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3. Streichquartett (1991/92) Es gehört zu den Charakteristika meiner künstlerischen Entwicklung, mit einigen Werken immer wieder in für mich neue Vorstellungsbereiche vorzustoßen und das Erreichte dann möglichst organisch in meine bisherigen Erfahrungen einzubinden. Das 3. Streichquartett gehört sicher der letzteren Phase an. Elemente außereuropäischer Musik, die mich in meinen ersten beiden Quartetten vielfältig beschäftigt haben, spielen hier eine untergeordnete Rolle. Das Werk besteht aus sechs kurzen Sätzen, in denen alles auf scharfe, klare Zeichnung mitunter stark wechselnder Charaktere, auf knappe Darstellung des oft expressiven musikalischen Verlaufs abgestellt ist. Den ersten Satz prägt ein Gegensatzpaar, ein Furioso und ein etwas ruhigerer, kantabler Teil, die in vielfältiger Weise mehrfach wieder erscheinen. Im ersten Abschnitt des zweiten Satzes weitet sich eine am Steg gespielte pp-Bewegung über regelmäßigen Vierteln im Cello immer weiter aus; sie wird im Schlussteil sul ponticello wieder aufgenommen und verebbt im pp. Die beiden Teile schließen eine kantable Episode ein, in der eine meiner Slowakischen Erinnerungen aus der Kindheit anklingt. Vielfältige, sich wandelnde Charaktere prägen den besonders vielgliedrigen dritten Satz. In einen der Abschnitte ist eine von zentralafrikanischen Motiven angeregte Linie der Bratsche verwoben. Der vierte Satz, Intermezzo, kommt aus einem Bereich, den ich für mich als »Janáèek-Komplex« bezeichnet habe. Expressive synkopische Figuren wechseln mit einer raschen, huschenden Bewegung im Spiccato und einer ruhig fließenden. Im fünften Satz bewegt sich eine Melodie der Bratsche, dann der Geige in hoher Lage über gleichmäßigen Achteln der übrigen Instrumente. Kurz wird im Cello ein Motiv zitiert, das aus papuanischer Musik kommt. Der Satz schließt mit der erwähnten Achtelbewegung im Fortissimo. Er geht attaca in den letzten Satz, eine Art Perpetuum mobile, über. Alles bewegt sich in rasender Geschwindigkeit im p und pp, in dem der Spuk endet. 4. Streichquartett (2001) Während im 3. Streichquartett die sechs Sätze trotz ihrer Vielgliedrigkeit in sich geschlossene Einheiten von kennzeichnenden Charakteren sind, gibt es im 4. Streichquartett zwar auch gegensätzliche Abschnitte, es kommt aber durch Reminiszenzen, Allusionen und Reprisen zu so vielfältigen Querverbindungen, dass der Gesamteindruck eher der eines zusammenhängenden Organismus ist. Eine sehr langsame Introduktion exponiert die charakteristischen Intervallfolgen des Stücks. Ihr folgt im fff ein längerer Furioso-Abschnitt, der in allen vier Instrumenten aus pausendurchsetzten Sechzehntelbewegungen besteht. Schließlich bleibt eine Floskel »hängen« und wird im mf wiederholt; dann setzt sich das fff-Furioso fort. Dieser Vorgang setzt einen Prozess in Gang, in dem die Furioso-Abschnitte zwischen den wiederholten Floskeln immer kürzer und die Anzahl der Töne innerhalb der Floskel immer kleiner werden, die Zahl der Wiederholungen aber immer größer, bis am Ende eine nur mehr aus drei Tönen bestehende Floskel fünfzehnmal wiederholt wird. Im Hören bringt das ein allmähliches Innewerden, ein Durchschauen eines prozessualen Verlaufs. Ein langsamer Abschnitt knüpft dann an die Introduktion an, die Bewegung beschleunigt sich aber und geht in einen raschen Teil über, in dem kleine, plötzliche Inseln im f und ff aus dem Geschehen herausragen. Ein Ritardando leitet zu einem sehr langsamen »Satz« (con sordino) über, in dessen ersten und dritten Abschnitt in allen Instrumenten unruhige, rasche Figuren eingestreut sind, die an Vorhergehendes erinnern. Zwei Energico marcato bezeichnete Teile umrahmen den ruhigen Mittelteil des nächsten größeren Formteils. Er mündet in eine Reprise des Furioso-Abschnitts, in dem sich der oben beschriebene Prozess – nur verknappt und natürlich nicht wörtlich – wiederholt. Am Ende führt die Bewegung hinüber in den »von äußerster Ruhe« getragenen letzten Abschnitt, in dem einige rasche, isolierte Figuren an den langsamen Mittel-»Satz« erinnern. In gleichmäßigen Vierteln zu eingestreuten Pizzicati klingt das Stück aus. Acht Sätze nach Hölderlin-Fragmenten für Streichsextett (1995) Ich habe 1994 wiederholt den ganzen Hölderlin gelesen und mir zahlreiche aus den Versen gewonnene Sprachmelodien notiert, die ich, weil ich ja die Texte nie singen lassen wollte, in zunehmendem Maß musikalisch stilisierte. Der Auftrag zu einem Streichsextett führte zunächst wieder zur Idee, den musikalischen Satz unmittelbar aus den Sprachgefällen zu entwickeln. Da sich das Verfahren aber bald als zu eng erwies, habe ich auf meine Sprachmelodien zurückgegriffen und sie in einer sehr freien, höchst stilisierten Weise weiterentwickelt – ausgenommen im letzten Satz, der in seiner monomanen Zuständlichkeit vom Tonfall des Textes ganz unabhängig ist. Auf den sehr langsamen, von einer eigenartig hellen Düsternis geprägten ersten Satz folgt der fünfteilige zweite, in dem rasche Dramatik und eine ruhiger fließende Bewegung variabel das Geschehen bestimmen. Fahl-schwebend wirkt der langsame dritte Satz. Der vierte Satz ist ein Presto misterioso; die rasend eilende Bewegung ist wohl von jener der »Wasser« inspiriert. Der sehr ruhige fünfte Satz ist geprägt durch ein marcato einsetzendes »Nachdruck-Motiv«, eine Linie von Violine und Cello und ein immer wieder plötzlich auffahrendes Motiv der Bratsche. Den sechsten Satz charakterisiert unstete Wildheit, ein rascher Wechsel von Rhythmen und häufige Taktwechsel, unterbrochen durch einen ruhigeren Mittel-Abschnitt. Seine Wiederkehr führt in den sehr ruhig-flächigen siebten Satz über, der nahtlos in den achten und letzten Satz übergeht. Hier gibt es keinerlei Pulsation mehr und weder tonale Zentren noch Themenbildungen. Lang gehaltene Töne, rasche, gleichsam einen Ton umspielende, ornamentale Figuren, die – wie aus weiter Ferne – an Außereuropäisches erinnern, und Glissandi charakterisieren ihn. Der Satz beginnt sehr hoch und bewegt sich in einem großen Crescendo kontinuierlich, aber fast unmerklich nach unten, um am Schluss diminuendo in tiefster Düsternis zu enden. Am Ende stellte ich mir die nicht leicht zu beantwortende Frage, ob es Sinn macht, dem Hörer und auch den ausführenden Musikern die Texte mitzuteilen, von denen ich ausgegangen bin, zumal es sich ja in keiner Weise um Programmmusik handelt. Ich habe es getan, weil ich darin doch einen Hinweis auf die emotionelle Grundhaltung der einzelnen Sätze sehe, und auch weil ich eine so wichtige Quelle meiner Arbeit nicht verschweigen wollte. Friedrich Cerha |
Programm:
String Quartet No. 3 (1991/1992) 18:17
[01] I. furioso 01:23
[02] II. Elegie 06:01
[03] III. con spirito 02:39
[04] IV. Intermezzo 03:44
[05] V. sehr ruhig 03:08
[06] VI. sehr ruhig 01:22
[07] String Quartet No. 4 (2001) 19:56
Äußerst ruhig. Furioso. Energico, marcato. Von äußerster Ruhe
Eight Movements after Hölderlin Fragments 24:51
for string sextet (1995)
[08] I. Schönes Leben! Du liegst krank, und das Herz ist mir müd… 02:34
[09] II. Doch uns ist gegeben… 02:37
[10] III. Es kommen Stunden, wo das erschütterte gepresste Herz… 01:48
[11] IV. Wie wenn die alten Wässer in andrem Zorn… 02:30
[12] V. Die Linien des Lebens sind verschieden… 03:04
[13] VI. Und unstet wehn und irren, dem Chaos gleich… 02:44
[14] VII. Weh mir, wo nehm’ ich, wenn es Winter ist, die Blumen… 03:24
[15] VIII. Das Herz ist wieder wach… 06:10
total time: 64:07
stadler quartett
Frank Stadler, 1st violin
Izso Bajusz, 2nd violin
Predrag Katanic, viola
Peter Sigl, violoncello
Ulrike Jaeger, viola [08–15]
Sebestyén Ludmány, violoncello [08–15]
Pressestimmen:
23.06.2012