Elliott Sharp: Spring & Neap – RE:ITERATIONS

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Artikelnummer: NEOS 40708 Kategorie:
Veröffentlicht am: Februar 1, 2008

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Elliott Sharp: Spring & Neap – RE:ITERATIONS

Spring & Neap

1996 ging ich mit Orchestra Carbon auf Japan-Tournee; ein Höhepunkt war das Music Merge Festival in Tokio. Eine bunte Auswahl von wunderbaren Musikern der internationalen Szene traf sich dort für drei Tage im Shinjuku Pit Inn: Michiyo Yagi, Otomo Yoshihide, Sachiko M, Jim O’Rourke, Yumiko Tanaka, David Grubbs und andere. Neben den Auftritten mit Orchestra Carbon und meinem Solo Tectonics durfte ich – für ein kleines Orchester von Festival-Solisten unter meiner Leitung – eine neue algorithmische Spielvorlage entwickeln.

Ich suchte mir eine Kurve aus, die den Gezeitenverlauf in der Bucht von Tokio über 24 Stunden beschreibt. Davon ausgehend formulierte ich Spielregeln für Melodik, Dynamik und Dichte. Die Kurve ist ein Bezugssystem sowohl für persönliche Ausdrucksformen als auch für den Spannungsbogen des ganzen Stücks, und sie hat Einfluß auf die improvisierten Soli, die entlang der Zeitachse angeordnet sind. Unter komplettem Verzicht auf elektrische und elektronische Mittel kombinierten wir im Ensemble traditionelle japanische Instrumente mit westlichen, und wir mischten traditionelle und moderne Spieltechniken.

RE:ITERATIONS

Ich freute mich, als im Januar 1986 Paul Dunkel (Associate Conductor des American Composers’ Orchestra) bei mir anfragte, ob ich ein Auftragsstück für sein Orchester schreiben möchte – denn ich dachte damals gerade darüber nach, wie ich meine Arbeiten mit Fibonacci-Folgen auf ein Streichorchester übertragen könnte, und insbesondere, wie ich Ideen orchestrieren könnte, die ich auf der Gitarre entwickelt hatte.

Als ich Re:Iterations abschloß, kam mir eine weitere Begegnung zu Hilfe: David Soldier hatte das Soldier String Quartet gegründet und wünschte sich von mir ein Stück fürs Debüt-Konzert im New Yorker Miller Theater – so entstand Tessalation Row. In beiden Stücken leite ich Stimmungen, Rhythmen und andere formale Elemente aus der Fibonacci-Folge ab.

Alle Töne werden auf leeren Saiten gespielt (sie sind in den Verhältnissen 1:1, 3:2, 5:3, 8:5 gestimmt), oder als Obertöne dieser leeren Saiten. Die Partitur arbeitet mit grafischen Modulen; diese informieren über die Aktionen, die ausgeführt werden sollen, und machen exakte Vorgaben für Rhythmus, Einsätze und Tonhöhen. Zeitweise können die Spieler die Obertonmelodien und -farben eines Abschnitts variieren, aber nicht in Form freier Improvisationen, sondern unter Beachtung der notierten Parameter. Mich interessierte sehr die Frage der „Identität“ – ich wollte, daß es in jeder Aufführung einen großen persönlichen Spielraum für Klangfluß und spektrale Details gibt, ohne daß der Charakter und die exakten Proportionen des Stücks zerstört werden.

Ursprünglich sollte Re:Iterations eine Art Konzert werden, mit den Schlagzeugern Bobby Previte und Charles Noyes als Solisten (und mir selbst auf der Doppelhals-Baßgitarre). Wir spielten aus einer grafischen Partitur, die mit dem Orchester synchronisiert werden sollte. Es gab nur eine einzige Aufführung, im Juni 1986 in der New Yorker Merkin Hall, und dabei wurden sowohl das Potential des Stücks als auch seine Probleme deutlich. Das Hauptproblem bei der Orchesterfassung von Re:Iterations dürfte die fehlende Verstärkung gewesen sein.

Eigentlich hätte ich mir für alle Streichinstrumente Ansteckmikrofone oder Tonabnehmer gewünscht, um die inneren Feinheiten des Klangs aufzuschlüsseln. Aber die Kooperationsbereitschaft des Orchesters war begrenzt; die Musiker hatten wenig Freude an einem Stück, für das sie ihre Instrumente anders stimmen und Partiturlesen lernen sollten, und erst recht nicht an einer Arbeit mit Verstärkern und am Zusammenspiel mit einem E-Gitarristen und gleich zwei Schlagzeugern! Mit großen weißen flauschigen Ohrenstöpseln kamen sie auf die Bühne; und nachdem der reichliche Applaus verklungen war, hörte man einen aus der Gruppe der Ersten Geiger sagen: „Warum hat er nicht gleich verlangt, daß wir auf unsere Geigen draufstampfen?“ (eine verlockende Idee für den unwahrscheinlichen Fall, dass ich jemals wieder einen Auftrag vom ACO bekommen sollte).

Leider muß ich zugeben: der dichte Klang und die Geräusch-Impulse von Schlagzeug und E-Gitarre (es war eine in reiner Stimmung) hatten die zarten „Phantom-Instrumente“ verdeckt, die durch die mitschwingenden Kombinationstöne der Streicher suggeriert wurden. Unsere Möglichkeiten, einen transparenten Klang zu produzieren, waren unglaublich eingeschränkt; das führte in der Aufführung zu einer Version, die weit weniger intuitiv war, als ich sie mir vorgestellt hatte.

Im Studio hatte ich mehr Einfluß auf das Resultat und konnte erreichen, was ich wollte. Zuerst spielte das Soldier String Quartet (Laura Seaton, David Soldier, Ron Lawrence, Mary Wooten) Tessalation Row auf 24spuriges Band ein. Wir nahmen zwei Versionen auf, und die zweite hatte das Feuer und die Präzision, die ich mir wünschte. Das Quartett benutzte Stereo-Ansteckmikrofone und zusätzlich piezoelektische Tonabnehmer; angeschlossen war jeweils ein Verzerrer (Ibanez Tube-Screamer) mit Pedal. Dadurch bekamen wir ein paar schöne Overdrive-Effekte mit Obertönen.

Wir wiederholten das Ganze als Quintett, mit dem Kontrabassisten Ratzo B. Harris – in dieser Besetzung wurden nacheinander zwei weitere Versionen über die Quartettfassung drübergespielt, so daß man in der Summe ein fiktives Kammerorchester von 14 Spielern hört. Bei der Stereo-Abmischung wurden die Verzerrer-Boxen parallel zu den Mikrofonen gefahren. Ein leichter Hall-Effekt – durch Tonabnehmer plus Raumklang – läßt den Eindruck eines noch größeren Ensembles entstehen.

Zum Schluß spielten die beiden Schlagzeuger und ich unsere Parts mit dazu; aber ich hatte dann den Eindruck, daß wir auch im Studio noch zu viele der gewünschten Klänge übertönten – deshalb entschied ich mich dafür, Re:Iterations in der Fassung nur mit Streichern zu veröffentlichen. Tessalation Row erschien 1986 bei SST Records und ist aktuell auf einer (lieferbaren) Tzadik-CD mit meinen Streichquartetten 1986-1996 zu hören. Re:Iterations war ebenfalls auf der SST-CD von 1986 enthalten (die seit 1992 nicht mehr im Handel ist).

(Übersetzung: Michael Herrschel)

Programm:

Elliott Sharp Edition Vol. 5

Spring & Neap – RE:ITERATIONS

01 Spring & Neap    35:33

Michigo Yagi, 17-string koto/Yumiko Tanaka, futozao shamisen
Yoshiko Fujio, hosozao shamisen/Zeena Parkins, troubador harp
Makoto Nomura, piano/Tamiki Sawa, violin/Mio Abe, violin
Hiromichi Sakamoto, cello/Masaaki Kikuchi, contrabass/Kenji Ito, percussion
Guam Kumada, percussion/ Elliott Sharp, conductor

Recorded live at Music Merge Festival, Tokyo, October 5, 1996
Live-Sound and DAT-Recording by Fujimura Yasuo @ Shinjuku Pit Inn

02 RE:ITERATIONS    13:11

Soldier String Quartet:
Laura Seaton, violin/David Soldier, violin/Ron Lawrence, viola/Mary Wooten, cello
Ratzo B. Harris, contrabass

Recorded at B.C. Studio, Brooklyn, NYC Engineered by Martin Bisi, June 7, 1986

total time  48:47

Publishing: zOaR Music – BMI – 1997

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