Im Jahr 1978 sorgte beim Festival Warschauer Herbst das klanglich bahnbrechende Opus einer Komponistin für Aufsehen, das den sachlich beschreibenden Titel Music on Open Strings trug: Musik auf leeren, also nicht gegriffenen Saiten. Zur damaligen Zeit machte es für die künstlerische Laufbahn noch einen eminenten Unterschied, eine Frau zu sein. Als Gloria Coates 1980 in München mit diesem Werk auf dem Spielplan der musica viva erschien, war es das erste Werk einer Komponistin, das in dieser 1946 gegründeten Konzertreihe aufgeführt wurde. Music on Open Strings ist ein besonders gelungenes Beispiel für den radikalen Weg, den die amerikanische Komponistin eingeschlagen hat, und bis heute eines ihrer bekanntesten Werke. […]
Auch für die beiden 1988 vollendeten Vokalwerke „Wir tönen allein“ und „Cette blanche agonie“ gibt es ein historisches Vorbild: das Orchesterlied. Dabei nimmt die Mallarmé-Vertonung durch den Einbezug eines fast durchweg virtuos geforderten Bläsersolisten auch konzertanten Charakter an. Coates wählt für ihre Orchesterlieder mit posthum veröffentlichten, späten Gedichten von Paul Celan (1920–1970) und Stéphane Mallarmé (1842–1898) Texte zweier zu ihrer Zeit als radikal geltenden Dichter, die in ihrem teils kryptisch anmutenden Gehalt zu vielerlei Deutungsversuchen einladen. […]
Coates’ „16. Symphonie“ war zunächst außerhalb der Werkreihe ihrer Symphonien angesiedelt. Als „Time Frozen“ für Kammerorchester war es anlässlich des 25-jährigen Jubiläums der Hamburger
Konzertreihe »das neue werk« entstanden. Nach späterer Revision, die unter anderem neue Satztitel erbrachte, avancierte das Stück zu ihrem letzten Gattungsbeitrag. Auch wenn sich Musik als Zeitkunst der Idee des Einfrierens, also des Stillstands letztlich entzieht, so lässt sich doch musikalisch sinnfällig mit unterschiedlichen Zeitvorstellungen spielen. […]
Michael Zwenzner