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Fabián Panisello, György Ligeti: Piano Etudes

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Veröffentlicht am: Januar 15, 2011

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Fabián Panisello – György Ligeti
Klavieretüden

Die Etüde ist ursprünglich eine in konzeptioneller Hinsicht reduzierte Komposition, die insbesondere eine didaktische Absicht verfolgt und den Instrumentalisten mit einem technischen Problem konfrontiert. Ein sowohl virtuoser als auch mechanischer Charakter sind die prägenden Merkmale der zahlreichen, zu Beginn des 19. Jahrhunderts veröffentlichten Etüden (Anton Reicha, Johann B. Cramer, Carl Czerny, Friedrich W. Kalkbrenner …). Durch eine poetische Klangsprache befreite Frédéric Chopin diese Gattung von ihrem ›hölzernen‹ Charakter.

Franz Liszt gelang der Sprung in den Konzertsaal mit seinen überaus virtuosen Études d’exécution transcendante, in welchen es den Anschein hat, als wolle er die Möglichkeiten eines ganzen Orchesters auf das Klavier übertragen. In einem weiteren Schritt zielen schließlich Claude Debussys Études pour piano (1915) auf den konzeptionellen Bereich: Die Virtuosität wird in den Hintergrund verwiesen und das technische Element – ein bestimmter Fingersatz, ein bestimmtes Intervall oder auch ein Klang – wird zum Generator neuartiger Zusammenklänge.

Diese Vorläufer hatte György Ligeti wohl mehr oder weniger konkret im Hinterkopf, als er 1985 das Erste Buch seiner Études pour piano komponierte. Andere, nicht weniger bedeutsame Einflüsse entsprangen den afrikanischen Polyphonien und Conlon Nancarrows Musik mit der komplexen und unruhigen Polyrhythmik, die er für sich entdeckt hatte.

Im Gesamtschaffen Ligetis markieren seine Etüden daher auch einen neuen Abschnitt. In der harmonischen Sprache greift er auf tonale Wendungen zurück. Folkloristische Anklänge, die Erinnerungen an Béla Bartók wachrufen, treten zutage. Der Klang wirkt insgesamt heller, doch in manchem Augenblick löst sich das musikalische Geschehen von der ›angenehm und unterhaltsam‹ gelaunten Klanglichkeit, die Ligeti gerade in der Musik Nancarrows so schätzte.

Für die Etüden bedeutsam ist auch Ligetis fortdauerndes Interesse an rhythmischen Elementen und Paradoxien der Wahrnehmung. Hier knüpft die zentrale Idee der mit ›illusionärer Rhythmik‹ experimentierenden Etüden an. Mehrere Schichten verschiedener Ordnung und Geschwindigkeit werden hierzu überlagert, so etwa in der ersten Etüde Désordre. Die Asymmetrie dieses Stücks entspringt der unabhängigen Führung beider Hände, die jeweils rhythmisch und tonal unabhängig agieren.

Cordes à vide beschreitet ein ähnliches, aber sanftmütigeres und ausdrucksstarkes Terrain in Verbindung mit einem vorherrschenden Quintintervall. Fanfares erinnert durch eine ostinat aufsteigende, achttönige Figur (akzentuiert als 3+2+3) an Bartók, wohingegen das vierstimmig polyphone Arc-en-ciel binäre und ternäre Rhythmen überlagert – vor dem Hintergrund klanglich durchsichtiger, ruhiger Klänge.

Während Fém die Freude an irregulärer Rhythmik aus Désordre wieder aufnimmt, bezieht sich Der Zauberlehrling auf klangliche Täuschungen der Wahrnehmung – ähnlich Ligetis früherem Continuum für Cembalo (1968). En suspens ist wieder ein sanftmütiges Stück mit durchsichtigen Harmonien, wogegen White on White und Canon durch strenge Kanontechniken bestimmt werden.

In den Estudios para piano von Fabián Panisello gewinnt der Gattungsbegriff der Etüde wieder seine ursprüngliche Bedeutung zurück – im Sinne einer vorbereitenden Arbeit. Schließlich entstanden die Stücke als Vorarbeit für das Orchesterwerk Aksaks, das bei den Donaueschinger Musiktagen 2008 uraufgeführt wurde. Der Komponist war bestrebt, den Umgang mit den für Aksaks vorgesehenen Materialien zu radikalisieren, was im Rahmen der Vorarbeiten zu einem eigenständigen und zusammenhängenden Klavierzyklus führte.

Die technische Virtuosität dieser Stücke – mal subtil, mal offen zutage tretend – macht sie besonders attraktiv für ein Konzertprogramm. Panisellos Musiksprache gründet auf der Entwicklung und Überlappung von drei Materialtypen – Diatonik, Chromatik und Pentatonik –, welche der Komponist auf das harmonische (Frequenz-) Spektrum bezieht. Dieses harmonische Spektrum hat somit die Funktion eines Keims, dem vielfältige Systeme entwachsen können, und die eines Bindeglieds für Modulationen zwischen diesen miteinander verwandten Systemen.

Panisellos Vorliebe hinsichtlich zeitlicher Organisationsformen gilt dem ›instabilen Gleichgewicht‹ und findet ein für seine Musik einflussreiches Vorbild im ›aksak‹, jenem unregelmäßigen Rhythmus in der Musik des Balkan und der Türkei. Daher werden hier auch auf Primzahlen beruhende Formen ›organisierter Asymmetrie‹ einbezogen.

Die ersten vier Etüden behandeln die Chromatik. In der ersten Etüde spielt die linke Hand eine aufsteigende chromatische Tonleiter über den gesamten Klavierumfang. Über dieser steht in der rechten Hand eine absteigende chromatische Bewegung in kleineren, diskontinuierlichen Einheiten, deren chromatisch-parallele Tonfolgen mit jeder Wiederholung einen weiteren Abstand einnehmen (Sekunde, Terz, Quarte, Quinte …). Im zweiten Teil wird das Verhältnis zwischen beiden Händen vertauscht mit einer Intensivierung durch ›Polyakzentik‹ im Bass.

Die zweite Etüde bearbeitet die Chromatik indirekt in Form arpeggierter, quasi-spektraler Harmonien. Die dritte Etüde beschränkt sich auf nur vier chromatische Noten, die durch Oktavtranspositionen zu allen erdenkbaren Gestalten kombiniert werden. Erstmals im langsamen Tempo fokussiert die vierte Etüde einen lyrisch-expressiven Ausdruck. Die fünfte Etüde (Pentafonías) ist als Mittelteil im folgenden Stück enthalten, kann aber auch eigenständig erklingen. Eine zentrale Stellung hat hier die ›Polypentaphonie‹, die sich aus einem streng beibehaltenen Rhythmus entwickelt und sich asymmetrischen Vorbildern unterwirft.

In der sechsten Etüde werden Chromatik, Pentatonik und Diatonik zwar gemischt, behalten aber eine gewisse Eigenständigkeit. Zunächst setzt sich ein plastischer Ton durch, der mit Eintritt in den mittleren Teil ein insistierendes Profil erhält und schließlich zu einem rhythmisch beweglichen (parlando) Conductus führt. Clusterhafte Akzente verstärken die vorhandene Dramatik.

Die Etüden 7 und 9 erzeugen die Matrix des ersten Satzes von Panisellos Orchesterstück Aksaks. Ursprünglich konzipiert als Schichten eines Ganzen, wurden sie nachträglich zu einzelnen Stücken umgearbeitet. Die rhythmische ›aksak‹-Organisation ist hier besonders offensichtlich, denn die Sequenzen sind stets unveränderlich und deutlich zu hören, obwohl sie von rhythmisch irrationalen Proportionen überlagert werden.

Während die siebte Etüde einen linear kontinuierlichen Charakter aufweist, entwickelt das neunte und letzte Stück in diesem Zyklus eine vertikale Konzeption, die auf Akkorden basiert. Beide Perspektiven sind unterschiedlich, aber auch komplementär und somit für eine Überlagerung geeignet. Die achte Etüde (Armonías derivadas) ist ein durch minimale Artikulationen belebtes Stück, mit abrupten und losgelösten Gesten vor einem auf Klangfarbe zielenden Hintergrund resonierender und ruhender Akkorde.

Stefano Russomanno
Übersetzung aus dem Spanischen: Till Knipper

Programm:

Fabián Panisello (*1963)

Estudios para piano

Primer quaderno (2007)
[01] Estudio n° 1, Chroma 1 · 03:34
[02] Estudio n° 2, Chroma 2 · 02:35
[03] Estudio n° 3, Chroma 3 · 03:58
[04] Estudio n° 4, Chroma 4 · 01:54
[05] Estudio n° 5, Pentafonías · 02:11
[06] Estudio n° 6, Estudio doble · 06:50

Segundo quaderno (2008)
[07] Estudio n° 7, Aksaks I · 03:11
[08] Estudio n° 8, Armonías derivadas · 02:11
[09] Estudio n° 9, Aksaks II · 05:56

 

György Ligeti (1923–2006)

Études pour piano

Premier livre (1985)
[10] Étude n° 1, Désordre · 02:09
[11] Étude n° 2, Cordes à vide · 03:01
[12] Étude n° 4, Fanfares · 03:30
[13] Étude n° 5, Arc-en-ciel · 03:19

Deuxième livre (1989/1994)
[14] Étude n° 8, Fém (1989) · 02:36
[15] Étude n° 10, Der Zauberlehrling (1994) · 02:18
[16] Étude n° 11, En suspens (1994) · 02:25

Troisième livre (1995/2001)
[17] Étude n° 15, White on White (1995) · 04:07
[18] Étude n° 18, Canon (2001) · 01:19

total time: 57:04

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