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DOMENICO SCARLATTI UND DIE NEUZEIT DES CEMBALOS Domenico Scarlatti darf man gewiss in einer Sache als singulären Fall der Musikgeschichte betrachten: in der Gliederung seines Gesamtschaffens in eine erste Periode der Vokalkompositionen, Opern und Oratorien (alle in Italien entstanden) und in eine zweite Periode der Werke für Cembalo, komponiert ab ca. 1738, dem Jahr der Veröffentlichung der 30 Esercizi auf der iberischen Halbinsel. Dass Scarlatti im Dienste von Maria Bárbara von Portugal stand, ist bekannt. Dass er sicherlich schon davor ein wahrer Cembalovirtuose gewesen sein muss, lässt sich mit Sicherheit sagen, denn der Satz seiner Cembalokompositionen (allesamt als Sonaten bezeichnet) zeugt vom untrüglichen Gespür für die Besonderheiten des Instrumentes. Jemand, der so idiomatisch für das Cembalo schrieb, muss es selbst als Spieler beherrscht haben, mit Sicherheit schon in jungen Jahren. Entsprechende Äußerungen seiner Zeitgenossen über sein Cembalo-Spiel sind ebenfalls erhalten. Dass er allerdings erst in der zweiten Phase seines Lebens begann, für dieses Instrument zu komponieren, lässt uns etwas ratlos. Gewiss, Maria Bárbara verlangte womöglich nach immer mehr Stücken – und Scarlatti lieferte. Dies mag auch seine Phantasie zu immer neuen Ideen angespornt haben, aber dass er sich in Italien »seinem« Instrument nicht zuwenden wollte, bleibt befremdlich. 555 Sonaten sind laut Kirkpatrick-Verzeichnis der kompositorische Nachlass Scarlattis für das Cembalo. Wer schon einmal vor der Wahl nach einem, zwei oder drei Stücken aus diesem riesigen Kompendium stand, kennt die Schwierigkeit, sich für das eine oder andere entscheiden zu müssen. Denn die Ideenfülle, Spielfreudigkeit, Virtuosität, das herbe spanische Idiom oder die Sanglichkeit machen es dem Spieler nicht leicht, eine Entscheidung für bestimmte Stücke treffen zu müssen. Scarlatti macht immer Lust auf mehr! Die vier Komponisten aus dem 20. und 21. Jahrhundert, die sich Domenico Scarlatti in diesem Programm dazugesellen, könnten untereinander nicht unterschiedlicher sein: Richard Strauss als Post-Romantiker, Isang Yun mit seiner faszinierenden klanglichen Herbheit, Jukka Tiensuu als ein moderner Scarlatti-Antipode in seinen beiden Eigenschaften als Cembalist und Komponist zugleich und schließlich Minas Borboudakis, dessen energetische Rhythmik für das Cembalo wie geschaffen zu sein scheint. Diesen vier Komponisten dienen Scarlatti-Sonaten als Brücken zueinander, ähnlich der Promenaden-Sätze in Mussorgskys Bilder einer Ausstellung. Die beiden Sonaten in F-Dur K 205 und 296 bilden in dieser Kombination zwei kontrastierende Elemente, wie sie Isang Yun in seinem 1966 komponierten Stück Shao Yang Yin vorsieht: »Shao Yang Yin, der chinesische Titel der Komposition, legt nahe, an die großen, einander ergänzenden Gegensätze (›Yang Yin‹) der taoistischen Lehre zu denken. Der Zusatz ›Shao‹ (= klein, leicht) macht jedoch deutlich, dass hier die Gegensätze des Alltags (Stimmungen, Zustände, Zeitabläufe) ins Musikalische übertragen werden«, so der Komponist im Vorwort der Erstausgabe. Wie so viele andere Werke des 20. Jahrhunderts wurde auch dieses als Auftragskomposition für die Schweizer Mäzenin und Cembalistin Antoinette Vischer geschrieben. Im Vorfeld seiner Arbeit schrieb Yun an Vischer: »Ich kenne […] das Instrument zu wenig« (siehe Vorwort von Edith Picht-Axenfeld / Walter-Wolfgang Sparrer zur Neuausgabe). Das scheint auch gut zu sein, denn Yun verzichtet vollends auf die im 20. Jahrhundert häufig zu findende Behandlung des Instrumentes als rhythmisch markantes aber gleichförmig-glattes Instrument. Was scheinbar »gegen« die Natur des Instrumentes ist, nämlich das Fehlen rhythmischer Stringenz, entpuppt sich als faszinierender Glücksfall: Die Musik löst sich von den kompositorischen Vorgängern, insbesondere von denen des 20. Jahrhunderts, verzichtet auf alles »Neo-Barocke« und gewinnt dadurch an Eigenständigkeit. Die galante Seite von Richard Strauss findet sich vielfach in seinem Werk: im Rosenkavalier, im Don Quixote, in der Burleske und im Don Juan, um nur wenige Beispiele zu nennen. Daher überrascht es kaum, dass er im Jahr 1923 eine Tanzsuite nach Klavierstücken von Couperin für Orchester anfertigte, einer Musik, die sicherlich dem galanten Wesenszug seiner eigenen entsprach. François Couperin selbst war seinerzeit vielleicht der angesehenste Meister des Cembalos in Frankreich – zu einer Zeit, als Scarlatti im europäischen Süden ähnlichen Ruf genoss. Die Sonate K 114 zeichnet sich durch besondere Extravaganz und Innovationsfreude aus und gehört sicherlich zu Scarlattis kühnsten Werken. Strauss’ Suite war ursprünglich nicht als Solostück für das Cembalo gedacht: Die drei Tänze, Passepied, Gigue und Tempo di Gavotta, sind in der Besetzung Violine, Violoncello und Cembalo als Bühnenmusik für die Oper Capriccio vorgesehen. Der Cembalistin der Wiener Premiere der Oper, Isolde Ahlgrimm, empfahl Strauss, diese drei Tänze in ihrer Reihe »Concerte für Kenner und Liebhaber« aufzuführen. Ahlgrimm sagte dem Komponisten, sie spiele keine Kammermusik, worauf er ihr antwortete, dass sie es auch alleine hinbekäme, die Suite zu spielen. Auf ihre Bemerkung hin, diese habe keinen richtigen Schluss, sicherte ihr Strauss zu, einen dafür zu schreiben (siehe Dr. Rudolf Scholz, Vorwort zur Ausgabe, Schott Verlag). So verdanken wir Isolde Ahlgrimm die Transkription für Cembalo solo der Tänze, während die Schlusskadenz von Richard Strauss original für diese Version komponiert wurde. Jukka Tiensuu vereint in seinen Etüden Witz und die profunde Kenntnis des Cembalos aus dem Instrument heraus. Letzteres verwundert kaum, ist doch Tiensuu selbst ein fabelhafter Cembalist, der die schwierigsten Werke der Literatur (Xenakis, Sciarrino) unnachahmlich meistert. In den Etüden verzichtet er auf die unterschiedliche Stimmung der Register, wie er sie beispielsweise in seinem Fantango vorschreibt. Den Chopin-Etüden ähnlich, setzt sich jedes der Stücke mit einem bestimmten technischen Problem auseinander. Die Ähnlichkeit der Titel und die Reihenfolge schnell–langsam–schnell schaffen den dramaturgischen Rahmen. Die Lokomotive in train braust ungebremst und doch etwas pathetisch ob des eigenen »Schicksals« in Richtung Ziel. Eine scharfe Bremsung bringt sie gerade noch zum Stillstand, bevor sie über das Ziel hinausschießen kann. grain (Körner) ist, man hört es vielleicht kaum, das komplexeste der drei Stücke. Es ist ein aus mehreren, rhythmisch ganz unterschiedlichen Segmenten zusammengesetztes Gebilde. Einzelne Tonrepetitionen bzw. Tonkombinationen erklingen immer im selben rhythmischen Motiv. Die an den Spieler gestellten Anforderungen an unabhängiger Stimmführung suchen dabei ihresgleichen. drain schließlich ist eine Tour-de-Force-Etüde, an der auch Scarlatti gewiss seine Freude gehabt hätte. Extrem schnell zu spielende Tonkaskaden, unterbrochen durch kurze tonrepetitive und akkordische Passagen, bauen sich zu Klangballungen auf oder huschen über die gesamte Klaviatur. Welch eine Erlösung für den Spieler, wenn nach knapp zwei Minuten die drei tiefen H’ erreicht werden! Die den Etüden Tiensuus vorangestellten Sonaten K 516 und 517 sind ein typisches Beispiel für Scarlattis Koppelung zweier Stücke der gleichen Tonart in der Reihenfolge langsam–schnell. Wie alle Stücke des Spätwerkes kennzeichnen sie sich durch extreme Reduktion und Konzentration der Mittel. Ganz anders gehalten ist die Sonate in c-moll K 115. Nicht nur die üppigen dissonanten Akkorde sind für diese Schaffensperiode charakteristisch, das spanische Idiom tritt besonders deutlich zutage. Daher war es nur logisch, ein solches Stück der Hommage à Picasso, die Minas Borboudakis 2003 für mich geschrieben hat, voranzustellen. Borboudakis wurde für sein Stück vom Gemälde »Guernica« inspiriert. Die baskische Stadt Guernica wurde 1937 von der deutschen und der italienischen Luftwaffe vollständig zerstört. Picasso schuf daraufhin ein komplexes und riesiges Bild. Dass darin der für den Maler wichtige Stier bzw. Minotaurus vorkommt, dürfte für Borboudakis nicht ohne Belang sein: Der von der Insel Kreta stammende Komponist lässt griechisches antikes Gedankengut und das Erbe minoischer Kultur vielfach in sein Werk einfließen. Minotaurus, ein Wesen halb Stier, halb Mensch, steht zwar für Grausamkeit, und doch trägt es selbst keine Schuld daran, erschaffen worden zu sein. Es ist Brutalität, von Menschen erzeugt, und konnte, der Sage nach, allein durch Menschenhand wieder gut gemacht werden. Brutal und unnachgiebig ist auch die Musik Borboudakis’ in diesem Fall. Die Stringenz der Rhythmik ist dabei dem Instrument auf den Leib geschrieben. Rastlos irrt die Musik umher, gefangen in ihrer Ausweglosigkeit. Die kurzen lyrischen Momente des Mittelteiles wollen keine Schönheit erzeugen, sie sind von Angst geprägt. Am Ende des Stückes soll das Cembalo, elektronisch verstärkt, zu einer Steigerung der Lautstärke ad absurdum gebracht werden. Andreas Skouras Programm:
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