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Der Turmbau zu Babel Oratorium in 8 Teilen (1981 / 82) Zum Komponieren im zeitkritischen Sujet »Nichts Sinnliches ist erhaben, und je mehr der Markt I. Eine so verstandene Aktualität ist, bezogen auf Raum und Zeit, allgegenwärtig. Ist sie es wirklich, so wird eine Metaebene des Aktuellen schlechthin erreicht, deren philosophische und künstlerische Dimension sich nach Hegel im geistigen Gehalt philosophischen und musikalischen Denkens und künstlerischen Tuns allgemein widerspiegelt. Musikalisches Denken ist seiner Art nach begriffslos. II. Jener Aktualität Metaniveau verleihen heißt, die Thematik mit künstlerischen Mitteln verallgemeinernd und zugleich verbindlich zu behandeln. Eine implizite Vieldeutigkeit, die sich aus dem Verhältnis Musik und Text ergibt, ist zwar verallgemeinernd, jedoch in ihrer Eigenschaft des Allgemeinen allgegenwärtig, und deshalb gerade in einem höheren Grade allgemeinverbindlich. Diese Allgemeinverbindlichkeit fehlte, wenn jedes Ausdrucksmittel einem eindeutigen Zweck zugeordnet und zuzuordnen wäre. Eine solche Zuordnung wäre einem konkreten politischen Ereignis oder Zustand zwar näher, aber mehr politische Demonstration, mehr Agitation als künstlerischer Ausdruckswille. Sie bedingt, für die Beschreibung einer bestimmten Augenblickssituation sehr konkret und für den Augenblick in hohem Maße verbindlich zu sein. Mit der impliziten Vieldeutigkeit jedoch und der damit verbundenen symbolbildenden Allgemeingültigkeit wird die Fragestellung drängender, konkreter, aktueller, uns alle betreffend und damit verbindlicher. Die Augenblicksverbindlichkeit ist der generellen Unverbindlichkeit demnach sehr nahe. Das Fehlen des Gleichnis- und Symbolcharakters hat den Verlust von Sinnfälligkeit, weitergreifend den der Gehalte von Musik und Text zur Folge, jenem Unaussprechbaren und Unergründlichen, welches eigentlich künstlerisch ist. Der Kunstcharakter wäre ernsthaft in Gefahr. Daher liegen Agitprop und sogenannte »Engagierte Musik« im Grenzbereich des Künstlerischen. III. Theodor W. Adorno wählte dafür ein anschauliches Bild, das von der Flaschenpost, jener in einem kleinen, unscheinbaren Behältnis konservierten Mitteilung. Auf dem Meeresgrund ruhend, wartet sie darauf, an irgendeinem Ort (Strand) quasi als Strandgut angeschwemmt zu werden und so ihren Empfänger zu finden, der versteht. Das soll zeigen, wie weit der Weg vom Aufnehmen zum Verstehen, zum Erfassen eines Werksujets sein kann. Es wird immer eine Minderheit sein, die diese Signale erfasst. Für einen Musiker wird es schon viel bedeuten, mit diesen Wenigen, und wenn es nur Einer ist, ins Gespräch zu treten. Der Wunsch, dies auch mit der Mehrheit zu können, wird wohl ein Traum bleiben. Schon solches Strandgut auszusenden ist ein großes Glück für jeden Künstler. IV. Was will der Turmbau zu Babel? Man darf hinzufügen, diese Aufgabe wird gewöhnlich sogenannten Expertenkommissionen überlassen, zu diesen Zwecken gebildet, und wird so auf bürokratische Ebenen abgeschoben und damit auf die lange Bank. Solche Experten sind im Bereich der Musik die wissenschaftlichen Pädagogen, die in unserer verkümmerten Sprachfähigkeit den Gegenstand Musik »didaktisch« und »curricular« vermitteln sollen. Aber erreichen sie mit ihrem wissenschaftlichen Kauderwelsch, ihren zahlreichen Neuschöpfungen von Worthülsen nicht nachgerade das Gegenteil? Zur Überwindung der Sprachverwirrung, der daraus folgenden Sprachlosigkeit verabreichen sie als neue Medizin erneute Sprachverwirrung! Das ist die eine Seite meines Verständnisses von der Aktualität des Themas »Turmbau zu Babel«. Die andere ist die einer Verwirrung des Einzelnen durch permanente Reizüberflutung – auch in mein Werk einkomponiert – und damit seiner totalen Desorientiertheit in einer kalten, materialistischen Umwelt. Die Verwirrung in Form der Desorientierung wird mit den neuen Kabelmedien (1980), heute mit der Digitalisierung einen weiteren Aufschwung nehmen und ihr zerstörerisches, aktuelles Werk fortsetzen. Der Mensch erfährt seine Umwelt mehr und mehr nur noch vermittelt, wie das Wort »Medium« sagt. Im Schatten von all dem, und das ist die dritte Seite jener Verwirrungen und Verirrungen, ersinnen Spezialisten, besessen vom Größenwahn, großtechnologische Projekte, wie Atomkraftwerke, Atomwaffen, die den Menschen versklaven, weil er unfähig sein wird, jene Technologie und ihre Folgen zu beherrschen. Der Turm wird zwar gebaut werden, aber er wird nie zu Ende gebaut werden können… Eine kollektive Verweigerung unserer Verantwortlichen in aller Welt, die Folgen solchen Tuns zu Ende zu denken, und weiter für die Folgen selbst, macht das Thema »Turmbau zu Babel« über alle Gesellschaftssysteme und -ordnungen hinweg aktuell. War die Bedrohung des Menschen durch seinen eigenen Größenwahn in der Vergangenheit jeweils nur regional auf bestimmte Kulturkreise begrenzt, so ist sie heute weltweit und damit für die Menschheit existentiell. Sprachverwirrung stiftet partikularen Egoismus, ein nachgerade unüberwindlich scheinendes Hindernis, unsere Politiker zur Auseinandersetzung mit jenen Kernfragen zu zwingen, die dieses Thema ontologisch anschneidet. V. Die Vielheit der aus den Reihen abgeleiteten Akkord- sowie der musiksprachlichen Mittel nimmt im Laufe des Werks mehr und mehr zu. Im gegenläufigen Prozess nimmt deren individuelle Ausdruckskraft zu Gunsten vorgefertigter musikalischer Statements (komponierte Sprachlosigkeit) allmählich ab. Das kompositorische Material durchläuft auf dem Wege seiner prozesshaften Zerstörung (musiksprachlichen Verkümmerung) quasi einen Prozess seiner Industrialisierung. Die Vielheit der Ausdrucksmittel ist eingebunden in ein episches Konzept im Sinne eines Beschreibens und Ausleuchtens des Themas unter den verschiedensten Blickwinkeln (implizite Vieldeutigkeit). Schrieben etliche Autoren aus Trend- und Modegründen das Ende der seriellen Musik herbei, so unterblieb dabei stets fein säuberlich die Sinn- und Gehaltsfrage, deren Behandlung solche Erörterungen als modische Geschwätzigkeit offengelegt hätte. Der Einsatz serieller Arbeitsweisen erfolgt im Turmbau zu Babel parallel zu einem Verfahren der Aufspaltung des Textes in Silben und deren semantisch-vieldeutiger Zuordnungen, um die im Text implizierte Vieldeutigkeit vielfältiger Bedeutungsschichten zwar nicht unbedingt für den Moment des Hörens voll begreifbar, jedoch erlebbar zu machen. Das der selektierenden, gebrochenen Textbehandlung adäquateste kompositorische Verfahren ist die streng serielle Behandlungsweise von Rhythmus, Dynamik und Harmonie als Äquivalent sterilisierter Sprachlosigkeit. Der emphatische Höreindruck, der sich dem Hörer dabei vermittelt, hat seinen tieferen musikalischen Ausdrucksgehalt, der künstlerisch gewollt ist, den zu verbalisieren aber das unvoreingenommene Hören verbietet. Die elektronische Musik im Turmbau zu Babel ist eng bezogen auf das Sujet, ihr Einsatz ist nicht beziehungslos, ihr Sinn nicht lediglich der spielerisch-unterhaltsame Umgang mit einem für Viele neuartigen Medium, wie er so oft unter abstrakten Werktiteln wie etwa »Workshop 27« oder anderen beliebig scheinenden Titelgebungen anzutreffen ist. Dass die Wahl der Mittel einer der Musik und dem Text sowie dem Sujet innewohnenden Ordnung gehorcht, und dies sinnfällig und musikalisch begründbar, macht sie verbindlich und nicht willkürlich. Der Gehalt eines Musikwerkes begründet ihren Einsatz, ihre Aktualität im Nachhinein. Sie leiten ihre Rechtfertigung nicht aus sich selbst ab, sondern aus dem Kontext, in dem sie stehen. So gesehen, gewinnen serielles Denken und auch andere vorschnell totgesagte Kompositionsverfahren von neuem immer wieder an Aktualität, auch wenn sie als musikalischer Selbstzweck ihre Aktualität eingebüßt zu haben scheinen. Der Turmbau zu Babel will also keinesfalls die kompositionstechnische Innovation vorantreiben, er stellte zu seiner Entstehungszeit kompositorische Mittel allenfalls zuweilen in damals neue Zusammenhänge. Der Text, vom idealistischen Denken Schillers über Schopenhauer, Nietzsche und Wagner zur Gewaltphilosophie Machiavellis, folgt einer Konzeption eines geistigen Turmbaus zu Babel. Die harte Gegenüberstellung so verschiedenartiger Köpfe wie Schiller und Nietzsche kann auch als ein Stück komponierter Sprachverwirrung verstanden werden. Dem gegenüber steht eine Musik, die in ihrer gewollten Diskrepanz, ja Distanz zum Text, zu eigenen Deutungen unabhängig vom Text einlädt. Sicher wird das Erklingen einzelner musiksprachlicher Idiome Textinterpretationen im Werk Passagen der oben beschriebenen, historisch bedingten Allgemeinverständlichkeit liefern, vom Komponisten so gewollt. Diese Stellen sind aber nur Inseln im Werk. Der Text wird mal vertont, also illustriert, mal, distanziert von der Musik, kommentierend behandelt. Der ständige Wechsel solcher dramaturgischer Mittel verleiht diesen die gewünschte Sprachfähigkeit, die sture Beibehaltung eines Mittels wäre öde und schematisch. Das Oratorium Der Turmbau zu Babel war eine Auftragskomposition zum 25. Jubiläum der »Tage der Neuen Musik Hannover«, 1983. Das Oratorium ist all denen gewidmet, die im Kampf für Freiheit und Gerechtigkeit und ein menschenwürdiges Zusammenleben ihr Leben lassen mussten; allen Unerschrockenen, die unter Inkaufnahme auch schwerwiegender persönlicher Nachteile ihren Weg aufrecht und geradlinig gehen; für Klaus Bernbacher. Ernst Helmuth Flammer Programm:
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