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Jürg Wyttenbach, Katrin Frauchiger, Katharina Weber, Hanns Eisler, Alban Berg: Vom Sprengen des Gartens

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Artikelnummer: NEOS 11809 Kategorien: ,
Veröffentlicht am: Oktober 19, 2018

Infotext:

VOM SPRENGEN DES GARTENS
Lieder von Jürg Wyttenbach, Katrin Frauchiger, Katharina Weber, Hanns Eisler und Alban Berg

»Zu analysieren gibt es da nicht viel!«, bemerkt Jürg Wyttenbach schalkhaft. Wir sitzen in einem Berner Café, vor uns ausgebreitet sind Fotokopien der »Liedle«, wie der Komponist seine 8 Duettini und Drei kurzen Gebete schlicht und liebevoll nennt. Sie sind 2014 für Katrin Frauchiger und Katharina Weber entstanden. »Ich muss stets wissen, für wen ich schreibe. Und meistens habe ich für befreundete Musikerinnen und Musiker geschrieben.« Sie also bestimmen Konzeption und Ergebnis latent mit. Letzteres überrascht hier: Gegen das Etikett »typischer Wyttenbach« scheint es sich auf den ersten Blick zu sträuben. Doch worin besteht dies Typische? Im Théâtre musical, der szenischen Aktion, dem (bisweilen derben) Witz, der Ironie und Groteske?

Die beiden Widmungsträgerinnen, die mit Wyttenbachs Œuvre eng vertraut sind, sehen es differenzierter: Vor, hinter und neben dem bunten Treiben des instrumentalen und vokalen Theaters gab es stets auch das sehr Private, das Tiefgründige, den Zug ins Ernste, verbunden mit radikaler Verknappung, messerscharfer Präzision des Ausdrucks. Und es ist dieser Aspekt seiner Kunst, den Wyttenbach in den Miniaturen für Frauchiger und Weber herausstellt. Die passenden Texte für die 8 Duettini fand er beim japanischen Haiku-Dichter Issa (1763–1827) und im Gedichtband Zoé Zebra (2004) von Kurt Marti (1921–2017). Lyrik der beiden hatte Wyttenbach bereits zuvor verarbeitet: Haikus von Issa (und anderen) in Laut Käfig für Sopran und Harfe oder Gitarre (1995–97, für Ingrid Frauchiger), Gedichte von Marti in Ist Klang der Sinn? für einen rezitierenden Cellisten (2009). Und nun vereint er die japanische Poesie und jene des Berner Theologen unter einem Dach. Was hat es mit dieser Kombination auf sich? »Martis Gedichte sind natürlich keine Haikus«, doch in Präzision und Dichte, sagt Wyttenbach, seien sie den japanischen Dreizeilern durchaus vergleichbar.

Die Musik nimmt diesen Gestus eindrücklich auf. Da ist keine Note zu viel, keine zu wenig; jeder Ton ist durchdacht, auch wenn keiner einem »System«, sprich: einer Reihe oder dergleichen, angehört (eben: »Zu analysieren gibt es da nicht viel«). Machen die Duettini hie und da von einem, wenn auch äußerst dezenten, musikalischen Augenzwinkern noch Gebrauch, so entfällt es in den Gebeten an Kannon Bosatsu, die japanische Göttin der Barmherzigkeit, ganz. Die Schlichtheit, ausdrucksvolle Wärme und – in traditionellem Sinne – Schönheit dieses kleinen Zyklus sind nachgerade berückend. »So einfach hatte ich nie geschrieben«, sagt Wyttenbach. »Ich wollte einfach mal weg von der Chromatik und hatte beim Komponieren auch immer wieder diese japanischen Klänge im Ohr.« Plakatives Lokalkolorit habe er jedoch vermeiden wollen. Behutsame Anklänge gibt es dennoch: dezent eingewobene pentatonische Wendungen zum Beispiel. Oder aber die weite, oftmals eine None einschließende Lage im Klavier, verbunden mit einem harten Anschlag. Klangliches Vorbild waren hier die mit Plektren gespielten japanischen Saiteninstrumente.

Einige Wochen zuvor in einem anderen Berner Café: Katrin Frauchiger und Katharina Weber reden über die Faszination von Lied und Lyrik aus kompositorischer Perspektive. Abermals sind es Kategorien wie Dichte, Präzision des Ausdrucks, Knappheit der Form, die in den Fokus rücken. Aber auch die Freiheit. »Lyrik ist etwas derart Wichtiges«, sagt Katharina Weber, »zumal in einer Zeit, in der so viel geschrieben, so viel Prosa produziert wird. Demgegenüber ermöglicht das Gedicht Konzentration – und zugleich Freiheit, denn es lässt vieles offen«, bietet großzügig Raum für eigene Gedanken und Assoziationen, gerade auch musikalische.

Ihren Liederzyklus für Katrin Frauchiger (eingespielt sind auf dieser CD sieben von insgesamt neun Liedern) komponierte Katharina Weber 2014 auf Gedichte von Martin Merz (1950–1983), der an einem Hydrozephalus gelitten hatte und dessen älterer Bruder der Schriftsteller Klaus Merz ist. »Ich habe hier keinen bestimmten Stil, in dem ich komponiere«, erläutert Weber den Facettenreichtum ihrer Miniaturen. Vielmehr reagierte die musikalische Fantasie auf die vielgestaltigen Bilder, die Merz’ einzigartige Lyrik evoziert. Inspirierend war überdies die eigentümliche Manier, in welcher der Dichter seine eigenen Texte rezitiert, besser: vorgesungen hatte. Davon existieren Tonaufnahmen, die der Komponistin zur Verfügung standen.

So ist zum Beispiel die schlichte, in natürlichem h-Moll gehaltene Melodie von Zwei Welten (Nr. 1) dem Charakter von Merz’ Gesang nachempfunden. Mit der Singstimme kontrastiert das Klavier aufs erste Hinhören scharf: »In ametrischen Abständen«, wie die Spielanweisung besagt, intoniert es cluster-artige Akkorde sowie eine davon abermals unabhängige Bassstimme. Bei näherer Betrachtung aber entdeckt man doch ein dünnes Band, das die beiden Welten, jene des Gesangs und jene des Klaviers, zusammenhält: Besagte Akkorde leiten sich nämlich von einem erweiterten h-Moll-Klang ab. Was sich hier am einzelnen Lied beobachten lässt, greift im ganzen Zyklus: Disparates musikalisches Material – darunter, konkret in Hier sind sie, auch Anklänge an Pentatonik – wird subtil ausbalanciert, das Mannigfaltige zu einem Ganzen gerundet. »Katharinas Lieder«, ergänzt Katrin Frauchiger, »sind sehr anspruchsvoll, denn als Sängerin muss man streckenweise ganz unabhängig denken.« In diesem Sinne besonders knifflig sei auch Lied Nr. 2, Der rote Mantel.

Katrin Frauchigers eigener Liederzyklus »… und die Nacht ist paillettenübersät« auf Texte von Meret Oppenheim (1913–1985) war 2004 / 05 in einer Fassung für Sopran, Flöte und Klavier für das Ensemble Amaltea entstanden. Ursprünglich hatte das Werk aus einem instrumentalen Prolog und sechs Liedern bestanden. Für die vorliegende Teileinspielung integrierte die Komponistin die Flötenstimme in den Klaviersatz und erweiterte überdies das Lied Dort oben in jenem Garten um ein Vor- sowie kurze Zwischenspiele des Klaviers. Bei der Komposition der Lieder, sagt Frauchiger, habe sie sich assoziativ von den wechselnden Bildern in Oppenheims Texten leiten lassen, von der raschen Abfolge von Drastik und zarter Poesie. Dass hierbei keine »errechnete« Musik entstanden ist, ist damit bereits angedeutet. Frauchiger entwirft ihre Klangwelten nicht am Reißbrett. »Ich höre die Musik in mir oder arbeite am Klavier, experimentiere dort, horche die Klänge aus.« Und doch gibt es sie, die konstruktiven Elemente: Motive, die einen roten Faden spinnen, für eine formale Verklammerung sorgen. Zumeist befinden sie sich in der Klavierstimme, in der Gestalt von Akkorden. Die beiden eröffnenden Klänge von Dort oben in jenem Garten beispielsweise akzentuieren später, sei’s in originaler Formulierung oder leicht verändert, Übergänge formaler Abschnitte. In Am Anfang ist das Ende sind es zumal die Arpeggien des Vorspiels, deren spezifische Klanglichkeit – dominierende Intervalle sind der Tritonus und die große Sekunde – im weiteren Verlauf immer wieder aufgegriffen und gestaltend genutzt wird.

Ihre Stücke und jene Wyttenbachs ergänzen Frauchiger und Weber durch Alban Bergs Sieben frühe Lieder (1905–08) sowie eine Auswahl aus Hanns Eislers Hollywooder Liederbuch (1942 / 43 im amerikanischen Exil entstanden). Weshalb diese Kombination? »Bei Berg ist es der Gegensatz zu den anderen Sachen, der uns gereizt hat.« Dort die Knappheit und Transparenz, hier die weitgespannte Phrase und Üppigkeit. »Da kann man pianistisch, aber auch stimmlich ganz andere, ›geweitete‹ Dimensionen aufmachen.« Überdies ist die Zweite Wiener Schule eine Herzensangelegenheit, ihre Musik für die Werdegänge beider Interpretinnen / Komponistinnen prägend. Und wie fügen sich die selten aufgeführten Lieder von Eisler ins Konzept? Entscheidend ist weniger der Umstand, dass auch er einst Schüler Schönbergs gewesen war, als vielmehr seine ästhetische Maxime, »verständliche Musik zu schreiben, ohne banal zu werden.« Hierin eröffnen sich, bei aller Differenz des Stils, Parallelen zum eigenen kompositorischen Schaffen.

Doris Lanz

Programm:

Vom Sprengen des Gartens
Songs by Jürg Wyttenbach, Katrin Frauchiger, Katharina Weber, Hanns Eisler and Alban Berg

Jürg Wyttenbach (*1935)
8 Duettini for female voice and piano (2014),
for Katrin Frauchiger and Katharina Weber,
on poems by Issa and Kurt Marti

[01] I Sogar mein Schatten 00:34
[02] II heut nimmt mich wunder 00:51
[03] III Still die Herbstnacht 00:59
[04] IV kaltes land 01:00
[05] V Der Bauer 00:56
[06] VI ernst des südens 01:11
[07] VII Pass auf 00:26
[08] VIII guter tag 01:03

Katrin Frauchiger (*1967)
from “…und die Nacht ist paillettenübersät“ (2005 / 2014),
on texts by Meret Oppenheim

[09] Prolog for piano solo 01:21
[10] Dort oben in jenem Garten 01:48
[11] Am Anfang ist das Ende 04:11

Katharina Weber (*1958)
Seven Songs for soprano and piano from “Zwischenland” (2014),
for Katrin Frauchiger,
on poems by Martin Merz

[12] 1. Zwei Welten 01:47
[13] 2. Der rote Mantel (for Erika Radermacher) 01:13
[14] 3. Mein Traum (for Fred Frith) 02:21
[15] 4. Rase 00:22
[16] 5. Erwachen 01:30
[17] 6. Bange Frage 01:17
[18] 7. Hier sind sie (for Brigitte Trenkel) 01:29

Jürg Wyttenbach (*1935)
Drei kurze Gebete an die japanische Göttin der Barmherzigkeit Kannon Bosatsu
for female voice and piano (2014),
for Katrin Frauchiger and Katharina Weber

[19] I 01:07
[20] II 01:05
[21] III 01:20


Hanns Eisler
 (1898–1962)
Selected Songs from “Hollywood Songbook” (1942 / 1943)

[22] Der Mensch 01:00
[23] Anakreon-Fragment II 01:09
[24] Hotelzimmer 1942 02:22
[25] Die Heimat 01:37
[26] Ueber den Selbstmord 01:43
[27] Vom Sprengen des Gartens 01:54
[28] Hollywood 01:11
[29] An eine Stadt 04:01


Alban Berg
 (1885–1935)
Seven Early Songs (1905–1908)

[30] Nacht 03:59
[31] Schilflied 02:19
[32] Die Nachtigall 02:07
[33] Traumgekrönt 02:41
[34] Im Zimmer 01:20
[35] Liebesode 01:52
[36] Sommertage 01:58

total playing time: 59:03

Katrin Frauchiger soprano
Katharina Weber piano

Pressestimmen:

22.01.2018

www.the-new-listener.de

Katrin Frauchiger und Katharina Weber spielen zeitgenössische Lieder sowie Vokalwerke aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Von Jürg Wyttenbach hören wir 8 Duettini für Frauenstimme und Klavier nach Gedichten von Issa und Kurt Marti sowie Drei kurze Gebete an die japanische Göttin der Barmherzigkeit Kannon Bosatsu für Frauenstimme und Klavier – beide Werke wurden den darbietenden Künstlerinnen gewidmet. Die Sopranistin Katrin Frauchiger steuert selbst zwei Lieder mit Prolog für diese Aufnahme bei, die aus ihrem Zyklus „…und die Nacht ist paillettenübersät“ auf Gedichte von Meret Oppenheim entnahm und bearbeitete. Auch von der Pianistin Katharina Weber erklingt Musik, sieben von neun Lieder aus „Zwischenland“ auf Gedichte von Martin Merz. Die zweite Hälfte der Aufnahme bilden ausgewählte Lieder aus dem „Hollywood Songbook“ von Hanns Eisler und die Sieben frühen Lieder aus der Feder Alban Bergs.

In der heutigen „modernen“ Musik, die oft so abstrakt und komplex ist, dass der Hörer schnell den Halt in ihr verliert, steht das Klavierlied da wie ein Fels in der Brandung: Der Text gibt uns den nötigen Griff und die auf 88 Tasten beschränkte Begleitung können wir gut in den Kontext der Vokallinien setzen. Sofern der Komponist darauf Wert legt, dass der Text verstanden werden soll, muss er eine gewisse Klarheit anstreben, die beim einmaligen Hören schon durchdrungen werden kann.

Der erste Beitrag der vorliegenden CD stammt von Jürg Wyttenbach, der die Herausforderungen des Klavierliedes durch enorme Reduktion löst – die die Titel bereits verkünden. Anders als in den meisten seiner Werke fokussiert sich der Komponist in den 2014 für Frauchiger und Weber geschriebenen Duettini und kurzen Gebeten nicht auf ausladende Geste und Chromatik, sondern auch einzelne Klangereignisse im Klavier, die durch die Sopranstimme zusammengehalten werden. Die hieraus resultierenden Vokalstücke unterliegen keinem festen System, sondern sind instinktiv auf Klang und Gefühl ausgelegt. In die Duettini integriert Wyttenbach zudem Klangeffekte, die das Klavier nicht mit Fingern auf den Tasten, sondern nur mit Hilfsmitteln und auf den Saiten realisieren kann. (Mich hätte sehr interessiert, wie diese zustande gebracht werden, leider gibt der recht boulevardmäßig geschriebene Begleittext keinen Aufschluss darüber.)

Katrin Frauchiger basiert ihren Zyklus „…und die Nacht ist paillettenübersät“ auf nur schwer durchdringbare Texte von Meret Oppenheim.  Entsprecht schwierig gestaltet es sich für den Hörer auch, gerade das zweite Lied „Am Anfang ist das Ende“ textlich nachzuvollziehen, was sich auch auf die Wahrnehmung der Musik auswirkt. Frauchiger findet ansprechende Zusammenklänge und zaubert fließende Melodien; nur ein umfassender Bogen fehlt mir, der das gesamte Lied umspannt und zu einer Einheit formt.

Spannend gestalten sich die Beiträge von Katharina Weber aus ihrem Zyklus „Zwischenland“. Die Pianistin isoliert die Klavierstimme von der Sopranstimme, um so einen Kontrapunkt zu schaffen und zwei Gefühlswelten parallel ablaufen zu lassen. Während der Sopran auf dem Text schwebt, sorgt das Klavier für einen Groove: scharfe Akzente und aufreibende Dissonanzen halten die Aufmerksamkeit durchgehend oben.

Aus dem Hollywood Songbook von Hanns Eisler wählten die Musikerinnen acht Lieder aus, welche die stilistische Vielfalt und die Extremität der Entstehungszeit dieser Exilliteratur verdeutlichen. Freie Tonalität und Dodekaphonie treffen auf amerikanisches Flair, Blues und Unterhaltungsmusik.

Wenngleich Frühwerke, sind für mich die Sieben frühen Lieder Alban Bergs nicht weniger Meisterwerke, die zu Recht bis heute einen festen Platz im Liedrepertoire einnehmen. Sie wurden noch vor Bergs großem Einstieg in die Komponistenwelt durch die überwältigende Klaviersonate op. 1 geschrieben. In den Liedern greift Berg vorhandene kompositorische Idiome auf, setzt sie aber bereits auf ganz eigene Weise um.

Katharina Weber und Katrin Frauchiger beweisen sich als gewandte und vielseitige Musikerinnen, denen sowohl der minutiös reduzierte Stil als auch das Ausladende, Pathetische liegt. Voll entfalten können sie sich natürlich in erster Linie bei Eislers „An eine Stadt“ und bei Bergs Liedern; diese erlauben es ihnen, große Linien vorzutragen und ihre Künste der Phrasierung zu präsentieren. Weber besticht auch in ihren eigenen Liedern als Impulsgeberin – worauf Frauchiger kongenial eingeht.

Oliver Fraenzke

 

In der Dezember-Ausgabe 2018 schrieb Walter Kläy auf Seite 20 unter dem Titel „Zwei Frauen und ihre Lieder“:

Zwei außergewöhnliche Musikerinnen aus Bern haben mit der Interpretation von 35 Liedern aus einem Zeitraum von über 100 Jahren eine Kostbarkeit geschaffen: Eine Produktion, die in der Programmgestaltung wie in der interpretatorischen Qualität ganz besonders gelungen ist. Beide … sind nicht nur exzellente Interpretinnen, sondern auch gewiefte Komponistinnen, und es versteht sich von selbst, dass sie auch ihr eigenes Schaffen dokumentieren. (…) Sehr schön finde ich die Kombination mit acht Liedern aus dem Hollywood Songbook (1942/43) von Hanns Eisler und den Sieben frühen Liedern (1905-1908) von Alban Berg. Da kommt Vergangenheit ins Spiel, was sowohl für Wyttenbach  wie für Frauchinger und Weber wesentlich ist. Die Gegenwart spiegelt das Vergangene. Ein weiterer Pluspunkt dieser CD ist das Booklet mit dem ausgezeichneten Text von Doris Lanz.

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