Infotext:
Peter Eötvös ist in der neuen Musik-Szene mit tonangebend – nicht nur als Komponist, sondern auch als Dirigent und Lehrer. „Cap-ko” ist eine Hommage an Eötvös‘ großes Vorbild Bartók. Das geht bis ins Detail hinein. Bartóks Vorliebe für parallel laufende Linien brachte ihn auf die Idee, ein Instrument zu benutzen, das es möglich macht, diese parallelen Läufe auf dem Klavier nicht mit zwei Händen, sondern nur mit einer Hand zu spielen. Zwangsläufig entdeckte Eötvös so das Keyboard für sich, denn dieses erlaubt, dass zu jedem gespielten Ton gleichzeitig ein zweiter Ton erklingt, wobei der Intervallabstand beliebig veränderbar ist (wie etwa bei einer Orgelmixtur). Daneben gibt es einen traditionell eingesetzten Flügel mit fixiertem rechtem Pedal, der zu jedem gespielten Ton einen echoartigen Nachklang entstehen lässt, der nie gedämpft wird. Pierre-Laurent Aimard spielt abwechselnd beide Instrumente.
Bernd Alois Zimmermann muss man nicht mehr vorstellen. Mit seiner Oper „Soldaten” und dem „Requiem für einen jungen Dichter” avancierte er in den 1960er Jahren zu einem der führenden Komponisten der Nachkriegsgeneration. Das Violinkonzert ist ein Werk, das Charakteristika des Zimmermannschen Komponierens hervorkehrt: Es prägt seinen Tonfall eindringlich und unverwechselbar aus.
Martin Smolka arbeitet mit Intervallen, die er „natürlichen” Klängen ablauscht. Seine Werke, in denen Smolka verschiedene Formen der Mikrotonalität anwendet, werden heute auf allen Festivals für zeitgenössische Musik aufgeführt – das hier bei der Münchner „musica viva” aufgezeichnete Stück hatte seine Uraufführung im Har 2000 in Donaueschingen: „Ich wurde gefragt, ob ich zum Thema ‘Gewalt in unserer Gesellschaft’ ein Chorstück schreiben wolle. Aber mich berührte eher die Gewalt, die unsere Gesellschaft aussendet – gegen die Natur, gegen unseren Heimatplaneten. Und ich zog es vor, in meiner Musik positiv zu sein, statt eine Art Protestsong zu komponieren.”
Programm:
Peter Eötvös
Cap-ko (2005) – dedicated to Béla Bartók
Konzert für akkustisches Klavier, Keyboard und Orchester
Spieldauer: 20:21
[1] I [2] II [3] III [4] IV [5] V
Pierre-Laurent Aimard, Klavier / Keyboard
Paul Jeukendrup, Programmierung Digital-Piano
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Peter Eötvös, Dirigent
Bernd Alois Zimmermann
Konzert für Violine und großes Orchester (1950)
Spieldauer: 16:47
[6] Sonata [7] Fantasia [8] Rondo
Martin Mumelter, Violine
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Peter Eötvös, Dirigent
Martin Smolka
Walden, the Destiller of Celestial Dews (2000)
Fünf Stücke für gemischten Chor und Percussion, mit Versen von Henry David Thoreau
Spieldauer: 19:38
[9] Pleiades [10] Lake [11] Indians [12] Blackberries [13] Cypress
Wolfram Winkel, Percussion
Robert Blank, Chorleiter
Chor des Bayerischen Rundfunks
Peter Eötvös, Dirigent
Gesamt: 57:00
Live aufgenommen am 26. Januar 2006 [1–5], [9–13] / 7. April 1989 [6–8] im Herkulessaal der Residenz, München.
Pressestimmen:
11/2007
09.08.2007
Mutter Erde und Vater Hast
Eötvös Zimmermann Smolka
Neos 10705/Harmonia mundi www.neos-music.com
Jetzt ist sie auch in der Musik angekommen, die Debatte um die Klimakatastrophe. Verborgen und halb unbewusst noch, aber doch deutlich. In seinen fünf Chorstücken Walden, the Distiller of Celestial Dews (2000) plädiert Martin Smolka, 1959 in Prag geboren, für ein emissionsarmes Leben in der Natur, preist das Glück der Einfachheit. Titel und Texte verraten, dass Henry David Thoreau folgt, der Mitte des 19. Jahrhunderts einen entsprechenden Selbstversuch unternommen hatte.
Smolka setzt seine musikalischen Mittel haushälterisch ein. Er verkürzt den Text auf Schlüsselworte, und nicht selten sind seine Hymnen im Unisono, eine Melodie für alle Beteiligten. Die Damen und Herren des Bayerischer-Rundfunk-Chores intonieren die durchaus romantische Harmonik in leuchtender Ruhe, zum Beispiel, wenn »Mutter Erde und Vater Hast« kontrastieren, wo ein Frauenchor mit schwebenden Akkorden mit dem heftig skandierten männlichen Aktivismus ringt, der in seiner Ungeduld den frisch gepflanzten Bohnen gern durch Ziehen am Keimblatt zum Wachstum verhelfen würde.
Peter Eötvös, Ungar, 1944 geboren, sucht und erreicht das Gegenteil von Smolka. Für ihn gibt es kein Genug. Sein Klavierkonzert Cap-Ko (2005) verlangt nicht nur vom Orchester den vollen Einsatz, sondern auch vom Pianisten. Der erste Eindruck: verheerende Energiebilanz. Das Stück läuft nur im Vollgas, und oft genug ist nicht mal ein Gang eingelegt: dröhnender Leerlauf. Der Eindruck wird verstärkt, wenn der Pianist den Turbo anwirft und zum Keyboard greift, um mit nur einem Tastendruck gleich eine ganze Batterie von Tönen ins Rennen zu schicken. Entsetzlich, wie schäbig Digitalklaviere immer noch klingen, was besonders im Wechsel mit dem Flügel unangenehm ins Ohr springt, auch wenn Pierre-Laurent Aimard beides mit leichter Hand spielt. Erst wenn man über die Tastendomina hinweghört, entfaltet sich das Spektrum des begleitenden Orchesters. Hier ist plötzlich die Klangfantasie spürbar, die dem Klavierpart fehlt, ebenso in der präzisen Umsetzung durch das Orchester des Bayerischen Rundfunks unter Leitung des Komponisten. Ein ressourcenschonenderer Umgang mit den Mitteln hätten diese Qualitäten vorteilhafter ins Licht gesetzt. Weniger ist manchmal mehr wie in der Ökologie.
Frank Hilberg
01.07.2007
Peter Eötvös: Cap-Ko
Bernd Alois Zimmermann: Konzert für Violine und großes Orchester
Martin Smolka: Walden, the distiller of celestial dews
Die Zeit steht still. Nebel hängen über der glatten Oberfläche des Sees. Elfenhafte Stimmen lullen von ferne in den Schlaf. Die Musik von Martin Smolka ist so ein bisschen wie ein Brombeerstrauch in Großaufnahme: Man kann den Tautropfen beim Herunterlaufen zusehen. Bis eine Horde wildgewordener Gnome in die Idylle einbricht, grummelnd und stammelnd, schimpfend und widerborstig. „Zurück zur Natur“ – so könnte das Motto von Martin Smolkas faszinierendem Chorstück „Walden, the distiller of celestial dews“ lauten. Smolka hat Texte des Anarcho-Philosophen Henry David Thoreau vertont, der jahrelang in einer Blockhütte am Walden-See lebte und das einfache Leben propagierte. Zivilisationskritisch ist auch Smolkas Komposition bis in die Substanz hinein: einfache tonale Melodik, mit Hilfe von Mikrointervallik sacht verfremdet – keine Neue Musik im Sinne der Avantgarde, aber neuartige Musik, viel neuartiger als so vieles andere, was derzeit zwischen Donaueschingen und Darmstadt so produziert wird. Lebendige Musik, Musica viva im besten Sinne.
Spacige Mixturklänge
Das gilt in jeweils eigener Weise für alle drei Stücke auf dieser CD, dem 15. Teil der edition musica viva, die Konzert-Highlights der gleichnamigen BR-Reihe dokumentiert. Dirigiert werden sie alle von Peter Eötvös, der gleichzeitig eine eigene Komposition beisteuert – und was für eine! „Cap-Ko“ ist keine Südsee-Insel, sondern das „Concerto for acoustic piano, keyboard and orchestra“, ein eigenwiliges Klavierkonzert, in dem der vorzügliche Pierre-Laurent Aimard nicht nur einen normalen Konzertflügel traktieren muss, sondern auch ein Keyboard. Mit spacigen Mixturklängen und überbordender Virtuosität gelingt Eötvös eine funkensprühende und zeitgemäße Hommage an Béla Bartók, inklusive eines berührenden langsamen Satzes, der Bartóks Weg ins Exil nachzeichnet. Die Werkauswahl wird abgerundet durch das frühe Violinkonzert von Bernd Alois Zimmermann, gleichfalls ein vitales und temperamentvolles Stück. Eine CD, die nicht nur die Bedeutung der „musica viva“-Reihe für die Musik der Gegenwart unterstreicht, sondern auch mit hohem interpretatorischen Niveau glänzt: das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks ist in Zimmermanns Neoklassizismus ebenso versiert wie in den futuristischen Klanglandschaften von Peter Eötvös, und wie der Chor des Bayerischen Rundfunks die vertrackte Intonation bei Smolka meistert, ist einfach bravourös.
Thorsten Preuß
05/07