In Kürze:
Dämmerung ist eine wahre Odyssee aus Klang und Dramatik. Es ist die Erkundung eines neuen Klaviers, das durch verschiedene Präparationen verwandelt und durch ein elektronisches Gerät, das es buchstäblich in einen Lautsprecher verwandelt, erweitert wird. Das Werk ist das Ergebnis einer mehrjährigen Zusammenarbeit zwischen dem französisch-schweizerischen Pianisten Cédric Pescia und dem Schweizer Komponisten Kevin Juillerat. Es wurde 2020 während eines 6-monatigen Künstleraufenthalts in Berlin geschrieben und am 20. Mai 2022 in Lausanne (CH) uraufgeführt.
Präpariertes Klavier:
Das präparierte Klavier ist ein Klavier, das durch Hinzufügen verschiedener Gegenstände und Materialien (Schrauben, Münzen, Patafix, Gummistücke usw.) auf oder zwischen den Saiten des Instruments verändert wird. Dieses Verfahren wurde in den 1940er Jahren von dem amerikanischen Komponisten John Cage erfunden. Daraus entwickelte sich ein spannendes Repertoire, das Cédric Pescia seit vielen Jahren spielt.
Nachdem er Cages Methoden der Präparation kennengelernt hatte, entwickelte Kevin Juillerat seine eigenen Techniken – mit anderen Objekten, auf andere Weise platziert. Durch die verschiedenen Arten der Präparation entstehen Zonen mit verschiedenen Harmonien und Klangfarben, die im Laufe des Stücks erforscht werden: eine lange Reise von geräuschhaften und verzerrten Klängen bis hin zum gewöhnlichen Klang der wenigen verbleibenden unpräparierten Noten.
Elektronik:
Die Präparation wird ergänzt durch ein elektronisches Gerät, das eine weitere Ebene der Metamorphose des Instruments ermöglicht. Im Klavier sind Wandler installiert: Diese kleinen Kontakt-Lautsprecher sind auf den Resonanzboden geklebt, durch den somit alle elektronischen Klänge gefiltert und gestreut werden. Dadurch entsteht eine außergewöhnliche Klangfarbenmischung und Homogenität. Diese Klänge wurden aus vorbereiteten Klaviersamples erzeugt – transformiert, gedehnt oder angereichert. So verschmelzen akustische und elektronische Klänge durch das Spiel mit scheinbaren Resonanzen, falschen Resonanzen, Klang-Halos und Texturen zu einem stets fließenden und organischen Material.
Dämmerung:
Der Titel Dämmerung verweist auf ein »Dazwischen« und einen unsicheren Zustand des Übergangs. Eine Musik zwischen Licht und Schatten. Ein Klavier, das kein richtiges Klavier ist, dessen Töne durch die Vorbereitung und die unwirklichen Klänge der Elektronik, die es durchzieht, verändert werden. Aber auch die Umstände der Komposition des Stücks: Einerseits Berlin, wo es geschrieben wurde, eine Stadt, die im Laufe der Geschichte viel Wandlung erfahren hat (Zweiter Weltkrieg, Mauer, Wiedervereinigung, extremer Neoliberalismus usw.); und andererseits 2020, das Jahr, in dem es geschrieben wurde, das stark von der COVID-19-Pandemie geprägt war – eine seltsame Zeit des Wartens auf eine erhoffte Rückkehr zur Normalität oder eine hypothetische Veränderung in unserer Gesellschaft.
Kevin Juillerat