Elliott Carter, Nicolaus A. Huber, Mauricio Kagel, Younghi Pagh-Paan, Peter Eötvös, Iannis Xenakis, Toshio Hosokawa: Isao Nakamura plays Works for Solo Percussion

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Artikelnummer: NEOS 10819 Kategorie:
Veröffentlicht am: März 30, 2018

Infotext:

ISAO NAKAMURA SPIELT WERKE FÜR SCHLAGZEUG SOLO

Die hier ausgewählten Stücke verbinden einige Gemeinsamkeiten:
1. Es kommen nicht Melodieinstrumente zum Tragen, die traditionell das virtuose Schlagzeug beherrschen (Marimba, Xylophon, Vibraphon…), sondern – bis auf die Pauken – eher die geräuschhaften.
2. Keiner der Komponisten unterwarf sich den Dogmen des strengen Serialismus.
3. Die meisten Kompositionen vertreten auch eine zumindest kulturpolitische Botschaft.

Elliott Carter
Saëta
 und Improvisation (aus Eight Pieces for Four Timpani)

Zunächst als reine Kompositionsstudien entstanden 1949 / 50 unveröffentlicht die Six Pieces for Kettledrums, darunter die beiden hier eingespielten Stücke Saëta und Improvisation. Carter reizte, aus äußerst limitiertem Ausgangsmaterial – bei vier Pauken nur ebenso viele fixierte Tonhöhen und maximal Zweistimmigkeit – eine möglichst hohe Bandbreite an Ausdrucksmöglichkeiten zu entfalten, mit Fokus natürlich auf dem Rhythmischen. Hier verfeinerte er die sogenannte »metrische Modulation«: Diese Technik sollte für seine hochkomplexe, dann immer gleichzeitig auf verschiedenen Zeitschichten ablaufende Musik wegweisend werden. Sie ermöglicht, kontrolliert – auf Notations- wie Ausführungsebene – aufeinander bezogene, aber dennoch unabhängige sukzessive Geschwindigkeitsveränderungen. 1966 revidierte Carter mit Hilfe des Schlagzeugers Jan Williams die Sammlung, widmete ihm zwei neue Stücke für Pedalpauken, und gab so das Set, dessen Stücke vorher nur als Manuskripte kursierten, in Druck. In einem Programm sollen ausdrücklich höchstens vier der acht Stücke gespielt werden.

I. Saëta: Der Titel geht auf eine Art improvisiertes, andalusisches Lied zurück, bei dem während eines zu einer österlichen Prozession transformierten Regenrituals ein Pfeil (saëta) in die Wolken geschossen wurde.
V. Improvisation: Eine Studie über Tempomodulation, basierend auf Überschneidung von sich beschleunigendem und sich verlangsamendem Material. Wie auch bei Saëta wird hier übrigens nichts improvisiert!
(Aus Carters Anmerkungen zu den Werken)

Nicolaus A. Huber
dasselbe ist nicht dasselbe

Der Passauer Komponist Nicolaus A. Huber hat sich intensiv mit marxistischer Dialektik befasst und in den 1970er-Jahren daraus u. a. seine »konzeptionelle Rhythmuskomposition« entwickelt. Ein Mittel dabei ist die Verfremdung: So werden Tonhöhen- oft wie Rhythmusinstrumente behandelt, was beim vorliegenden Stück natürlich entfällt. »An die Stelle dieses inneren Kontrastes tritt die Spannung des verschiedenen Gebrauchs der Trommel zu relativ vielen gleichbleibenden Behandlungselementen. […] Die kleine Trommel ist innerhalb einer alten und vielschichtigen Trommelkultur zu sehen. Verschiedene Seiten des Reichtums dieser Kultur, sowohl gesellschaftlichen Gebrauch als auch Vielfalt von Spieltechnik und Ausdruck betreffend, sind kompositionstechnische Grundlage. Dies jedoch nicht in bloß zitierender Art und Weise – das wäre ungeschichtlich –, sondern im Gegenteil: Das Fortschrittliche, soweit ich es in unseren gesellschaftlichen Verhältnissen sehe, ist voll und ganz auffindbar, denn ›dasselbe ist nicht dasselbe‹« (N. A. Huber). Die Verfremdung wird also »in die verschiedensten – von tänzerischen bis zu militärischen – semantischen Konnotationen der kleinen Trommel« verlegt (Frank Sielecki). »Diverse Sorten Schlegel, Handflächen, Finger und Fingernägel werden beim Spiel eingesetzt, zusätzlich muss der Interpret auch pfeifen« (Isao Nakamura).

Mauricio Kagel
Solo
 (aus Exotica)

Exotica ist für sechs Musiker und einen Dirigenten konzipiert. Jeder Spieler verwendet mindestens zehn verschiedene, frei wählbare, außereuropäische Instrumente, deren authentische Spielweise er nur bedingt beherrscht. Die Instrumentalparts sind ohne Tonhöhen notiert. Gleichzeitig müssen die Spieler einen Gesangspart, in relativer Tonhöhe notiert, darbieten. Dessen Text kann man »entweder frei improvisieren oder während der Proben festlegen. Der Tendenz des Stückes entsprechend wäre es angebracht, die Artikulation in Nachahmung außereuropäischer Sprachen vorzunehmen« (Mauricio Kagel). Eine gewisse Situationskomik, aber auch die Tendenz zur Karikatur sind somit vorprogrammiert. Von den Abschnitten A–E des Werkes beinhaltet D sieben Soli, die auch – einzeln oder simultan – unter dem Titel Exotica: Soli aufgeführt werden können. Isao Nakamura spielt daraus Abschnitt D5.

Younghi Pagh-Paan
Ta-Ryong IV

1991 bat man die seit langem in Deutschland beheimatete koreanische Komponistin um einen Beitrag zum Grazer Symposium »Wiederaneignung und Neubestimmung – Der Fall ›Postmoderne‹ in der Musik«, wo diese Diskussion geradezu ad absurdum geführt wurde. Stattdessen entstand das Solostück Ta-Ryong IV. »Es entspringt im Grunde einem neokolonialistischen Verhalten, wenn der Musiker glaubt, alles, was die Welt und die Geschichte hervorgebracht haben, stehe einfach zu seiner persönlichen Verfügung, er könne sich frei bedienen. Ohne Respekt vor kulturellen Identitäten führt es […] zu einem neuen, umfassenden kulturellen Machtanspruch: ›We take it over‹. […] In meinem kleinen Stück habe ich versucht, einige archaische rhythmische Elemente unserer koreanischen Volksmusik ganz nah an mich zu nehmen – auch schamanische Rituale haben für uns Bedeutung […] und diese differenzierten Wirklichkeiten in einer aufgeklärten Weise weiterzuentwickeln« (Younghi Pagh-Paan).

Peter Eötvös
Thunder
 (aus Triangel)

1993 komponierte Peter Eötvös das 10-sätzige Aktions-Stück Triangel »…für einen kreativen Schlagzeuger und 27 Instrumente«, das dem Solisten reichlich Raum für freie Improvisation bietet, aber auch vom viergeteilten Ensemble sowohl festgelegte wie spontane Reaktionen erwartet: Hier mag unter anderem der Jazz als Vorbild gedient haben, ebenso aber Kadenztechniken, die im Solo-Konzert früher ganz selbstverständlich waren. Der 6. Satz, Halbfinale, enthält eine Kadenz für eine Bass-Pedalpauke. Darauf und auf anderem Solo-Material aus Triangel basiert Thunder – speziell auf die Fähigkeit der Pedalpauke, Tonhöhen bis zum Umfang einer Oktave schnell und präzise verändern zu können, zugeschnitten. »Der Titel sagt alles. Während im Sinfonieorchester zwischen zwei und zehn Pauken eingesetzt werden, liegt das Besondere dieses Stückes eben darin, dass hier nur auf einer einzigen Pedalpauke gespielt wird – und endlich hat die Pauke eine Chance, sich als Soloinstrument auszuzeichnen« (Peter Eötvös).

Iannis Xenakis
Rebonds

Das Wort »rebond« bedeutet »Rückprall«. Das Stück besteht aus einem A- und einem B-Teil, die aufeinanderfolgend, aber in frei gewählter Reihenfolge gespielt werden sollen. Der A-Teil verwendet sieben Trommeln, also nur Haut- / Fellinstrumente. Im B-Teil werden fünf Haut-Instrumente und fünf Woodblocks verlangt. Dieser Trennung nach Materialien begegnete man bereits im Ensemblestück Pleïades (1978). Wie immer beruht Xenakis’ Komposition auf komplizierten mathematischen Konzepten – hier spielt u. a. der Goldene Schnitt eine Rolle –, die dann eine eigentümliche, archaische Klangwelt evozieren. Isao Nakamura erinnert dies an antike Bauwerke. Die Virtuosität von Rebonds geht dabei an die Grenze des Machbaren und hat das Werk mittlerweile zum gefürchteten Pflichtstück bei Wettbewerben gemacht.

Toshio Hosokawa
Sen VI

»Sen, das im Japanischen normalerweise Linie bedeutet, steht hier für Pinselstriche in fernöstlicher Kalligraphie und der Tuschmalerei Indiens. […] Pinselstriche beziehen ihre Ausdruckskraft aus der Leere im Hintergrund. Der Kalligraph schafft notwendigerweise mit seinen Pinselstrichen eine Balance zu dieser Leere. Der leere Raum deutet eine Welt an, die nicht gezeichnet werden kann und unsichtbar bleibt, deren Töne unser Ohr nicht erreichen. Er verweist auf ein Reich des Irrealen und der Träume, auf das Unbewusste, welches das unbegrenzte Potential im Menschen birgt. Der leere Raum ist verborgener Schoß natürlicher Energien, der unsere tiefsten Möglichkeiten verheimlicht« (Toshio Hosokawa). Entsprechend enthält die Partitur vor allem Stille und als Vorbereitung zu den spärlichen Klangereignissen genaue, gestische Anweisungen, gewissermaßen Vergrößerungen der oben genannten Pinselstriche.

Martin Blaumeiser

Programm:

Isao Nakamura plays Works for Solo Percussion


Elliott Carter
 (1908–2012)
[01] I. Saëta (1949) 04:18
[02] V. Improvisation (1949) 02:57
from Eight Pieces for Four Timpani (One Player)


Nicolaus A. Huber
 (*1939)
[03] dasselbe ist nicht dasselbe for snare drum (1978) 15:09


Mauricio Kagel
 (1931–2008)
[04] Solo (here: voice and tambourine) from Exotica (1971/1972) 03:49


Younghi Pagh-Paan (*
1945)
[05] Ta-Ryong IV (Die Kehrseite der Postmoderne) 03:59
for solo percussion (1991)
Dedicated to Isao Nakamura


Peter Eötvös (*1944)
[06] Thunder for solo bass timpani 05:30
from Triangel (Original version, 1993)
Dedicated to Isao Nakamura

Iannis Xenakis (1922–2001)
Rebonds for solo percussion (1987–1989) 13:55
[07] Rebonds A 07:50
[08] Rebonds B 06:05

Toshio Hosokawa (*1955)
[09] Sen VI for solo percussion (1993) 09:43
Dedicated to Isao Nakamura

Pressestimmen:

In der Novemberausgabe 2018 beschäftigt sich Manfred Karallus unter dem Titel „Was heißt eigentümlich?“ mit vier Neueditionen von NEOS.

(…) Schier umwerfend an dieser Schlagzeug-CD ist indes der Schlagzeuger selbst. Isao Nakamura, Neue-Musik-Enthusiasten seit einem Vierteljahrhundert als – ich wage zu sagen: weltbester Perkussionist bekannt, kann auf seinen Instrumenten natürlich alles, aber eben auch das Schwerste in Perfektion – nehmen wir die Kleine Trommel, dann den zum sauberen, homogenen Wirbel beschleunigten Einzelschlag mit anschließender Rückführung zum Tak-tak-tak – exemplarisch vorgeführt in Nicolaus A. Hubers Schlagzeugklassiker „dasselbe ist nicht dasselbe“. (…)

Lesen Sie hier den vollständigen Artikel von Manfred Karallus.

 

5 #_2018

Isao Nakamura ist ein Urgestein avancierter Perkussion und muss nicht mit reißerischen Show-Programmen auf sich aufmerksam machen. (…)  [Er] hat auf seiner neuen CD Werke eingespielt, die sich auf wenige oder eine einzige Klangquelle beschränken und dabei virtuose Melodieinstrumente konsequent meiden. Keine Marimba weit und breit … Stattdessen ein Programm, das strukturelle Aspekte ebenso in den Vordergrund rückt wie die Unmittelbarkeit des Schlags und dabei Überraschungen genauso enthält wie Klassiker des Genres. (…) Doch die eindrucksvollsten Beiträge dieser Zusammenstellung stammen von Peter Eötvös und Iannis Xenakis, wo Nakamura die rituellen Aspekte seines Metiers konsequent ausleben darf: Xenakis‘ Klassiker Rebonds hat man lange nicht so gut, präzise und gleichzeitig locker gehört, vor allem die vertrackte Polyrhythmik wird von Nakamura mit beeindruckender Lässigkeit ausformuliert. Peter Eötvös‘ Thunder, ein kleiner Ausschnitt aus dem zehnsätzigen Triangel für kreativen Schlagzeuger und 27 Instrumente (1993), entfacht auf der Bass-Pedalpauke wuchtige Klanggewitter mit urweltlichen Tonhöhenmanipulationen. (…)

Dirk Wieschollek

 

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