Matthias Pintscher: Solo and Ensemble Works

17,99 

+ Free Shipping
Artikelnummer: NEOS 11302 Kategorie:
Veröffentlicht am: Dezember 1, 2014

Infotext:

WERKE VON MATTHIAS PINTSCHER

Matthias Pintscher gilt unter den um 1970 geborenen Komponisten als einer der erfolgreichsten und repräsentativsten. Seine ästhetische Positionierung setzt bei der Generation seines Lehrers Manfred Trojahn an und zeigt sich in einer kritischen Haltung zur »Avantgarde« wie zu jeder Idee von Avantgarde – in einem Argwohn gegenüber jeder von außen verhängten Etikettierung: »Der Begriff der Avantgarde hat sich für mich erledigt, man kann nicht ›vor etwas‹ sein, was dann durch Determination als ›das Neue‹ erkannt und apologisiert wird. Es gibt aber dieses Drängen zur Subjektivität: Versuche, so subjektiv zu sein wie möglich (und nicht als Repräsentant irgendeiner Entwicklungsrichtung); versuche, dass man sofort erkennt, beim ersten Ton, dass es nur dein Stück sein kann, auch wenn dieser Ton längst ›verbraucht‹ und vielleicht von Beethoven zu stammen scheint. Dieser Druck hat sich gegenüber der Situation vor einigen Jahren gewaltig vergrößert.«

Pintscher verneint traditionelle Gattungen nicht, er unterstreicht (verbaliter und mit seiner Musik) die unabdingbare Verfügbarkeit handwerklicher Fertigkeiten des Metiers. Er bekennt sich zu musiksprachlichen Ausdrucksqualitäten von Musik und schreibt Werke, die ihre Qualitäten in einem poetischen Umfeld besitzen: »Musik, die durch ihren Klang spricht«. Seine Kompositionen spiegeln die Überzeugung, dass Musik unmittelbar emotional erlebbar sein soll. Auf diese Weise gelingt es ihm, im eigentlichen Sinne Gehör zu finden, ohne auf geistigen Anspruch zu verzichten – auch bei einem Publikum, das nicht nur Festivals und Konzerte Neuer Musik frequentiert. Der Komponist, dem das ganze Vokabular zeitgenössischen Handwerks zur Verfügung steht, greift jedoch keineswegs in gängige Schubladen, um bequem zu Rezipierendes herauszuholen. Doch wie verläuft der schöpferische Prozess? »Es fängt mit einem Gefühl an, und dann versucht man herauszufinden woher dieses Gefühl kommt, was es auslöst, was es bewirken kann. Und mit diesem Wissen kann man dann weiterarbeiten. […] Ich kann nur komponieren, wenn ich wie ein Handwerker, etwa ein Goldschmied, alles weiß über das Material, wie man es formen kann, um dann etwas daraus zu schaffen, was von außen besehen schlüssig wirkt oder sogar schön erscheint. Ich muss die Binnenkontrolle schon fast bis zum Exzess treiben, um dann die Freiheit der Form und des Ausdrucks zu finden.«

Allgemein offenbaren Matthias Pintschers Partituren die Akribie eines Künstlers, der genaueste Vorstellungen vom daraus klanglich zu entwickelnden, vom lyrischen oder dramatischen Resultat besitzt. Neben dynamischer Feinjustierung und ausgeklügelter Artikulationspalette widmet er der (Prä-)Disposition von Klangentwicklung im Raum hohe Aufmerksamkeit: »Ich denke beim Komponieren daran, wo die einzelnen Spieler sitzen und wie weit die Instrumente voneinander entfernt sind. Im poetologischen Sinn meint dies, dass meine Musik durch die vielen Impulse, die gesetzt werden, und durch das auskomponierte Nachklingen die Illusion einer akustischen Räumlichkeit evoziert.« Der Klang besitzt für ihn beim kompositorischen Prozess Priorität – das Bilden der Struktur ist dem Ausbilden »klanglicher Zellen« nachgeordnet: »Meine Musik ist nicht architektonisch konstruiert. Aber wenn man sich vorstellt, wie eine architektonische Zeichnung aussieht, wie da jeder Punkt genau abgemessen ist, dann ist das vergleichbar. Ich versuche jeden Klang, jede Situation, aber auch jedes singuläre Ereignis zu kontrollieren, um ihm dann die Freiheit zu geben, die ihm sowieso innewohnt. […] Wenn ich mit einem Stück beginne, so entwickelt sich aus der Besetzung heraus ein klangliches Vokabular, und dann entsteht ein Katalog von Gestalten und Situationen, die zueinander in Beziehung gesetzt werden, und daraus entwickelt sich dann die Dramaturgie.«

Ein auffallend großer Teil von Pintschers Werken ist textgebunden. Aber auch im rein Instrumentalen vermag Literatur inspirierend auf den Kompositionsprozess zu wirken. Sprache fasziniert Matthias Pintscher zuerst durch ihre Bilder und Klänge. Es sind weniger die Geschichten oder gar Figuren, die ihn fesseln, nicht einmal bei Thomas Chatterton, seinem ersten Opernprotagonisten (1994–98) oder bei Hérodiade, der in einer dramatischen Szene (1999) zu Wort kommenden antiken Figur. »Ich liebe es, für Stimme zu komponieren, liebe es, wenn eine Stimme ›schön‹ klingt […]. Das Singen ist doch der schönste Ausdruck der Musik, immer an den Atem gebunden.« Wenngleich Matthias Pintscher selbst nie Gesang studiert und sich mit dessen technischen, physiologischen Konditionierungen theoretisch kaum auseinandergesetzt hat, besitzt er ein ausgeprägtes Gespür, ebenso ausdrucksstark wie singbar für Stimme zu schreiben. »Die Begeisterung kommt zurück – auch von den Sängern. […] Die Stimme hat ihr eigenes Register, sie lässt sich nicht durch äußere Kunstgriffe beeinflussen.« Je klarer die Gesangslinie komponiert ist, desto aufgebrochener kann der instrumentale Raum sein: Pintscher komponiert keine Begleitungen im eigentlichen Wortsinn. Denn bei aller Präsenz der Worte, der Singstimme, sollte immer ein durch Dualität erzeugtes, ausgelotetes Verhältnis zwischen Vokalem und Instrumentalem entstehen. Nicht jede dichterische Sprache eignet sich für Matthias Pintscher zur Vertonung – vornehmlich eine »chiffrierte«, »überhöhte« wie die von Stéphane Mallarmé (oder der französischen Symbolisten überhaupt) geben ihm »die Möglichkeit, einen akustischen Raum darzustellen. Das lässt Musik zu, während etwa ein Rilke- oder Trakl-Gedicht für mich keine Musik daneben zulässt. Da werden dann die Worte klein, oder die Musik wird klein«. Über Poesie und literarische Gestalten hinaus wirk(t)en Impulse aus anderen Künsten auf verschiedene Werke Pintschers anregend: das bildhauerische Werk von Alberto Giacometti (auf den Zyklus Figura, 1997/2000), die Biographie der schillernden Persönlichkeit Gesualdos (Streichquartett Nr. 4 »Ritratto di Gesualdo«, 1992), auf ein Environment von Joseph Beuys (dernier espace avec introspecteur, 1994).

Jeder neue Schaffensprozess markiert eine Art Zäsur, schließt etwas ab, um Neues entstehen lassen zu können: »[…] indem man Musik schreibt, befreit man sich auch von ihr.« Und das Unerfüllte stellt sich »als Aufgabe für neue Stücke«: »Wenn ich etwas komponiert habe, gehe ich weiter. Und die Imperfektion oder das, was nicht geglückt ist – oder auch das, was auf eine Weise geglückt ist, dass ich denke, da weiterarbeiten zu können –, wenn ich also ein Unerfülltsein sehe, dann nehme ich das mit in die Arbeit an dem neuen Werk.« Mit dem Prozess des Loslassens vollzieht sich auch ein »Entfernen«, das gleichsam eine Betrachtung von außen, einen neuen Blickwinkel ermöglicht. So sieht sich der Komponist als Interpret eigener Partituren mitunter vor einer neuen Situation: »Wenn ich (weil ein Veranstalter es will) ein Stück von mir dirigieren soll, dessen Komposition lange zurückliegt, dann muss ich das richtig lernen. Ich muss mich fast selbst interpretieren: Wie dachte ich das denn? Warum schreibe ich ein Forte, wo ich heute höchstens ein Mezzopiano schreiben würde? Ich merke also, wie man inzwischen weitergegangen ist.«

Allmuth Behrendt
© 2006

Programm:

[01] A Twilight’s Song for soprano and seven instruments (1997) 09:46
On a poem by E. E. Cummings

[02] on a clear day for piano solo (2004) 07:18

[03] Monumento V for eight female voices, three violoncellos and ensemble (1998) 14:45

[04–11] Sieben Bagatellen mit Apotheose der Glasharmonika for bass clarinet in B flat (1993, rev. 2001) 18:33

[04] Bagatelle I 03:05
[05] Bagatelle II 01:33
[06] Bagatelle III 03:27
[07] Bagatelle IV 01:24
[08] Bagatelle V 03:16
[09] Bagatelle VI 01:37
[10] Bagatelle VII 03:11
[11] Apotheosis 01:02

[12] Janusgesicht for viola and violoncello (2001) 09:03

[13] Study II for Treatise on the Veil for violin, viola and violoncello (2006) 13:54

total playing time: 73:40

Ernesto Molinari bass clarinet [04–11]
Sylvia Nopper, soprano [01]

Basler Madrigalisten [03]
Daniela Burkhalter / Lucia Rottenecker / Jennifer Rudin / Svea Schildknecht, soprano
Brigitta Dardel / Christa Mosimann / Francisca Näf Vosnjak / Susanne Otto, mezzo-soprano

Ensemble Contrechamps
Rebecca Lenton, flute [01 / 03] · René Meyer, clarinet [01 / 03]
Pierre-Stéphane Meugé, saxophone [03] · Sylvain Guillon, horn [03]
Laurent Fabre, trumpet [03] · Jean-Marc Daviet, trombone [03]
Sébastien Cordier [03] / Thierry Debons [03] / François Volpé, percussion [01 / 03]
Bahar Dordüncü, piano [02  / 03] · Notburga Puskas, harp [01  / 03]
Christophe Dufaux, accordion [03] · Nicolas Jéquier, [03] / Daniel Rowland [13], violin
Geneviève Strosser, viola [01  / 03  / 12 / 13]
Daniel Haefliger [01 / 03 / 12 / 13] / Olivier Marron [03] / François Abeille [03], violoncello
Noëlle Reymond, double bass [03]

Matthias Pintscher conductor

Pressestimmungen:

03/2015

 


27.01.2015

Klassikkolumne

Matthias Pintscher, Jahrgang 1971, ist zwar Komponist, doch er hat noch eine zweite Karriere als Dirigent gemacht und leitet seit zwei Jahren das Ensemble Intercontemporain, das von Pierre Boulezgegründete und nach wie vor beste Kollektiv für moderne Musik. Am 8. Mai wird Pintscher in der Münchner musica viva dirigieren, allerdings steht – der Mann scheint nicht sehr eitel – keines seiner Stücke auf dem Programm.

Wer Pintscher hören will, muss daher zu einer CD-Neuerscheinung der Münchner Firma NEOS greifen, “Solo and Ensemble Works”. Für Einsteiger ideal: “On a clear Day” für Klavier solo, sieben Minuten kurz, traumhaft, visionär. Daran kann man sein Herz verschenken.

Reinhard Brembeck

 

Artikelnummer

Brand

EAN

Warenkorb