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Nikolaus Brass: Orchestral Works Vol. 1

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Artikelnummer: NEOS 10702 Kategorien: ,
Veröffentlicht am: Mai 15, 2007

Infotext:

Selten finden sich Komponisten, die mit Klängen erzählen können von absoluter Leere und denen es umgekehrt gelingt, an Stellen virtueller Stille etwas ahnen zu lassen von der Fülle übergeordneter Entitäten. Nikolaus Brass, 1949 in Lindau am Bodensee geboren, ist solch ein Künstler – ein ruhiger, nachdenklicher und im tiefen Sinne des Wortes freundlicher Mann. Weil er nie im Zentrum tonangebender Szenen gestanden hat, konnte er unverzeihlicher Weise auch von jenen kaum wahrgenommen werden, denen er Essenzielles zu bieten hat. Seine Musik will nicht artistisch glänzen, sondern ist Ergebnis einer so wahrhaftig wie intensiv schürfenden Suche im Wesenskern der Dinge.

Nikolaus Brass begann früh mit dem Komponieren. Neben seinem Medizinstudium, der langjährigen Tätigkeit als Arzt in einem Krankenhaus, dem Brotberuf als Redakteur einer medizinischen Zeitschrift verlor er die künstlerischen Horizonte nie aus dem Blick, konnte sein eigentlicher Weg nie wirklich eingeengt werden. Eher im Gegenteil: denn die konkrete Konfrontation mit der existenziellen Zerbrechlichkeit des menschlichen Daseins, mit Aufbruch und Glück, aber auch Schmerz, Siechtum und Tod fungierte wie ein Kompass bei der Suche nach Ausdruck.

Am nachhaltigsten wirkte in den frühen 1980er Jahren die intensive, ja geradezu identifikatorische Begegnung mit Morton Feldman. Da war plötzlich einer, der schrieb Musik, gespeist aus einer metaphysischen Quelle. Brass erlebte die beiderseits empfundene Nähe als prägend. Auch Stile anderer Komponisten – etwa von Luigi Nono oder Giacinto Scelsi, natürlich von Helmut Lachenmann oder György Ligeti – sind ihm als ein Bewusstseinsraum präsent, als in der Arbeit leise nachhallende Weisen musikalischen Denkens. Doch konnte er sich aus allen Kraftfeldern lösen und die nötige Distanz schaffen, um ganz das wirklich Eigene zu kultivieren.

VOID II: Ein Besuch im damals noch leer stehenden Erweiterungsbau des Jüdischen Museums zu Berlin hatte Nikolaus Brass existenziell berührt; 1999 – im vorletzten Jahr eines Jahrhunderts der Schrecken. Von den bizarren, das schiere Nichts bergenden Gelassen und den totwinklig konzipierten Nischen im Inneren des dekonstruktivistisch inspirierten Baus ließ er sich anregen zur Komposition seines Stückes „VOID” für Klavier solo. Den Resonanzen im Stummen und stumm Machenden nachspürend und wissend, dass es etwas wie eine Fülle der Leere gibt, hat Brass sein Klavierstück 2001 – im ersten Jahr des neuen Jahrhunderts – erweitert zu „VOID II”, einem konzertanten Werk für Saxophon, Klavier, Schlagzeug und Orchester.

the structures of echo – lindauer beweinung: Verwandt mit „VOID II” und in seiner Eigenständigkeit zugleich ein dialektisches Gegenstück dazu ist die 2002 entstandene Komposition „the structures of echo – lindauer beweinung” für 32 Stimmen und Orchester. Das Werk ist inspiriert vom Ausdruck und der Bedeutung eines spätgotischen Tafelbildes, das den geschundenen Christus zeigt: die um 1420 entstandene „Lindauer Beweinung”.

Programm:

the structures of echo – lindauer beweinung (2002)
Stück für 32 Stimmen und Orchester
Spieldauer: 27:00

[01] 08:32 I.
[02] 09:30 II.
[03] 08:59 III.

SWR Radio-Sinfonieorchester Stuttgart
SWR Vokalensemble Stuttgart
Rupert Huber, Dirigent

VOID II (2001)
Musik für Klavier, Saxophon, Percussion und Orchester
Spieldauer: 36:29

[04] 10:26 I.
[05] 06:01 II.
[06] 13:49 III.
[07] 06:14 IV.

Benjamin Kobler, Klavier
Sascha Armbruster, Saxophon
Pascal Pons, Percussion
Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin
Roland Kluttig, Dirigent

 

Gesamt: 63:39

Pressestimmen:


14.06.2012

 

 


13.12.2007

 

25.08.2007

Ein neues Label präsentiert Werke von Nikolaus Brass

Pfeifen, Gleißen

Man muss Karlheinz Stockhausen nicht immer zustimmen, doch seine These, dass die Konzentration auf Interpretation von Musik der Vergangenheit das Symptom einer unkreativen Epoche sei, ist triftig. Zur Kunst-Sterilität kommt das ökonomische Schwächeln, die Majorlabels der Klassikplattenindustrie klagen über sinkende Umsätze, viel zu wenige wollen die soundsovielte Fassung der Standard-Serien kaufen; unverständlich ist das nicht. Wie es anders geht, zeigen kleinere Firmen: Abseits von Stargepränge und Repertoire-Einerlei lässt sich nicht nur leben, sondern dies sogar auch auf eine künstlerisch profitable Art. Sogar Label-Neugründungen sind zu bestaunen. Gerade hat Wulf Weinmann das Label „col legno“ verkauft und dafür „Neos“ lanciert. Wobei – nomen est omen – das griechische Wort für „neu“ sowohl den Markt-Frischling als auch das avancierte Programm charakterisiert.

Weder bei „col legno“ noch jetzt bei „Neos“ stand und steht Weinmann ein fürs Bequem-Gefällige. Bezeichnenderweise hat er bei seinem alten wie neuen Label je ein Album mit Musik von Nikolaus Brass produziert und damit erneut den Blick auf einen Komponisten gelenkt, der in einiger Distanz zum etablierten Betrieb seinen ganz eigenen Weg geht, in übergreifender Weise. Brass ist nämlich Arzt, arbeitet als Fachzeitschrift-Redakteur, er muss und will nicht vom Komponieren leben, auch nicht vom Unterrichten. Als quasi Freizeit-Komponist ist Brass bei Mahler und Ives in bester Gesellschaft. Und der problembewusste Zug seines Schaffens verleiht den Werken ihr je eigenes Gesicht: diese Musik ist von einer radikal individuellen Expressivität.

Nichts aber läge Brass ferner als der ungenierte Rückgriff auf die tönenden Gefühlskonglomerate des 19. Jahrhunderts. Seine Stücke zeugen von Schmerz, Verunsicherung. Ein Materialfetischist ist er nicht; um so größer die Abneigung gegen das strukturell Ungefähre, gerade weil er sich gern von visuellen Eindrücken bewegen lässt. Diese Doppelperspektive belegt eindringlich schon der Titel „the structures of echo – lindauer beweinung“, der sich auf ein ergreifendes gotisches Christusbild aus dem Jahr 1420 bezieht, doch als Threnodie alles plakativ sakral Aufgetünchte vermeidet, vielmehr Klage als „wechselseitigen inneren Widerhall“ thematisiert, Chor und Orchester schier osmotisch im Sinne permanenten Echos die Rollen tauschen lässt: Dem vokalen Ich folgt die instrumentale Antwort und umgekehrt, beides aber simultan. Pfeifen und Gleißen changieren ineinander, schroffe Klavierschläge setzen fast rituelle Akzente. Es ist dies eine herbe, bei allem Mikro- und Oberton-Oszillieren körperlich erfahrbare, haptische Musik.

So unterschiedlich die Brassschen Werke auch sind, es lassen sich doch Materialanalogien entdecken. „VOID II“, angeregt durch das noch leere Jüdische Museum von Libeskind in Berlin, lebt vom Widerspiel des Leisen, erst allmählich Entstehenden und krasseren Klangverfremdungen. Die Stuttgarter und Berliner Aufnahmen unter Rupert Huber und Roland Kluttig sind vorzüglich. Noch bei „col legno“ erschienen ist eine ebenfalls fabelhafte CD des Münchner Auritus-Quartetts mit drei Brass-Quartetten (1994-2004). Am 14. Dezember wird Hans Zender in der Münchner musica viva sein „L’inferno“ dirigieren. Dann wird man noch mehr über Brass wissen.

GERHARD R. KOCH


08/2007

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