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Remixed: Brahms – Wagner – Debussy

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Artikelnummer: NEOS 22002 Kategorien: ,
Veröffentlicht am: November 13, 2020

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KLANGLICHE METAMORPHOSEN

Werke bedeutender Komponisten sind in unterschiedlichen Fassungen überliefert. Die Änderungen reichen von kleinen Retuschen an der Instrumentation über komplette Besetzungsänderungen bis zu einer Art Neukomposition. Mal führten die Autoren diese Bearbeitungen selbst durch und publizierten mehrere Versionen eines Werkes, mal nahmen sich Zeitgenossen oder spätere Generationen dieser Kompositionen an, um sie einem veränderten Hören, einer gewandelten Ästhetik oder neuen technischen Möglichkeiten anzupassen. Doch ging es den Bearbeitern immer darum, den musikalischen Gehalt des ursprünglichen Werkes nicht anzutasten. Im besten Fall gelang es, durch diese Klang-Metamorphosen einen Perspektivwechsel herzustellen, der die jeweilige Komposition in einem neuen, unerwarteten Licht erscheinen ließ.

Johannes Brahms hat zahlreiche seiner Orchesterwerke in autorisierten Fassungen für Klavier publiziert, etwa seine Haydn-Variationen oder die berühmten Ungarischen Tänze. Schwerer tat er sich mit seinem Klavierquintett f-Moll op. 34, das er 1863 zunächst als Streichquintett konzipierte. Als er das Werk dem befreundeten Geiger Joseph Joachim zur Begutachtung übersandte, reagierte der eher ablehnend: »So wie das Quintett ist, möchte ich es nicht öffentlich produzieren – aber nur weil ich hoffe, du änderst hie und da einige selbst mir zu große Schroffheiten und lichtest hie und da das Kolorit.« Brahms, keineswegs beratungsresistent, arbeitete das Werk daraufhin zu einer Sonate für zwei Klaviere um, die er 1864 in Wien mit Carl Tausig und später auch mit Clara Schumann aufführte.

Nun war es die Schumann-Witwe, ebenfalls eng mit Brahms befreundet, die von dem »Gefühl eines arrangierten Werkes« sprach und der Meinung war, es brauche ein ganzes Orchester, um das Werk zur Geltung zu bringen. Auch hier nahm Brahms den Rat an und erstellte eine neue Fassung für Klavierquintett. Doch die Version für zwei Klaviere war ihm offenbar so wichtig, dass er sie als Opus 34b gesondert publizierte. Welcher dieser Bearbeitungen man auch den Vorzug gibt – die Urfassung für Streichquintett hat Brahms offenbar vernichtet – in jedem Fall handelt es sich um eines seiner tiefgründigsten Kammermusikwerke, und jede dieser Umarbeitungen hat ihre ganz eigenen klanglichen Qualitäten.

Wie so oft bei diesem Komponisten, bildet der Finalsatz das eigentliche Zentrum des Werkes. Streift dort die langsame Einleitung mit ihrer exzessiven Chromatik schon die musikalische Welt von Richard Wagners Tristan-Vorspiel, erinnert das darauf folgende Hauptthema vermutlich nicht zufällig an das Finale aus Robert Schumanns Klavierquintett op. 44, das Brahms sehr schätzte. Dem formal hochkomplexen Schlusssatz geht an erster Stelle ein Sonatensatz voraus, bei dem Brahms aus einem viertaktigen Motto drei kontrastierende Themengruppen entwickelt. Es folgt ein intermezzoartiges Andante und ein Scherzo von verblüffender Motorik, das thematisch deutlich an den Kopfsatz anknüpft.

Es ist heute kaum noch vorstellbar, welchen ungeheuren Einfluss das Schaffen Richard Wagners auf die nachfolgende Künstlergeneration hatte. Das galt keineswegs nur für die Musik, auch in Literatur und bildender Kunst hinterließen seine Musikdramen tiefe Spuren. Zu den größten Wagner-Enthusiasten gehörte Max Reger. Er bekannte zeitlebens, dass er seine Entscheidung für eine musikalische Karriere vor allem dem Einfluss Wagners verdankte: »Als ich als 15-jähriger Junge zum erstenmal in Bayreuth den Parsifal gehört habe, habe ich vierzehn Tage lang geheult, und dann bin ich Musiker geworden.«

Dieses Erweckungserlebnis hat Reger bis zu seinem frühen Tod 1916 entscheidend geprägt. Es war sein oberstes Ziel, Wagner noch zu übertreffen, wenn auch mit ganz anderen musikalischen Mitteln. Hatte er in früheren Jahren lediglich das Gebet der Elisabeth aus dem Tannhäuser für Harmonium bearbeitet, wandte er sich im August 1912 den Vorspielen zu Wagners wichtigsten musikdramatischen Werken zu, die er für zwei Klaviere bearbeitete und damit auch eine neue Sichtweise auf diese zentralen Stücke des Komponisten eröffnete.

Nach Meistersinger-Vorspiel und Tannhäuser-Ouvertüre folgten dann 1914 mit dem Vorspiel und dem Liebestod aus Tristan und Isolde sowie Wotans Abschied und dem Feuerzauber aus der Walküre die wohl gewichtigsten Transkriptionen Regers für zwei Klaviere. Ging es Wagner in dem harmonisch ambivalenten, völlig durchchromatisierten Vorspiel zum Tristan nach seinen eigenen Worten vor allem darum, in einem »lang gegliederten Zuge« ein Thema zu musikalisieren, das »Sehnsucht, unstillbares, ewig neu sich gebärendes Verlangen, Dürsten und Schmachten« darstellen sollte, so wird dies in der Neuinterpretation Regers in der Klangfarbe zwar auf das Klavier reduziert – doch die harmonischen Kühnheiten dieser Partitur, ihre Dichte, ihre Binnendramaturgie treten dafür in seiner Fassung umso schärfer hervor.

Werke anderer Komponisten oder auch von sich selbst für Klavier zu bearbeiten, war eine Leidenschaft Maurice Ravels. Seine erste erhaltene Partitur, La Jeunesse d’Hercule, ist die Klavierfassung eines Werkes von Camille Saint-Saëns. Auch in späteren Jahren erstellte er Transkriptionen für Klavier, etwa seines Balletts Daphnis et Chloé oder des berühmten Boléro. Die Übergänge zwischen Klavier- und Orchestersatz sind bei Ravel oft fließend, gerade an diesem Umstand hatte der Komponist besondere Freude.

Auch einige Orchesterwerke Claude Debussys hat Ravel für Klavier bearbeitet. Neben dem berühmten Prélude à l’après-midi d’un faune ist es vor allem der Zyklus der Nocturnes, die Ravels Transkriptionskunst auf ihrem Höhepunkt zeigt. Die Arbeit an den Nocturnes hat Debussy über viele Jahre hinweg beschäftigt. Für ihn war diese Werkgruppe von Beginn an eng mit dem Erzielen bestimmter Farbwerte und -nuancen verbunden. In einem Brief vom 22. September 1894 erläuterte er dem Widmungsträger des Werkes, dem Geiger Eugène Ysaÿe, die Konzeption des Triptychons: »Im Grunde ist es die Erforschung der verschiedenen Zusammenstellungen, die mit einer einzigen Farbe möglich sind, vergleichbar einer Studie in Grau in der Malerei.«

Debussy dachte dabei wohl an die Bilder des amerikanischen Malers James Whistler, die er in den Pariser Salons kennengelernt hatte. Dazu zählte auch eine Serie mit musikalischen Titeln wie Symphony oder Nocturne in Blue and Silver – Bilder, die vor allem als Studien in bestimmten Farbtönen angelegt sind. Hatte Debussy als Besetzung zunächst eine Solovioline und Orchester vorgesehen, so verwendete er in der endgültigen Fassung einen Frauenchor statt der Violine im letzten Stück des Zyklus, Sirènes. Die menschliche Stimme wird hier jedoch nicht als herkömmliche Vokalpartie eingesetzt – es gibt keinen Text – sondern dient als zusätzliche instrumentale Farbe.

Im Text zur Uraufführung, der höchstwahrscheinlich von Debussy selbst stammt, charakterisierte er die drei Sätze der Nocturnes so: »Nuages, der unveränderliche Anblick des Himmels mit dem langsamen und melancholischen Ziehen der Wolken, endend in einem grauen Sterben, sanft weiß getönt. Fêtes, die Bewegung, der tanzende Rhythmus der Atmosphäre mit dem Blitzen jähen Lichts; da ist auch die Episode eines Aufmarsches – blendende, chimärenhafte Vision –, quer durch das Fest ziehend und sich mit ihm vermengend. Der Hintergrund aber bleibt, behauptet sich – immerzu das Fest und sein Gemenge von Musik, von glitzerndem Staub in einem allumfassenden Rhythmus. Sirènes: das Meer und sein unberechenbarer Rhythmus; dann hört man unter den versilberten Wellen des Mondes den geheimnisvollen Gesang der Sirenen auflachen und vorüberziehen.«

Die Uraufführung der Nocturnes im Oktober 1901 war kein Publikumserfolg. Auch Debussy selbst war offenbar nicht zufrieden mit den Klangtransformationen, die er hier angestrebt hatte. Jedenfalls überarbeitete er die Orchestrierung nach der Premiere noch mehrfach.

Martin Demmler

Programm:

Johannes Brahms (1833–1897)
Sonate für zwei Klaviere in F-moll, Op. 34b (1864) 38:39
auf das Quintett Op. 34

[01] Allegro non troppo 11:17
[02] Andante, un poco Adagio 09:27
[03] Scherzo. Allegro 07:22
[04] Finale. Poco sostenuto – Allegro non troppo 10:33

Richard Wagner (1813–1883)
Vorspiel und Isoldens Liebestod aus“Tristan und Isolde“ 15:16
Transkription für zwei Klaviere von Max Reger (1873–1916)

[05] Vorspiel. Langsam und schmachtend 07:33
[06] Isoldens Liebestod 07:43

Claude Debussy (1862–1918)
Trois Nocturnes 23:17
Transkription für zwei Klaviere von Maurice Ravel (1875–1937)

[07] I. Nuages. Modéré 06:14
[08] II. Fêtes. Animé et très rythmé 06:09
[09] III. Sirènes. Modérément et animé 10:54

Gesamtspieldauer: 77:24

GrauSchumacher Piano Duo
Andreas Grau · Götz Schumacher

Pressestimmen:

April 2021

[…] Mit beeindruckendem Ernst und rhythmischer Prägnanz interpretieren die beiden beispielsweise die Brahms-Sonate. Dass man die Transkriptionen der Orchesterwerke nicht als Reduktion, sondern als Konzentration wahrnimmt, liegt ebenfalls an dem hervorragenden Zusammenspiel des Duos. […]

Gregor Willmes


25/2020 – 19.11.2020

Experiment und Genuss
Richard Wagner und Claude Debussy sind bekannt für ihre stupende Orchestrierungstechnik. Das Duo GrauSchumacher spielt sie vierhändig auf zwei Flügeln. Und die beiden deutschen Pianisten erzielen erstaunliche Wirkung. Auf einmal schärfen sich Konturen, tritt die kühne Harmonik markant hervor. Sogar Wagner und Brahms stehen sich auf 176 Klaviertasten plötzlich verblüffend nah. ­Dieser «Remix» ist Experiment und Genuss zugleich.

Silvan Moosmüller, SRF 2 Kultur

www.kultur-tipp.ch


11.11.2020

Der Weg von der strengen Form zum befreiten Klang
Neu gemischt und neu gehört: Das Klavierduo Andreas Grau und Götz Schumacher legt einen raffinierten „Remix“ vor.

Kluge Programmkonzeptionen sind ein Markenzeichen des Klavierduos GrauSchumacher, 2019 erst mit dem Jahrespreis der Deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet. Findig kontrastreiche, geradezu musikphilosophisch erdachte Konstellationen, Dialoge und Wahlverwandtschaften oft über weit entlegene Epochen hinweg: Bach und Strawinsky, Mozart und Bartók, Purcell und Skrjabin. […]
So beschreibt die CD einen Weg von der strengen Form zum befreiten Klang und damit eine spannende Entwicklungslinie in nur 40 Jahren europäischer Musikgeschichte zwischen 1859 und 1899.

Achim Stricker


10.11.2020

Wer Orchestermusik nicht nur mit reduzierten Streichern, sondern gleich ganz ohne Geigen und Bratschen mag, der muss zur neuesten Platte des GrauSchumacher Piano Duo greifen. Die beiden Pianisten sind Weltspitze und bieten auf „Remixed“ (NEOS) Bearbeitungen des Klavierquintetts von Johannes Brahms, die „Nocturnes“ von Claude Debussy sowie Schluss und Anfang aus Richard Wagners Liebestragödie „Tristan und Isolde“. Das ist keineswegs ein Allerweltsprogramm, kaum jemand würde diese Stücke so kombinieren, aber sie passen in ihrer Andersartigkeit wunderbar zueinander.

Reinhard Brembeck

www.sueddeutsche.de

 

07.11.2020
Musikmagazin
Neuerscheinungen mit Silvan Moosmüller

„Ja also zunächst einmal greifen GrauSchumacher auf Bearbeitungen zurück, die selber von grossen Komponisten stammen. Bei Wagners Tristan Max Reger. Und bei Debussy auf eine Bearbeitung von Maurice Ravel. Dass das so gut funktioniert, liegt aber auch an ihrer Spielweise. Sie versuchen eben gerade nicht die Fülle eines Orchesters auf zwei Flügel zu retten. Sondern gestalten diese Werke aus der Logik von 176 Tasten heraus neu. Wagners Tristan-Vorspiel wirkt da fast ein wenig rau, wird ohne Rubati gespielt und wirkt wie aus dem Rhythmus geboren. Und bei Debussy wirken die im Orchester subtil verwischten Konturen plötzlich glasklar. Als würde man plötzlich eine Brille tragen.“

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