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Ins Offene – Piano Music of Modern Age: Debussy – Messiaen – Stockhausen – Dusapin – Scelsi – Takemitsu – Gubaidulina – Pärt – Rummler

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Artikelnummer: NEOS 11610 Kategorien: ,
Veröffentlicht am: November 26, 2016

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INS OFFENE – KLAVIERMUSIK DER MODERNE

Seitdem die Musik der Moderne sich radikal von ihren historisch gewachsenen »Begriffs- und Gefühlswelten« (Nietzsche) emanzipiert, bewegen sich Komponisten, von Maßstäben, Vorbildern und Erfahrungen der Vergangenheit eifrig bemüht sich zu befreien, auf einer unbestimmten, orientierungslosen Fahrt ins Offene.

Wie Komponisten diesen sich selbst verzehrenden, kontinuierlich sich erneuernden Prozess der Moderne höchst individuell und divergent gestalten und wie durch ihre Werke Offenheit erst erzeugt wird, will ich anhand einiger ausgewählter Klavierwerke (von Debussy bis zur Uraufführung der Fünf Miniaturen) vorstellen. Ihre Auswahl bleibt dabei notwendig subjektiv, wie historisch selektiv. Diese konzeptionell offen gestaltete und anspruchsvolle Präsentation von ästhetisch und stilistisch verschiedensten, begrifflich nicht fassbaren Klavierwerken ist zugleich eine musikalisch abwechslungsreiche, kontrastreiche, heterogene und sinnliche Reise in die Klaviermusik der Moderne. Folglich können die vorgestellten Werke auch nur eine Momentaufnahme der Moderne, wie des individuellen Schaffensprozesses der Komponisten widerspiegeln.

Mit diesen Musikerlebnissen möchte ich auch Einblick in die unversöhnlichen Schwierigkeiten des Komponierens geben und klangvoll aufzeigen, wie jeder der hier vorgestellten Komponisten seinen musikalisch persönlichen Weg frei von Traditionen, Regeln und ästhetische Konzepten in latenter Verunsicherung und zielloser Zukunftsorientierung stets neu sucht und »komponiert«. Ihre Werke zeugen von dem Versuch, die Antinomien der Moderne zu bewältigen, indem diese ins Offene weisen.

Mit der »Moderne« (als Epochenbegriff), die sich bereits vor 1900 als Traditionsbruch ankündigt, bahnt sich eine vielfältige und zugleich heterogene Umbruchserfahrung von auseinanderstrebenden Kräften an: Einerseits ist man auf die Ideologie des Fortschritts fixiert, huldigt der Wissenschaftlichkeit und schwärmt von der Schönheit der Technik, Schnelligkeit und Geräuschen, anderseits kündigt die Traditionskrise das gewachsene Verständnis von Werk, musikalischem Material, Selbstverständnis des Künstlers, Formensprache, Tonalität, Fortschrittsoptimismus und linearem Geschichtsverständnis auf, was sich in musikalisch vielfältigsten und höchst unterschiedlichen Bewegungen, Ansätzen und Stilen manifestierte.

Es ist Claude Debussy, auf der Schwelle zur Moderne, der noch die Balance zwischen konventionellen Strukturen und neuen Klangfarben hält. Dabei experimentiert er mit mittelalterlichen Modi ebenso wie mit Jazz-Rhythmen, nimmt Anregungen außereuropäischer Kulturen auf und befördert so die »Emanzipation der Dissonanz« und beschreitet konsequent den Weg zur musikalischen Abstraktion. Die aus dem musikalischen Material gewonnenen strukturellen Verfahren werden erst von den Serialisten erkannt und weiterentwickelt. Dabei diente ihm, wie vielen Vertretern der Moderne, das Klavier als musikalisches Labor. Das Prélude no 1 »Brouillards« (1913) bringt bereits alle Ingredienzien der heraufziehenden Moderne zu Gehör: Diese zukunftsweisende Klangkomposition verzichtet auf Thema und Entwicklung ebenso wie auf eine eindeutige Tonart. Die Auflösung tonaler Kompositionstechniken setzen sich im Verlust der traditionellen Form fort und verlieren ihren Sinn – was bleibt, ist ein komponierter Prozess von Klangfarben, von strukturierten Klangbewegungen.

Spätestens nach den Erfahrungen zweier Weltkriege, Diktaturen und Fortschrittseuphorie waren Utopie und Albtraum der Moderne an ihr Ende gelangt. Im »Bewusstsein einer Epochenschwelle« führte die besondere Situation nach 1945 auch in der Musik zu einem Paradigmenwechsel. Die neue avantgardistische, serielle Musik ging weit über die Wiener Schule hinaus, wollte eine grundlegende Erneuerung schaffen und hat dabei auf der Suche nach »einem Schulmeister des Objektiven und der Organisation« (Thomas Mann) Orientierung, Zeit und Subjektivität verloren.

Als das Schlüsselwerk der seriellen Musik gilt Olivier Messiaens Etüde Mode de valeurs et d´intensités (1949), einem kompositionstechnischen »Übungsstück«, das Geschichte schrieb. Das kompositionstechnische Verfahren beruht auf Messiaens System der Modi und Rhythmen, das er im Vorwort erläutert: »Dieses Stück führt die Koppelung von Tondauern, Tonhöhen, Anschlagsarten und Intensitäten durch. Es benutzt einen Modus, bestehend aus 26 Tonhöhen, 24 Tondauern, 12 Anschlagsarten und 7 Intensitätsgraden. Es ist ausschließlich in diesem Modus geschrieben, d.h. es gebraucht außer den gewählten 36 Tonhöhen keine weitere Tonhöhe; diese Töne bleiben immer in der einmal gewählten Oktavlage fixiert, jede gekoppelt mit ihrer im Modus vorgesehenen Dauer, Anschlagsart und Lautstärke.«

Damit war der Weg zum Serialismus, für eine sich selbstorganisierende, am mathematischen Ideal durchorganisierte Musik von ästhetischer Objektivität geebnet. Die musikalischen Parameter: Tonhöhe, Rhythmus (jetzt: Dauer), Intensitätsgrade, Anschlagsarten, Artikulation bis hin zu Form (jetzt: Struktur) und Raum wurden quantifiziert und neu organisiert. Diese scheinmathematische Durchrationalisierung des musikalischen Materials wurde beim Komponieren verabsolutiert, indem bewusst auf Mimesis, Sinn, Motivik und Subjektivität verzichtet wurde, bei Ignoranz eigener Geschichtlichkeit. Man glaubte, Sinn stellt sich qua technischer Rationalität von selbst her, als Objekt des Fortschritts.

Karlheinz Stockhausen war es, der sein visionäres, antisubjektives Werkverständnis von »Reinheit« in Messiaens Etüde zu erkennen glaubte und, ähnlich wie Boulez, daran anknüpfte. Die mathematisch strenge Ausgestaltung des Serialismus betreibt Stockhausen auch im 2. Zyklus seiner Klavierwerke weiter voran. Im Klavierstück V (1954), einer Komposition von seriell strukturierten Klanggruppen experimentiert Stockhausen mit Zeitreihen und »Unbestimmtheitsrelationen« ebenso wie mit rhythmischen und melodischen Konfigurationen. Das Werk ist mit seinen z.T. neuen Spieltechniken für den Pianisten ebenso extrem, wie dieses sich der traditionellen ästhetischen Wahrnehmung für den Hörer verweigert.
Durch eine ins Extrem getriebene Rationalisierung des musikalischen Materials unter das Diktat der Zeit stößt die serielle Musik mit ihrem forcierten »Materialfetischismus« (Adorno) an ihre immanenten Grenzen, offenbart damit ihre Aporien nach nur wenigen Jahren des musikhistorischen Alleinvertretungsanspruchs und beginnt sich aufzulösen.

Dieser über einen Traditionsbruch hinaus weisende Paradigmenwechsel in die Postmoderne (seit den 60er Jahren) blieb nicht ohne Folgen: Im skeptischen Bewusstsein gegenüber dem Fortschrittsglauben der Moderne gewinnen verdrängte, ausgeblendete und tabuisierte Positionen von Werk, Ästhetik, Komponist, Komponieren, Aufführung und Tradition zunehmend an Bedeutung. Damit wird ein Fenster aufgestoßen, das vielfältigste Entwicklungslinien und neue Bezugspunkte sichtbar macht und so den Blick auf unbekannte Horizonte eröffnet. »Die Verfransung der Künste« (Adorno) führt auch in der Musik zu einem Pluralismus verschiedenster ästhetischer Positionen und höchst heterogener Werke.

Die 7 Etüden für Klavier (1999–2001) des Messiaen- und Xenakis-Schülers Pascal Dusapin können ihre französische Herkunft nicht verleugnen, sie sind von gezügeltem Konstruktivismus zwischen Neoserialismus und Postmoderne geprägt. Herb und kantig, impressionistisch farbig und reduziert, transparent und karg sind Töne und Klänge, Polyrhythmen und mikrotonale Melodik in den charakterlich höchst unterschiedlichen, jedoch stets von kreativer Intensität komponierten Etüden gestaltet.

Die konsequenteste Abkehr von der abendländischen Musik, weit über den Serialismus hinaus, vollzog der Italiener Giacinto Scelsi, der sich nicht als Komponist, sondern als Medium verstand. Nur der Künstler vermag durch Inspiration den Klang (als Ton), »die erste Bewegung des Unbewegten« zu erzeugen, deren Niederschrift einem anderen, dem Handwerker obliegt. Seine spirituelle Musik »wandelnder Klänge« bewegt sich im entgrenzten Raum zwischen Rationalität und Mystik auf dem Weg zu »Reinheit« und »Spiritualität« und versteht sich als »Teil einer göttlichen Einheit«. Seine zukunftsweisenden, meditativen Klangkompositionen, die in die Mikrotonalität vordringen, wie auch seine Quattro illustrazioni (1953) für Klavier verschließen sich der Analyse, »ihr Gestus ist Verweigerung« (Carl Dahlhaus).

Die Befreiungsversuche von einer ins Abstrakte, mit zeitlosem Gültigkeitsanspruch forcierten modernen Musik führten auch außerhalb Europas zu neuen Entdeckungen: So setzte sich der Japaner Toru Takemitsu mit seinem »Lehrer« Messiaen ebenso auseinander wie mit Nono, Stockhausen und Cage, experimentierte mit musique concréte, Elektronik und aleatorischer Musik, was ihn jedoch zu einer Rückbesinnung auf seine japanische Musiktradition führte. Ein Ergebnis seiner Auseinandersetzung mit der europäischen Avantgarde, mit Messiaens Modi und der traditionellen Pentatonik Japans war sein frühes Klavierwerk Lento in due movimenti (1950), das nach 40 Jahren überarbeitet und als Litany (in Memory of Michael Vyner) 1990 uraufgeführt wurde. Natur als ästhetische Referenzgröße, als eine Erfahrungshaltung wird für ihn zur Kraft der Stille, wie zuvor schon für seinen »Lehrer« Debussy. Die neuen Klang- und Gestaltungsräume erlauben ihm so die Überwindung von »Formmanien« (Debussy).

Abgeschnitten von musikalischen Entwicklungen nach 1945 und unberührt von verschiedensten Strömungen und Stilrichtungen in Westeuropa entwickelte Sofia Gubaidulina ihren religiös geprägten »natürlich wachsenden« Personalstil. Sie setzt sich in ihren Werken mit der musikalischen Tradition ebenso auseinander wie mit Webern und der seriellen Musik. Als Komponistin bekennt sie sich zur Romantik wie zu ihrer religiösen Überzeugung: »Komponieren ist ein religiöser Akt«, experimentiert mit der Zwölftontechnik, mit Zahlensymbolik wie mit verschiedensten rhythmischen Prozessen und schreibt bewusst klare und überschaubare, auf den Hörer gerichtete Werke. Ein frühes Klavierwerk ist die vom Barock inspirierte Chaconne von 1963. Die Variationen über ein achttaktiges Thema sind formal klar strukturiert und das musikalische Material, Rhythmus und Klang bewegen sich expressiv, vorsichtig über traditionelle Grenzen hinaus.

Aus existentieller und religiöser Erfahrung heraus vollzieht Arvo Pärt eine radikale Abkehr von erprobten Kompositionstechniken der Neuen Musik und findet durch die Auseinandersetzung mit der Gregorianik zu einem persönlichen Kompositionsstil. Das zweistimmige Klavierstück Für Alina (1976) ist das erste nach dem von ihm entwickelten Tintinnabuli-Stil komponierte Werk. Die Regelhaftigkeit und der minimalistische Umgang mit der Tradition, unter Verzicht auf »Fortschritt« des musikalischen Materials und avantgardistischen Moden, verschaffen seinen Werken formale Klarheit und klanglichen Purismus von hoher Unmittelbarkeit beim Hörer.

Die Fünf Miniaturen (2014–2016) von Hans-Michael Rummler sind ein musikalisches Psychogramm, ein Seismograph persönlicher Befindlichkeiten und zugleich eine Klangreise zwischen komponierendem Beobachter und beobachteter Person. Töne werden punktuell gesetzt, zu Linien gefügt oder in Akkorden komprimiert und mit funktional geordneten Rhythmen und Intervallen zu einem Klavierstück voller Kraft und Intensität gestaltet. Der kompositorische Arbeitsprozess ist ein sinnstiftender Balanceakt zwischen rationalem Gestalten und vieldeutigem Experimentieren. Immer streng konstruiert, ohne abstrakt zu wirken, werden klangsinnlich, mit markanten Rhythmen und oft kantig geballten vieltönigen Akkorden Extreme ausgelotet. Gleichzeitig führen Linien wohldosiert zu Ruhe und stiften Orientierung in Zeit und Raum. Charakteristisch für meinen Kompositionsstil – ob Klavier- oder vielstimmige Chorwerke – ist stets eine ausgeprägte Dramaturgie von formbildender Kraft, wie auch eine dem Hörer geneigte transparente, wahrnehmbare und erkennbare Musik, voller Klangintensität, expressiver Gesten, stark pulsierenden Rhythmen, kantabler Sinnlichkeit und Ruhe.

Hans-Michael Rummler

Programm:

Claude Debussy (1862–1918)
[01] Prélude no 1 “Brouillards” from Préludes, Deuxième livre (1913) 02:58

Olivier Messiaen (1908–1992)
[02] Mode de valeurs et d’intensités from Quatre études de rythme (1949) 04:20

Karlheinz Stockhausen (1928–2007)
[03] Klavierstück V (1954) 05:02


Pascal Dusapin
 (*1955)
[04] Étude no 6 (1999) from 7 Études pour piano (1999–2001) 05:39

Giacinto Scelsi (1905–1988)
[05] Quattro illustrazioni (1953) Four illustrations on the metamorphosis of Vishnu 04:02

Toru Takemitsu (1930–1996)
Litany (1950/1989) 11:25
[06] I. Adagio 05:24
[07| II. Lento misterioso 06:01

Sofia Gubaidulina (*1931)
[08] Chaconne (1963) 09:10

Arvo Pärt (*1935)
[09] Für Alina (1976) 02:32

Hans-Michael Rummler (*1946)
Fünf Miniaturen (2014–2016)
[10] Nr. 1 Träumen? 04:38
[11] Nr. 2 Burleske 13:12
[12] Nr. 3 In die Ferne 05:19
[13] Nr. 4 Wut und Zorn 05:11
[14] Nr. 5 Wohin? 07:47

World Premiere Recordings

total playing time: 81:15

Andreas Skouras, piano

Pressestimmen:

November 2017

 

September 2017

Januar 2017

 

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