhall seiner Impressionen. Das wird in Gilead Mishorys Interpretationen sehr deutlich, die gerade das ‘Nach-Denkliche’ betonen, ohne dass die Musik je stehen bliebe. Dazu sind seine Rubatokunst, sein Sinn für belebende Rhythmik auch im langsamsten Stück und sein Farbenspiel viel zu ausgeklügelt – ohne je intellektualistisch zu wirken. Aber Mishory war sich gewiss auch der Gefahr bewusst, dass die ‘Préludes’ anekdotisch werden können, wenn der Interpret nicht eine gewisse Distanz dazu aufbaut und sie folglich eher schlicht als mit festen Pinselstrichen malt. Mit viel Liebe zum Detail in der Färbung, der Artikulation, der Phrasierung, den Tempi und der Dynamik werden bei ihm diese Stücke genau das, was Debussy beabsichtigte, ein intimes ‘Tête-à tête’ zwischen ihm und dem Pianisten.
http://www.br.de/radio/br-klassik/sendungen/leporello/cd-tipp-debussy-preludes-mishory100.html
„La fille aux cheveux de lin“ … „Das Mädchen mit dem Haar von Linnen“ – gewiss eines der bekanntesten Préludes aus Claude Debussys epochaler Sammlung und trotz seiner schlichten Faktur weit mehr als ein musikalisches Genrebildchen. Einfühlsam, jedoch ohne falsches Sentiment dargeboten, entfaltet die Musik einen Geschehensraum der Schwerelosigkeit; die Ahnung von einer im zeitlosen aufgehobenen Zeit.
Gilead Mishory, selbst ein Komponist von beachtlichem Metier, ob der Klangkultur und Akkuratesse seines Spiels vor allem aber ein international herausragender Pianist, besticht in seiner jüngst vorgelegten Gesamtdarstellung des Debussy’schen Kompendiums auf ganzer Linie. Welche Welt das einzelne Prélude auch eröffnet – und hörbar kommt für Mishory jedem der Stücke eine eigene Welthaftigkeit zu – sie entfaltet eine inneren Weite sondergleichen. Dabei fungieren die Titel der Stücke, die Debussy jeweils quasi en passant an ihrem Ende und in Klammern mitgeteilt hat, wie der Nachhall entweder einer zarten Impression oder berstend sich bäumender Eruptionen.
Durchdachte und kontrollierte Rubati
„Ce qu’a vu le vent d’0uest“ – aus den hochvirtuosen Kaskaden dessen, was der Westwind sah. Gilead Mishory, geboren 1960 in Jerusalem, hat u.a. in München bei Gerhard Oppitz studiert. Er unterrichtet an der Freiburger Musikhochschule, gibt weltweit Meisterkurse und pflegt ein umfangreiches Repertoire. Was seine Deutung der Préludes von Debussy so kostbar macht, hat zu tun mit einem besonderen Gespür für Balance. Das Vermögen dieses Pianisten, changierende Klangfarben erblühen zu lassen, sie gleichsam synästhetisch umzuwandeln und aufzulösen in ahndungsvolle Düfte, geht nicht auf Kosten einer klaren Zeichnung der kompositorischen Texturen. Mishory versteht es, noch dem winzigsten rhythmischen Detail Leben einzuhauchen, – stets jedoch nach Maßgabe von dessen Bedeutung im übergeordneten Atemvorgang der Musik. Alle Rubati sind durchdacht und wohl kontrolliert – nie schlampig oder von falscher Gefühligkeit getragen. In einer Musik, der höchst kunstvoll inszenierte Auflösungstendenzen eingeschrieben sind (sowohl der individuellen Miniatur, als auch den großen Bögen des Doppel-Opus), wahren sangliche Konturen und dynamisch stabilisierende Kraftlinien eine wunderbare Equilibristik. Gravitation des Mondes: der Ausklang von „… La terrasse des audiances du clair de lune“.
Helmut Rohm
http://www.mdr.de/mdr-figaro/musik/take-five490.html
Wie vor ihm Frédéric Chopin, so schrieb auch Claude Debussy einen Zyklus von 24 Préludes: Kompositionen, in denen sich die kontemplative Haltung des Impressionismus spiegelte. Da stand das sonnendurchflutete Bild der Hügel von Anacapri neben dem eines tanzenden Kobolds oder einer versunkenen Kathedrale; da ließ Debussy das Mondlicht über die imaginäre Terrasse seines Publikums wandern; er trieb ein übermütiges Spiel mit Terzintervallen oder malte sich aus, wie sich Töne und Düfte in der Luft drehten. Eine von Einfällen nur so überfließende Sammlung, die der israelische Pianist, Komponist und Wahl-Breisgauer Gilead Mishory auf seiner neuen CD interpretiert. Mishory ging es erklärtermaßen darum, die Musik nicht im nebulösen Impressionismus-Klischee versinken zu lassen. Er spielt mit rhythmischer Präzision, kann gerade hierdurch kleine Überraschungen einbauen; er verdeutlicht die Strukturen der Musik, ohne ins Kühl-Analytische zu verfallen. Aus einem Flügel, der im Forte klanglich durchaus harte Seiten zu bieten hat, holt Gilead Mishory auch die weichen Facetten heraus; mit seinem delikaten Anschlag weiß er gerade die leisen Préludes so eindringlich zu spielen, daß diese 84 Minuten in keinem Moment langweilig werden. |
Auszeichnungen & Erwähnungen:
Klassikinfo.de – Die CD der Woche Der Komponist und Pianist Gilead Mishory hat sich immer wieder mit den 24 Préludes von Claude Debussy beschäftigt. So ist die Doppel-CD, die beim Label NEOS in Koproduktion mit dem SWR erschien – das Label veröffentlichte auch schon Kompositionen von ihm – bereits seine dritte (die ersten beiden CDs entstanden ebenfalls für Rundfunkanstalten). Sie bietet ein Höchstmaß an Farbenspiel und Durchleuchtung der harmonischen Strukturen dieser so verschiedenen Stücke bei gleichzeitig präziser Charakteristik und größter rhythmischer Genauigkeit. Da ist oft die Kenntnis der vom Komponisten bewusst ans Ende der Stücke gesetzten Titel gar nicht mehr nötig. Eine Referenzaufnahme! Klaus Kalchschmid |