Nikolaus Brass: String Trios

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Artikelnummer: NEOS 11512 Kategorie:
Veröffentlicht am: November 21, 2017

Infotext:

DIE DREI IST EINE EIGENE WELT
Über das Schreiben und Spielen von Streichtrios

Klaus-Peter Werani: In deinem Schaffen gibt es eine auffällige Häufung von Stücken für klassische Kammermusikbesetzungen, Duos, Trios, Streichquartette. Wir haben jetzt deine drei Streichtrios eingespielt, die über einen Zeitraum von mehr als 30 Jahren entstanden sind. Was bedeutet dir das Schreiben von »klassischer« Kammermusik?

Nikolaus Brass: Ich glaube, die Vorliebe für die »klassische« Kammermusikbesetzung beruht eigentlich auf der »klassischen« Rolle, die Kammermusik für Komponisten immer gespielt hat – nämlich Dinge, die man in größeren Besetzungen ausgebreitet hat, wieder in einen engeren, schärferen kompositorischen Fokus zu bringen. Nirgends wird man als Komponist so herausgefordert, wie in der Beschränkung der Mittel. Für mich bedeutet Trio-Schreiben oder Quartett-Schreiben: mich der enormen Potenz aussetzen, mit der sich diese Gattungen im Lauf der letzten 250 Jahre aufgeladen haben. Mein Beginnen war aber zunächst völlig naiv.

Klaus-Peter Werani: Dein erstes Trio entstand vor deinem ersten Quartett.

Nikolaus Brass: Ich habe 1981 / 82 mein erstes Streichtrio geschrieben, um dem Quartett auszuweichen. Naiv wie ich war, dachte ich, Trio-Schreiben wäre leichter. Wie ich dann bemerkt habe: ein großer Irrtum. Ich hatte eigentlich keine Ahnung. Ich kannte das Webern-Trio, das Schönberg-Trio und das völlig unvergleichliche Trio von Mozart, aber sonst? Ich hatte keine Erfahrung. Ich habe mich da, noch »behütet« von den Unterweisungen, die ich durch Lachenmann empfangen hatte, in eine Arbeit hineingestürzt, deren Tragweite ich nicht abschätzen konnte. Es war für mich ein Stück des Beginnens, daher auch der Titel: Morgenlob. Ein zarter Beginn: Mein erstes Kind war gerade geboren. Ich gestaltete eine fragile, zerbrechliche, gefährdete Welt, besser: ein zartes, fragendes »In-die-Welt-kommen«. Die Musik hat, so gesehen, eine bestimmte narrative Struktur. Dazu trägt auch der sparsame Gebrauch von Zitaten bei, wie das »Ich bin herrlich, ich bin schön«, aus der Kantate Nr. 49 von Bach. Die Uraufführung war 1984 in Darmstadt bei den Ferienkursen, gespielt hat das Deutsche Streichtrio. Durch die Arbeit an diesem Stück habe ich erst begriffen, welch »heißes Eisen« ich da mit der Gattung Streichtrio angefasst hatte.

Klaus-Peter Werani:  Danach kam eine längere Pause und dein 1. Streichquartett im Jahre 1996 folgte formal einer neuen Strategie.

Nikolaus Brass: Ja, hier versuchte ich erst einmal durch die knappe Form und die Dreigliederung der Sätze ein klares, überschaubares Fundament zu legen. Die Antwort darauf war dann mein groß dimensioniertes 2. Streichquartett, das – dachte ich – wäre dann mein Quartett, und dann wär’s damit gut. Das war’s aber nicht, und die Auseinandersetzung mit Trio und Quartett hörte nicht auf.

Klaus-Peter Werani: Ich sehe eine deutliche Verwandtschaft in deinen jeweiligen zweiten Werken – sei es für Quartett oder Trio – im Vergleich zu den ersten. Während die ersten hörbare Erzählstränge aufweisen, ist in den zweiten Werken diese Kontinuität aufgebrochen. Es ist, als hättest du Klang-Inseln entworfen, Musiken ohne Übergang, Felder, die aneinander grenzen, sich aber nicht berühren. Nicht aufeinander einwirken. Wie kam es zu dieser Form?

Nikolaus Brass: Ich wollte den narrativen Strukturen meiner früheren Stücke etwas entgegensetzen. Ich entwickelte Formen, die aus unscheinbaren, aber dennoch klar konfigurierten musikalischen Modulen bestanden, die metrisch, harmonisch, in ihrer unterschiedlichen Dichte oder gestischen Charakteristik so gestaltet waren, dass sie quasi unendlich miteinander verkettbar sein sollten. Man kann es auch ein Spiel mit Bauklötzchen nennen. Im zweiten Quartett und im zweiten Trio mit dem Titel Glanz habe ich so gearbeitet und versucht, eine übergangslose Musik zu schreiben, die von einem Zustand in den anderen wechselt, ohne »Motivation«, und in der erst die Abfolge der einzelnen Baustücke am Ende etwas vom Ganzen zu erkennen gibt. Zudem war ich bei dieser Arbeit fasziniert vom Schimmer und dem nie ganz zu kontrollierenden »Glanz« der Obertöne. Ein Glänzen, das sich entzieht.

Klaus-Peter Werani: In deinem dritten und letzten Streichtrio scheint mir eine Entwicklung wichtig: Das Individuum tritt stärker hervor. Es gibt Passagen, in denen sich die einzelnen Instrumente sehr deutlich als Einzelstimme äußern, die anderen treten zurück, schweigen.

Nikolaus Brass: Das ist eine richtige Beobachtung. Das Eigentümliche scheint mir aber, dass Vereinzelung der Stimmen im Trio eine andere Qualität hat, als wenn sie sich in einem Quartett-Zusammenhang vollzieht. Das Trio bewahrt für mich – auch in der Hervorhebung einzelner Stimmen – immer den Charakter der Einheit, der Geschlossenheit, während einer Vereinzelung im Quartett schnell das »Primariushafte« anhaftet: Einer spielt vor, die anderen begleiten. Dagegen bleibt jede Situation im Trio – auch wenn, sagen wir, zwei schweigen und nur einer spielt – eine aufs Engste auf die Dreiheit bezogene Situation. Es ist, als ob sich die Triade nie auflöst, die Drei ist immer mit im Spiel, sie ist eine eigene Welt.

Klaus-Peter Werani: Das empfinde ich beim Trio-Spielen auch so. Die Gleichwertigkeit der Stimmen ist noch größer, ja viel größer als beim Quartett. Erst wenn jeder quasi als »Primarius« spielt, diese Attitüde einbringt, entsteht diese besondere Einheit, die individueller und zugleich geschlossener ist als beim Quartett. Man braucht fürs Trio eine größere Präsenz als Spieler. Während ich im Quartett die Homogenität suche, suche ich im Trio das Profil. Es sind wirklich drei Individuen, die da sprechen.

Nikolaus Brass: Aber immer aus einer Bezogenheit heraus auf die Einheit der drei Stimmen.

Klaus-Peter Werani: Dein 3. Streichtrio lebt sehr aus dem Impuls heraus. Wie kam es dazu, dieses Werk zu schreiben? Es gab ja keinen Auftrag.

Nikolaus Bass: Alle Streichtrios sind ohne Auftrag entstanden. Zum dritten gab es zwei Anstöße: Ich war mit dem zweiten nicht zufrieden. Insgesamt erschien mir plötzlich eine ganze Gruppe von Kompositionen als zu »selbstgenügsam«. Damit meine ich das – eigentlich erstrebenswerte – Ruhen in sich selbst. Stücke, die sich scheinbar um nichts drehen als um sich selbst, wurden mir suspekt. Ich dachte, ich muss Glanz ändern. Das ging aber nicht. Ich musste ein neues Stück schreiben. Der zweite, aber damit eng verbundene  Impuls war ein Gefühl des Ungenügens mir selbst gegenüber als Komponist: In vielen Stücken hatte ich dem Verlauf immer wieder »freien Lauf« gelassen, mich metrisch-rhythmisch nicht exakt festgelegt, viel dem Interpreten überlassen, der Musik immer viel Zeit gegeben. Jetzt wollte ich ein rhythmisch-metrisch sehr gefasstes Stück schreiben, das aus einer nicht nachlassenden inneren Spannung sich fortzeugt, ein Stück der puren Energie.

Klaus-Peter Werani: Was hat es mit dem Untertitel auf sich?

Nikolaus Brass: Zeichen, Zeichnungen – Drawings. Da ist das englische Wort wichtig: »to draw« heißt ja auch, etwas mit Anstrengung hervorziehen. Etwas ans Licht bringen. Ich hatte 2008, also einige Jahre bevor ich das Stück schrieb, im Kunsthaus Bregenz eine Ausstellung von Richard Serra gesehen: Drawings – Work Comes Out of Work. Die hatte mich sehr beeindruckt. Und auf meinem Schreibtisch standen kleine Reproduktionen einiger dieser ganz in Schwarz gehaltenen Bilder. Diese kleinen Reproduktionen haben mich ins Laufen gebracht. Ich schrieb eine Musik, bei der ich dachte: So lange es geht, nicht locker lassen. Und auch wenn die Bewegung erstarrt, bleibt die Spannung. Und im Hintergrund stellte ich mir euch, das TrioCoriolis, als mögliche Interpreten vor – noch ohne euch gefragt zu haben. Und da dachte ich: riskier’s! Wie gestaltete sich denn für euch der Annäherungs-Prozess an das Stück?

Klaus-Peter Werani: Man kann das Stück nicht auf die exakte Vertikale hin proben. Man muss diese horizontalen Linien erst mal gestalten und ein Vertrauen in die eigene Kraft entwickeln, mit der man dieses Stück »durchstehen« muss. Man darf es nicht zu sehr aufladen, alles soll energiegeladen sein, muss aber durchhörbar bleiben. Das hat zunächst ein starkes Spannungsfeld in uns erzeugt. Ich meine, erst nach einigen Aufführungen und jetzt bei der Produktion ist uns die Balance gelungen, bzw. hat sich diese Spannung aufgelöst.

Nikolaus Brass: Ja, jetzt beim Abhören hatte ich ein starkes Gefühl: Dass diese drei Stücke doch so etwas wie eine Einheit bilden, dass sie – über einen Zeitraum von über 30 Jahren – doch so etwas wie einen Gedanken entfalten. Das kann man nicht wissen, wenn man an dem einzelnen Werk schreibt. In den Trios sehe ich jetzt etwas von meiner Identität.

Programm:

Nikolaus Brass (*1949)

[01] Morgenlob for violin, viola and violoncello (1981/1983) 22:24

[02] Glanz String Trio No. 2 (2009) 16:36

[03] Zeichen, Zeichnungen – Drawings String Trio No. 3 (2013) 20:37

total playing time: 59:49

TrioCoriolis
Michaela Buchholz, violin [01 & 02]
Heather Cottrell, violin [03]
Klaus-Peter Werani, viola
Hanno Simons, violoncello

 

World Premiere Recordings

Pressestimmen:

03/2017

(…) Wie Brass … die Musik atmen lässt, ihr Freiheiten gönnt, ohne die Zügel zu lockern – das ist schlicht atemberaubend. (…) Marco Frei, der Münchner Musikkritiker, nannte Brass einen ‚Meister der Kammermusik‘. Nach fast einer Stunde Musik kann man dem Urteil nur zustimmen. (…) Ein konzises Interview mit Klaus-Peter Werani mit Nikolaus Brass im Booklet, die schöne NEOS-Gestaltung mit Karton und Fotos, schließlich auch die ausgesprochen gute Interpretations- und Aufnahmequalität – all das trägt dazu bei, dass diese Produktion überzeugt. In jedem Punkt.

Thorsten Möller

 

03/2017

„Nikolaus Brass ist ein genuiner Kammermusiker, das beweisen die vielen Werke für ganz unterschiedliche Besetzungen. (…) Die Entwicklung von Brass‘ Schaffen lässt sich an den drei Werken gut ablesen. (…) Das Trio Coriolis macht seinem Ruf als Spitzenensemble alle Ehre.“
(Max Nyffeler)

 

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