René Wohlhauser: Im lauteren Sein

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Artikelnummer: NEOS 12127 Kategorie:
Veröffentlicht am: Februar 24, 2021

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IM LAUTEREN SEIN
Werke für verschiedene Ensemble-Kombinationen von René Wohlhauser

Geworf’ne Akrobaten

Fassung für Sopran, Bariton, Flöte, Klarinette, Violine und Violoncello (2018),
auf ein Gedicht des Komponisten, Ergon 68, Nr. 2, Musikwerknummer 1855

Kompositionsauftrag des Fachausschusses Musik Basel-Stadt und Baselland

Bei der Aufnahme handelt es sich um eine Studioproduktion mit dem »Ensemble Polysono«, das dieses Stück im Jahre 2019 auf einer Europa-Tournee uraufgeführt hat: Christine Simolka, Sopran · René Wohlhauser, Bariton · Tatiana Timonina, Flöte · Andriy Bandurin, Klarinette · Maria Ten, Violine · Vladislav Smirnov, Violoncello

Das Schroffe, Ruppige und der schwarze Humor von Galgenliedern wohnen diesem Stück inne, das auf ein Gedicht des Komponisten geschrieben wurde.

Scharf geschnittene Ränder, harte Kontraste, freche Einsätze, schroffe, raue Klippen, unvermittelt Hereinbrechendes, Kanten und Brüche, eine blockartige Dynamik. Die vordergründig rohe Erscheinungsweise dieser Musik, die sich bei näherer Betrachtung jedoch als in sich sehr differenziert und vielgestaltig erweist, ist ein Spiegelbild der heutigen Zeit, eine Parodie auf den Zeitgeist und insofern eine Kritik an demselben. Diese Musik ist aber auch eine Entgegnung auf die weitverbreitete Mode innerhalb der zeitgenössischen Kunstmusik, in der das Zögerliche, Unentschiedene, Ersterbende, nichtssagend Bedeutungsschwangere und die Flucht ins Geräuschhaft-Unverbindliche vorherrschen. Der zugriffige Duktus der Musik entspricht der Rotzigkeit und Trotzigkeit des Vokaltextes.

Die hingeworfene, freche Rhythmik, Gestik und Harmonik sind eine hingeworfene Antwort auf die Zustände auf dieser Welt, auf der wir wie in das Sein geworf’ne Akrobaten balancieren. Wenn die Politiker frech werden, dann müssen es die Künstler erst recht werden und dürfen sich nicht suhlend in eine selbstgefällige Ecke der sich selbst reproduzierenden Endzeitstimmung zurückziehen.

 

 

Quartett für Flöte, Klarinette, Violine und Violoncello Nr. 1 (2018)
Ergon 67, Musikwerknummer 1849

Bei der Aufnahme handelt es sich um eine Studioproduktion mit Mitgliedern des »Ensemble Polysono«, die das Stück im Jahre 2019 auf einer Europa-Tournee uraufgeführt haben: Tatiana Timonina, Flöte · Andriy Bandurin, Klarinette · Maria Ten, Violine · Vladislav Smirnov, Violoncello

Dies ist eine aggressive, zupackende Musik, die die prekären Verhältnisse auf der Welt nicht akzeptiert, sondern sich mit Wut dagegen wendet. Harte, schroffe Klangblöcke werden durch intime Passagen kontrastiert. Wut gegen Unrecht, Liebe als Perspektive. Blockartig-Schroffes wird immer mehr fragmentiert, rhythmisch diversifiziert und potenziert und fällt am Ende ins Geräuschhafte.

Das Dialogische, Gestenhafte, die Kommunikation zwischen verschiedenen Instrumenten und Instrumentengruppen ist typisch für meine Musik. Ebenso das Aufeinanderprallen konträrer Ausdrucksformen, so dass aus der Energie des Aufeinanderprallens etwas Neues entstehen kann. Aufschreiendes und Intimes stehen nebeneinander und suchen nach einer gemeinsamen Kommunikationsebene, um zu einer starken musikalischen Emotionalität zu finden. Es geht um die musikalische Suche nach Individualität und Authentizität, um die Gestaltung hybrider Klangobjekte und die Kontextualisierung divergierender Ausdrucksmomente zu einer emotional berührenden Musik.


Im lauteren Sein

Fassung für Sopran, Bariton, Flöte, Klarinette und Violoncello (2017),
auf ein Gedicht des Komponisten, Ergon 64, Nr. 2, Musikwerknummer 1816

Klaus Huber in memoriam
Kompositionsauftrag der UBS Kulturstiftung

 


Bei der Aufnahme handelt es sich um eine Studioproduktion mit dem »Ensemble Polysono«, das dieses Stück im Jahre 2018 auf einer Europa-Tournee uraufgeführt hat: Christine Simolka, Sopran · René Wohlhauser, Bariton · Tatiana Timonina, Flöte · Andriy Bandurin, Klarinette · Vladislav Smirnov, Violoncello

 


Das Werk zeigt einen fast klassischen Aufbau mit Einleitung, Strophen und Zwischenspielen, die der formalen Ausrichtung des Gedichts des Komponisten folgen. Zuerst wurde nur der Gesang in einer Fassung für Sopran und Bariton komponiert, als Auseinandersetzung mit der Tradition des klassischen Kontrapunkts, reflektiert auf dem musikalischen Erfahrungsstand des 21. Jahrhunderts, in klassischer Dramaturgie der Formanlage mit Spannungsaufbau, Kulmination und Absinken ins delirierende Umkreisen wechselnder Tonzentren. Sogar die Melodiebildung selbst könnte man in ihrer drängenden, leittönigen Art als »klassisch« beschreiben.

Durch das Hinzufügen der Instrumente wurden diese klassischen Linien in einen anderen Kontext gestellt, aufgebrochen, hinterfragt und konterkariert. Und nochmals in eine andere Richtung, die alles Vorhergehende relativiert und in Frage stellt, kippt, sozusagen als Wendepunkt, die abschließende Coda – oder vielleicht müsste man sagen: die sich öffnende Coda.

Das Gedicht verkörpert eine eigenständige Schöpfung und entfaltet in suggestiven Bildern eine konfliktgeladene Dialektik und ein Wechselbad der Gefühle, die zu einer inneren dramatischen Spannung führen, welche in der Musik einen direkten Ausdruck in der aufwühlenden, delirierenden Verwirrung findet.

Trio für Flöte, Klarinette und Violoncello Nr. 2 (2017)
Ergon 63, Musikwerknummer 1809

Bei der Aufnahme handelt es sich um eine Studioproduktion mit Mitgliedern des »Ensemble Polysono«, die das Stück im Jahre 2018 auf einer Europa-Tournee uraufgeführt haben: Tatiana Timonina, Flöte · Andriy Bandurin, Klarinette · Vladislav Smirnov, Violoncello

Die drei Instrumente wurden in diesem Werk wie ein einziges, sozusagen »multitimbrales und polystrukturelles Super-Instrument« behandelt. Es beginnt mit einer einstimmigen Melodie, die durch die verschiedenen Instrumente wandert oder eben wie ein einziges Instrument, das eine melodische Folge durch verschiedene Klangfarben laufen lässt oder sich in verschiedenen klingenden Farben auszudrücken vermag, weil es seine Klangfarbe ändern kann wie ein Chamäleon, das je nach Situation seine Hautfarbe ändert (Takte 1–4). Dann verdickt sich die Einstimmigkeit, indem sich dieses einstimmige Instrument etwas verbreitert und zu rhythmisch unregelmäßig repetierten dreistimmigen Akkordstrukturen spreizt wie eine tanzende Hydra, die als Einzelwesen wohl mehrstimmig singen konnte (Takte 5ff). Die nächste Phase besteht darin, dass dieses Multi-Instrument auch seine repetierende Parallelität aufbricht, sozusagen seine bewegte Eingliedrigkeit auffächert und in Mehrgliedrigkeit überführt, indem sich Unisono-Bewegungen allmählich über Seitenbewegungen (Takte 11–13) in selbständig geführte Stimmen aufspalten und zu Gegenbewegungen gelangen (Takte 18ff), so wie sich die parallelen Notre-Dame-Organa über Seitenbewegungen zur Mehrstimmigkeit entwickelten. Dann erleben wir das Glitzern des gespreizten imaginären Instruments, indem eine auf wenige Töne begrenzte Akkordstruktur ihre Töne virtuos durch weite Sprünge in verschiedene Oktavregister wirbelt und aufblitzen lässt (Takte 20–23). Damit ist eine Grundanordnung gesetzt, die sich im weiteren Verlauf des Stückes entwickelt und zu verschiedenen Ausformungen und Varianten mutiert. Auch dort, wo die drei Instrumente kontrapunktisch spielen, sind sie wie ein in sich geschlossener Klangkorpus, also wie ein einziges Instrument geführt, das nur mit seinen internen Struktur- und Kombinationsmöglichkeiten spielt und diese auslotet.

Cellissimo graduale für Violoncello solo (2017)
Ergon 60, Musikwerknummer 1790
Kompositionsauftrag von Markus Stolz

Bei der Aufnahme handelt es sich um eine Studioproduktion mit Markus Stolz, Violoncello, der das Stück uraufgeführt hat und dem es zum 50-jährigen Cello-Jubiläum gewidmet ist.

Das vorliegende Stück ist einerseits ein virtuoses Konzertstück. Aus reiner Spielfreude und vorangetrieben von rhythmischer Impulsivität, erklimmt es die höchsten technischen Anforderungen und am Schluss des Stückes auch in wortwörtlichem Sinne die höchsten Höhen.

Andererseits ist es sozusagen ein Stundenbuch, das zur Meditation einlädt. Darauf deutet das »graduale« im Titel hin. Musik sollte sich nie in technischen Kunststücken und Fingerfertigkeiten erschöpfen, sondern sollte immer auch genügend musikalische Substanz und geistigen Reichtum beinhalten, um Vertiefung und Erbauung zu ermöglichen, um Trost und Kraft zu spenden.

Kompositionstechnisch stellt das Stück ein Kompendium von einfach nachvollziehbaren Verarbeitungstechniken dar. Aus praktisch nichts, nämlich nur aus einer Tonrepetition, wird das ganze Stück entwickelt, indem die Elemente immer weiter fortgesponnen werden und indem die Motive zu immer wieder neuen Gestalten umgeformt werden. Das Eine soll in natürlicher Weise ins Nächste fließen. Auch dort, wo in dialektischem Sinne Kontrastmaterial eingeführt wird, um einen musikalischen Dialog in Gang zu setzen, wie bei der hohen und leisen col legno-Stelle am Anfang, sind die strukturellen Bezüge zum Hauptmaterial deutlich hör- und sichtbar. Das ganze Stück bezieht sich somit auf das Ausgangsmaterial, das sich in immer wieder anderen, neuen und teilweise unerwarteten Facetten zeigt.

Mikosch … lost in the Ultra Deep Field für Klavier solo (2013)
Ergon 46, Musikwerknummer 1646
Kompositionsauftrag von Ortwin Stürmer

Bei der Aufnahme handelt es sich um eine Studioproduktion mit Elia Seiffert, Klavier, der das Stück auch live aufgeführt hat.

Das Hubble Ultra Deep Field (HUDF) ist ein Bild einer kleinen Himmelsregion, aufgenommen vom Hubble-Weltraumteleskop über einen Zeitraum vom 3. September 2003 bis 16. Januar 2004. Es war bis zur Veröffentlichung des »Hubble Extreme Deep Field« im September 2012 das tiefste Bild des Universums, das jemals im Bereich des sichtbaren Lichts aufgenommen wurde. Dabei wurde eine Himmelsregion ausgewählt, die kaum störende helle Sterne im Vordergrund enthält. Man entschied sich für ein Zielgebiet im Sternbild Chemischer Ofen südwestlich des Orion. Der Durchmesser des gewählten Himmelsausschnitts entspricht aus Sicht von der Erde etwa einem Zehntel des Monddurchmessers. Dies entspricht einer Quadratmillimeter großen Fläche auf einen Abstand von einem Meter und stellt ungefähr ein Vierzigmillionstel des gesamten sichtbaren Himmels dar. Das HUDF enthält rund 10.000 Galaxien und große kosmische Objekte. Es besteht aus zwei separaten Aufnahmen durch Hubbles »Advanced Camera for Surveys« (ACS) und dem »Near Infrared Camera and Multi-Object Spectrometer« (NICMOS). Das Bild entstand aus 800 Einzelbelichtungen, die während 400 Erdumkreisungen Hubbles durchgeführt wurden. Um den gesamten Himmel in dieser Auflösung zu beobachten, würde das Hubble Weltraumteleskop eine Million Jahre benötigen. (Wikipedia, 19. März 2013)

Die Musik versucht dem Verhältnis des menschlichen Bewusstseins zum Universum nachzuspüren. Sie versucht, einen sehr tiefen Blick ins Universum zu werfen mit seiner nach physikalischen Gesetzmäßigkeiten organisierten Materie und Energie. Befinden wir uns im Auge des Universums? Sind wir verloren im Weltall? Und was befindet sich jenseits des Universums? Diese Frage beschäftigt den Menschen schon seit geraumer Zeit, wie der bekannte Holzstich L’atmosphère von Camille Flammarion aus dem Jahre 1888 zeigt.

Klumpengesang für Sopran, Bariton und Klavier (2018), auf ein Gedicht des Komponisten
Ergon 66, Musikwerknummer 1843

Bei der Aufnahme handelt es sich um eine Studioproduktion mit dem »Duo Simolka–Wohlhauser«, das dieses Stück im Jahre 2018 auf einer Europa-Tournee uraufgeführt hat: Christine Simolka, Sopran · René Wohlhauser, Bariton und Klavier

Das Innehalten, das Aussparen, damit das Darunterliegende zum Vorschein kommt, die Spannungspause, verschiedene Dichte- und Spannungsgrade, das Ausprobieren neuer Konstellationen, die Kontextualisierung von Kontextfremdem. Dies sind einige der Techniken und Verfahrensweisen, die in diesem Stück zur Anwendung kamen, um ein eigentümliches Klanguniversum zu schaffen. Zusammengehalten und überlagert werden alle diese Prozesse aber durch eine unmittelbar erfahrbare Körperlichkeit, die die Hörenden direkt anspricht und berührt.

Das »Klumpenhafte« wird hier kompositorisch verstanden als interessante musikalische Aggregatszustände, die sich, wie physikalische Aggregatszustände, durch Änderungen des Kontextes ineinander umwandeln oder zu etwas Neuem mutieren können. Daraus entstand auch das Gedicht in einer Art entsprechender klumpenhafter Semantik.

Das Ruhige, Introvertierte, dem Leisen Nachhorchende. Dies aber mit Konsequenz und Radikalität. Und als Kontrast das ursprünglich Klumpenhafte, Ungeschliffene, Ursprüngliche, Unmittelbare. Dies sind verschiedene Seiten der Musik, die in diesem Stück zum Ausdruck kommen und durch ihre ausgewogene Klanglichkeit erfahrbar werden, Kehrseiten der Musik sozusagen, die die Welt von der anderen Seite her zeigen und dadurch unserem Denken und unserer Wahrnehmung von Zeit und von Raumtiefe des Klanges neue Perspektiven eröffnen.

René Wohlhauser

Programm:

René Wohlhauser (*1954)

Im lauteren Sein

Werke für verschiedene Ensemble-Kombinationen, eingespielt vom “Ensemble Polysono” [01–04], Markus Stolz [05], Elia Seiffert [06] und dem “Duo Simolka–Wohlhauser” [07]


[01] Geworf’ne Akrobaten (2018) 11:42
Version für Sopran, Bariton, Flöte, Klarinette, Violine und Violoncello,
auf ein Gedicht des Komponisten

[02] Quartett für Flöte, Klarinette, Violine und Violoncello Nr. 1 (2018) 11:26

[03] Im lauteren Sein (2017) 16:36
Version für Sopran, Bariton, Flöte, Klarinette, Violine und Violoncello,
auf ein Gedicht des Komponisten

[04] Trio für Flöte, Klarinette und Violoncello Nr. 2 (2017) 11:35

[05] Cellissimo graduale (2017) 10:57
für Violoncello solo

[06] Mikosch … lost in the Ultra Deep Field (2013) 09:59
für Klaviersolo

[07] Klumpengesang (2018) 07:23
Version für Sopran, Bariton und Klavier,
auf ein Gedicht des Komponisten

Gesamtspielzeit: 79:43

Ersteinspielungen

Pressestimmen:

173 / Mai 2022

CD mit Musik von René Wohlhauser
Von Manfred Karallus

„Was befindet sich jenseits des Weltraums?“, fragt René Wohlhauser – und fragt nun aber nicht abstrakt, sondern begibt sich mit Untersuchungen zum Hubble-Ultra-Deep-Field-Teleskop gleichsam in die Tiefe des galaktischen Raums, Sie wissen, da, wo es südwestlich des Orion zum Sternbild des Chemischen Ofens geht. Allerdings gab es in seinem diesbezüglichen Klavierstück „Mikosch … lost in the Ultra Deep Field“, wie mir Wohlhauser versicherte, „keine Übertragung der Daten des Hubble-Teleskops in die Komposition, sondern nur eine ‚metaphorische’ Inspiration als Ausgangspunkt. Das Stück folgt seiner inneren, musikalischen Logik.“

Selten habe ich einer Compact Disc von A bis Z so neugierig gelauscht wie dieser. Da ist alles, bis ins letzte Detail, plastisch ausgearbeitet, gestalthaft, unmittelbar, zum Greifen nahe – und zugleich so anders als alles andere. Musik mit dem gesunden Geschmack des Selbstgemachten, dem Komponisten entflossen wie die Milch, die die Kuh gibt – „Mikosch“ trägt die Werknummer 1646! –, und ein Rezipieren, Verstehen und Kapieren ohne ästhetisches Umwegdenken mit verzögertem Aha-Erlebnis. Ein Hören aber auch ohne die Pflicht zur Lektüre von Texten, die einem erklären sollen, was die Musik nicht auszudrücken vermochte.

Selbstgemacht sind neben den knappen Einführungen auch die Gedichttexte, die, wo sie eine Baritonstimme verlangen, auch vom Komponisten selbst vorgetragen werden. Freche Sachen mitunter, Rotzlieder zu Schand- und Maulgedichten – und einen „Klumpengesang“, der, geschliffen notiert, den ungeschliffenen Schlußpunkt zu einer höchst bemerkenswerten CD setzt.

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