Encounter

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1 CD

Verfügbar ab dem Juni 28, 2024 um 12:00 am
Artikelnummer: NEOS 12406 Kategorie:
Veröffentlicht am: Mai 6, 2024

»Encounter« ist ein schillernder Begriff. Das englische Wort steht für Begegnung, Treffen, Zusammenstoß, Unerwartetes, Berührung. Von dieser Bedeutungsvielfalt kündet auch unser Programm. Es lebt vom vitalen Austausch, von Widerständen, Gefahren und Überraschungen, nicht zuletzt vom Risiko. Gleich drei der Stücke hat unser Solist hierfür eigens in Auftrag gegeben. Sie wurden für ihn maßgeschneidert, freilich nicht mundgerecht zugeschnitten. Im Gegenteil: Sie fordern heraus, wollen die Komfortzone verlassen.

Das gilt auch für Sequenza V, die noch immer, fast 60 Jahre nach ihrer Entstehung, spektakulär anmutet. Luciano Berio zieht hier alle Register der experimentellen Klangerzeugung. Von gehauchten und gedämpften Tönen und Geräuschen bis zum »verwirrten« Ausruf: »Why?« Die Frage aller Fragen war – auf Deutsch, langezogen als »Waruuuuum?« hervorgebracht – das Markenzeichen des Clowns Grock, der den Komponisten einst zu diesem Stück inspirierte. Das Vorbild ist auch in den szenischen Aktionen spürbar, den Anweisungen zur Beleuchtung, zu den Bewegungen oder zur Gestik. Berio, der bekanntlich die »polyphony of actions« liebte, treibt das Multitasking slapstickartig auf die Spitze. Der Interpret muss simultan spielen und singen, als gelte es, eine ganz neue, instrumentale voix humaine zu generieren.

Ganz harmlos, als Vier kurze Stücke, ist das Abenteuer überschrieben, das Eloain Lovis Hübner dem Spieler und uns bereitet. Das Instrument wird hier regelrecht auseinandergenommen, der »gute« Ton durchgehend gemieden. Dafür sind alle erdenklichen Geräusch/Ton-Kombinationen – von schattenhaft bis schrill kreischend – zu hören. Alufolie, Mülltüte, PVC-Spiralschlauch und Kindertröte leisten dazu gute Hilfs-Dienste. Tatsächlich wird auf allen Rohren (auch von Quartventil und Stimmzug) wie auf einer Flasche geblasen, um Luftgeräusche verschiedenster Tonhöhe zu erzeugen: die Posaune als überdimensionale Panflöte. Mal wird ohne Mundstück geblasen, der Mund um die Rohröffnung geschlossen oder die Zunge ins Spiel gebracht. Mal hört man Ploppen oder Rascheln, Whistle Tones, Trompetenansatz mit mehr oder weniger stabilem Ton. Lippenspannung und Luftzufuhr werden variiert, Ein- und Ausatmen einbezogen. Das alles – »wenn möglich« – mit Zirkularatmung. Und: »halten, bis die Luft ausgeht«. Oder bis der Arzt kommt. Doch die Posaune ist einfach nicht kaputt zu kriegen. Sie blüht hier zu ganz neuem Leben auf, erweist sich als »ein fragiles, wandelbares System«. Der Beipackzettel empfiehlt, die Stücke, wenn live gespielt, wohldosiert aufzuführen, nicht en bloc, sondern lieber als Intermezzi ins Programm zu streuen.

Von einer elementaren Begegnung kündet Bernhard Ganders Messing 1. Kupfer trifft auf Zink, woraus – zu Messing legiert – bekanntlich Blechblasinstrumente geformt werden. Aus den Ordnungszahlen der metallischen Elemente leitet Gander die seltenen Metren 29/8 und 30/8 ab, die im steten Wechsel das Stück vorantreiben. So wie die hämmernde Rhythmik entfernt an Werkstatt, konkret an die Herstellung des Instruments erinnert: jene zungen- und lippenbrecherischen Tonrepetitionen in Extremlagen, die sich – in der entstehenden Hitze – zunehmend biegen und verformen, sich in elastisch kreisenden Figuren oder in Chorus-Passagen auflösen. Das Ganze ist eine echte Tour de Force, die sich auch in puncto Tempo und Dynamik meist an Limits bewegt. Da heißt es, die Kräfte gut einzuteilen, um nicht frühzeitig aus der Puste zu geraten.

Eine unheimliche Begegnung voller »Staunen, Angst und Neugier« gestaltet Konstantia Gourzi in The Encounter. Der Solist sieht sich per Zuspiel mit einer undefinierten Klangwelt konfrontiert. Er gibt die wechselnden Gefühlszustände wieder, bezieht dabei rhythmische Atemgeräusche, Vokale und Konsonanten mit ein, die direkt ins Instrument artikuliert werden und die gesungen, gewispert oder morsezeichenartig klingen sollen. Dieses Wechselspiel von Aktion und Reaktion intensiviert sich gen Ende, bis das bedrohliche »Objekt« langsam entschwebt, die Geräusche sich in Melodien auflösen und der Solist wieder »zu innerer Balance zurückfindet«. Alles gut.

Geradezu innig ist die Begegnung in Gérard Griseys Solo pour deux. Strenggenommen ist es ein Monolog, der sich im Zwischenraum zweier ungleicher Partner ereignet, die sich dabei zu einem Hyper-Instrument verbinden. Und zwar ganz konkret: Die Klarinette taucht in die Posaune, und beide spielen, bis deren Klänge kaum noch zu unterscheiden sind. Sie schweben und verschmelzen spektral, verschieben ihre Töne im Glissando, mischen diese mit Singen und Atemgeräuschen, verfremden sie durch Lippen- und Gaumenvibrato, durch Multiphonics oder Dämpfer. Das, was anfangs ruhig pulsierend voranschreitet, steigert kontinuierlich die Drehzahl, kreischt kurz auf, bricht sich in virtuosen Läufen Bahn und bleibt am Ende doch offen wie eine unbeantwortete Frage. Es ist ein Dialogue intérieur, der allerhand körperlich-musikantische Beweglichkeit und Sensibilität verlangt. Dass der zugrundliegende formale Prozess quasi wissenschaftlich – aus der Fibonacci-Reihe – abgeleitet ist, tut der »ursprünglichen Erotik«, die Grisey hier augenzwinkernd evoziert, keinen Abbruch. Im Gegenteil: Die Instrumente nähern und begegnen sich auf intimste Weise, ohne einander je zu berühren.

Harry Vogt

Programm

Gérard Grisey (1946–1998)
[01] Solo pour deux für Klarinette ünd Posaune (1981)

 

Luciano Berio (1925–2003)
[02] Sequenza V für Posaune (1966)

 

Eloain Lovis Hübner (*1993)

[03-07] Vier kurze Stücke für erweiterte Posaune (2022)*

 

Bernhard Gander (*1969)

[07] Messing 1 für Posaune Solo (2022)*

 

Konstantia Gourzi (*1962)

[08] The Encounter für Posaune und Tonband, op. 100 (2023)*

 

total playing time: 57:30

 

Mikael Rudolfsson, Posaune

Olivier Vivares, Klarinette [01] 

 

*Ersteinspielungen

Infos

Katalognummer: NEOS 12406

EAN: 4260063124068

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