Infotext:
Epigraph 1. Brot und Eisen (Dmitri Kedrin; 1907-1945) Brot reift auf dem Erdboden, wo Sonne ist und Kühle, Segnen wir das Brot! Es ist unser Leben und unsere Speise,
2. Und dann (Federico García Lorca; 1898-1936) Die von der Zeit gegrabenen Wüste Niedersinkender Dunst (des Sonnenuntergangs) Verstummt, verhallt,
3. Sanfter Regen wird kommen (Sara Teasdale; 1884-1933) Sanfter Regen wird kommen und der Geruch von Erde, Und die nächtlichen Koloraturen der Frösche in den Teichen, Ein Feuerbrust-Puschel wird auf den Zaun herabfliegen, Und niemand, und niemand wird an den Krieg zurückdenken; Und kein Vogel und keine Weide werden eine Träne vergießen, Und der Frühling, und der Frühling begrüßt eine neue Morgenröte, (3x Wdh.)
4. Hiroshima-Fünfzeiler (Munetoshi Fukagawa; 1921-2008) Wie ein Blutstropfen Mein Schatten fiel von mir Kinder kamen herbei in Scharen, Auf dem Fluss, auf dem Fluss, In diesem Stein Das Gras vertrocknet, Sogar, sogar ein einfaches Wenn über dem im Sonnenuntergang Ich und du, ich und du, Zum Himmel ausgestreckte «No more Hiroshima!» A a a 5. Menschen gingen spazieren (Federico García Lorca; 1898-1936) Menschen gingen vorüber, Menschen gingen hinaus Menschen gingen hinaus Menschen gingen vorüber,
6. Säe Korn (Michail Dudin; 1916-1993) Ich mache das an der Erde Du, auf der Erde geboren, durch das Vermächtnis Ich mache das an der Erde Du, auf der Erde geboren, ist dadurch nicht Ich mache … wieder gut,… Was macht es, dass die Welt zerspalten ist Ich mache … wieder gut,… Wenn auch das Herz in einem einzigen Augenblick Die Erde ist dein! Sie hat die Spindel Ich mache … wieder gut,… Bei der Weinberg-Retrospektive der Bregenzer Festspiele 2010 stand die szenische Uraufführung seiner Oper »Die Passagierin« im Mittelpunkt, doch die Aufführung von über zwanzig weiteren Werken schuf einen Einblick in den unglaublichen Reichtum des Œuvres dieses vergessenen Komponisten. Weinberg fühlte sich zum Komponieren gezwungen, um damit sein Überleben vom Holocaust, als Einziger seiner Familie, zu rechtfertigen. Die dadurch entstandenen großartigen symphonischen und kammermusikalischen Werke sind voller Melancholie und Trotz. Wir danken NEOS dafür, dass nun auch Andere an der Wiederentdeckung dieses inspirierten und wichtigen Komponisten teilhaben können. David Pountney Requiem Die Völker verbindende Botschaft seiner Sechsten Sinfonie findet sich auch in Weinbergs Requiem op. 96. Es entstand 1965–1967 und darf sicher auch als Antwort auf Benjamin Brittens berühmtes War Requiem von 1962 gelten, das ihm durch seinen Freund Schostakowitsch ans Herz gelegt wurde. Tiefe Ergriffenheit und das blanke Entsetzen über die Schrecken des Krieges finden sich in beiden Werken. Solche Totenmessen hatten in der Sowjetunion natürlich keine liturgische Funktion, da der orthodoxe Glaube durch den Glauben an den Vater Staat ersetzt wurde. Vielmehr ehrten solche Klagegesänge soldatische Helden oder kommunistische Würdenträger. Dass aus der religiösen Andacht früherer Requien weltliche Musik wurde, hatte sich freilich bereits bei Berlioz und Verdi angebahnt. Insofern befindet sich Weinberg auch mit diesem Werk in guter romantischer Tradition. Das Requiem ist groß dimensioniert und in den Vokalpartien sehr anspruchsvoll. Wie in der Sechsten Sinfonie wird ein Knabenchor eingebunden. Diesmal kommen jedoch noch ein gemischter Chor und ein Solo-Sopran hinzu. Neben Texten des Spaniers Federico García Lorca (1898–1936) sowie des Russen Dmitri Kedrin (1907–1945) und der Amerikanerin Sara Teasdale (1884–1933) lässt Weinberg in das Werk seine 1966 verfasste Kantate Hiroshima op. 92 einfließen nach Texten des Japaners Munetoshi Fukagawa (1921–2008). Die amerikanischen Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki am 6. und 9. August 1945 hatten den Menschen eine neue Zerstörungskraft des Krieges vor Augen geführt. Auch hier schafft es Weinberg, eine allgemeine Kritik am Krieg über jeden nationalen Standpunkt von Siegern und Besiegten zu stellen. Dennoch überschreibt er auch dieses Werk mit einem Friedensgedicht des sozialistischen Dichters Aleksander Twardowski (1910–1971) und beendet es mit einem Text des konformen sowjetischen Dichters Mikhail Dudin (1916–1994). Dessen Gedicht schildert vor dem Hintergrund aller kriegerischen Auseinandersetzung das Aufblühen eines kommunistischen Bilderbuchstaates. Es ist stark anzunehmen, dass solche politischen Passagen dem Komponisten vom Regime auferlegt wurden. Weinberg selbst spürte ja immer wieder die Macht des Staates. Für heutige Ohren klingen solche Verse wie blanker Hohn, da wir den Zusammenbruch der alten Sowjetunion miterlebten. Weinbergs Orchesterbehandlung ist äußerst diffizil, sogar Cembalo, Celesta, Mandoline und Klavier werden einbezogen. Einigen Stellen gibt er eine an Strawinsky gemahnende Schärfe. Auch das Schweben zwischen atonalen (Akkord-Cluster im dritten Satz) und tonalen Partien wird von ihm gekonnt gehandhabt. Zudem hält er die langen meditativen und voranstürmenden Abschnitte in kluger Balance. Lyrische Zentren sind die von der Sopranistin vorgetragenen Lorca-Gedichte, die den theatralischen Höhepunkt im Hiroshima-Abschnitt umrahmen. Doch weder die packende Musik noch die politische Schlussbotschaft schürten damals das Interesse an Weinbergs opulentem Requiem. Es verschwand in der Schublade seines Komponierzimmers. Ausgegraben wurde es erst bei der späten Uraufführung unter Thomas Sanderling in der Philharmonic Hall Liverpool am 21. November 2009 – 13 Jahre nach Weinbergs Tod. Der Kritiker Joe Riley schrieb damals im Liverpool Echo, dieses Requiem sei »weniger eine Beschwörung des Jüngsten Gerichts wie in Verdis bombastischem Gegenstück oder Mozarts dunklem Schwanen-gesang, sondern vielmehr eine Elegie auf den an der Natur vollbrachten Schaden«. Matthias Corvin |
Programm:
Requiem
for soprano, boys’ choir, chorus and orchestra, op. 96 (1965–1967)
[01] Bread and Iron (Dmitri Kedrin) 02:59
[02] And Then … (Federico García Lorca) 05:01
[03] There will Come Soft Rains (Sara Teasdale) 15:15
[04] Hiroshima Five-Line Stanzas (Munetoshi Fukagawa) 21:47
[05] People Walked … (Federico García Lorca) 05:14
[06] Sow the Seed (Mikhail Dudin) 10:29
total time: 60:46
Elena Kelessidi, soprano
Wiener Sängerknaben
Gerald Wirth, choirmaster
Prague Philharmonic Choir
Lukáš Vasilek, choirmaster
Wiener Symphoniker
Vladimir Fedoseyev, conductor
Live Recording
Pressestimmen:
12/2012
01/12
Die SACD “Mieczyslaw Weinberg – Requiem” wurde im Januar 2012 mit dem Diapason d’or ausgezeichnet
12/2011
With the first two volumes of Neos’s Weinberg Edition already issued (see review) three more appear this month. I am hoping that colleague reviewers will tackle the chamber volumes but I could not resist hearing this masterfully varied and typically poignant Requiem from the mid-1960s.
Weinberg’s layout follows the anthologising pattern adopted by Britten and Shostakovich. It’s a secular Requiem with – as expected – no Latin texts:-
[1] Bread and Iron (Dmitri Kedrin) [2:59]
[2] And Then … (Federico García Lorca) [5:01]
[3] There will Come Soft Rains (Sara Teasdale) [15:15]
[4] Hiroshima Five-Line Stanzas (Munetoshi Fukagawa) [21:47]
[5] People Walked … (Federico García Lorca) [5:14]
[6] Sow the Seed (Mikhail Dudin) [10:29]
The Bread and Iron movement is typified by belligerent drums and the wailing female choir. After this comes the first of two Lorca-based settings. And Then … starts with the incessantly anxious chiming of harpsichord and celesta over which the men and women of the choir sing Lorca’s words. The harpsichord is very prominently balanced and might remind you of the radio telescope music from Herrmann’s The Day the Earth Stood Still. The use of this most fragile and intimate of instruments carries over into There will Come Soft Rains where again it is used to lace the atmosphere with urgency. The rapid striding tempo of the strings suggests William Schuman and a sort of brutalised and trembling distress. Defying its title this movement imparts neither peace or remission. Hiroshima Five-Line Stanzas makes play with flute and vibraphone. The music does not muse and the middlingly quick and chaffing birdsong is counter-pointed by soft female singing. At 1.47 we here either a balalaika or a shamisen. The writing is full of ideas that intrigue and hold the mind’s ear. Weinberg’s use of rhythmic devices of various sorts marks out his music. Penderecki’s Hiroshima Threnody is referenced through a wailing ululation (at 4:14). The singing becomes tentative and makes its limping querulous way. At 9.03 there is a greater intensity of singing and drums fire a cannonade of anger. This fades into a fatigued and feeble emotionalism. Much of it is quiet with gong and shamisen sounds providing a fascinating lacework. From this emerges a more beatific atmosphere from the women and the strings – a sort of Dona Nobis Pacem of The Cold War. In People Walked Elena Kelessidi is the floridly volatile petrol-incendiary soprano. She interacts with the pecking and chanting of the harpsichord and balalaika. This is amounts to a defiant operatic aria but again takes a gradient towards gravely subdued expressive music. This segues without seam or gear shift into Sow the Seed. Here the strings digress and discourse moderato while the words are sung alternately by women and men.
So ends a major discovery from Weinberg’s Soviet Union years – years which from him delivered suppression and reward.
Rob Barnett
http://www.musicweb-international.com/classrev/2011/Dec11/Weinberg_requiem_11127.htm
Auszeichnungen & Erwähnungen:
01/12
The SACD “Mieczyslaw Weinberg – Requiem” is awarded the Diapason d’or in January 2012