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STEFAN SCHULZKI · KAMMERMUSIK Zu Beginn meiner Arbeit am Klavierkonzert suchte ich Tonballungen, die das Material meist mehrerer Dur-Akkorde in sich vereinen. Die Assoziation spiegelglatter Bergseen legte mir einen langsamen Satz nahe, dessen Irritationen dazu dienen sollen, trotz der Kontemplation zugleich eine gewisse Spannung aufzubauen. Der nachfolgende, schnelle Abschnitt ist ebenfalls von Dur und Dissonanzen geprägt. Es folgt ein mehrminütiges Accelerando, das in einen quasi zeitlosen Abschnitt mündet, sowie anschließend eine erneute stufenlose Zeitbiegung, diesmal in die andere Richtung – von ca. 250 zu ca. 12 Schlägen pro Minute – und zugleich vom Leisesten zum Lautesten, wo die Geschehnisse gleichsam unter einem Mikroskop ihr Maximum erreichen. Auch dort wird ein weiterer »Nullpunkt« erreicht, bevor eine kurze Coda das Anfangsmaterial in neuem Licht wiederkehren lässt. Für das aDevantgarde-Festival-Projekt »Ein garstig Lied! Pfui!« schrieb Norbert Niemann mir extra ein Politisches Lied 2011 zur Vertonung. Im Laufe meiner Überlegungen bezüglich der Umsetzung legten sich mir die Stilmittel der Übertreibung und der ironischen Überspitzung nahe, um dadurch die Aufmerksamkeit zu schärfen. Der Vokalpart fordert oft blitzartiges Umschalten zwischen unterschiedlichsten emotionalen Haltungen. Diese schnellen Perspektivenwechsel finden sich häufig in meiner Musik und dürfen gerne als Botschaft verstanden werden: Man sollte sein eigenes Weltbild nie allzu ernst nehmen. Eine Definition des Begriffs »Widerschein« lautet: Je heller und größer ein Körper, desto stärker leuchtet sein Widerschein auf einem sich daneben befindlichen, anderen Körper. Im übertragenen Sinne könnte man auch sagen: Je extremer ein Ereignis, desto stärker hinterlässt es seine Spuren in der emotionalen Biographie eines Menschen. Es geht also bei meinen Widerschein-Stücken immer um Situationen, die aufgrund ihrer Intensität auch im Nachhinein, und auch bei rein äußerlich nicht beteiligten Menschen, sichtbare oder spürbare Abdrücke hinterlassen. Für ein Projekt am Augsburger Leopold-Mozart-Zentrum mit Mehrfachvertonungen ermunterte mich der Komponist Markus Schmitt dazu, ebenfalls eine Goethe-Neuvertonung beizusteuern, und legte mir dabei ausgerechnet den Erlkönig nahe. Noch nie zögerte ich derartig lange, eine kompositorische Aufgabe zu übernehmen, denn es ist schlicht unmöglich, den Schubert-Klassiker zu ignorieren … Selten war es mir so schwierig, andere Lösungen zu finden, die mir nicht deutlich schlechter schienen – und auch die ein oder andere Ähnlichkeit (z. B. schnelle Klavier-Triolen oder der vokale Gestus bei »Dem Vater grauset’s«) musste ich in Kauf nehmen, denn trotz meiner Bemühungen um Unterschiede wollte ich nicht um jeden Preis nur anders sein als Schubert … letztlich musste ich ja zumindest versuchen, den Text auf möglichst unabhängige Weise zu vertonen (auch wenn dies noch so schwer war!) – und ein striktes Vermeiden jeglicher Ähnlichkeiten hätte sich dieser Intention ebenso entgegengestellt wie eine unbewusste oder sorglose Übernahme von bestehenden Schubertschen Lösungen. Die Drei Epigramme nach Bertolt Brecht entstanden für ein Projekt beim Brechtfestival Augsburg, wo die Kriegsfibel an einem Abend komplett auf die Bühne gebracht wurde. Die 69 Fotos wurden projiziert, die zugehörigen Brechtschen Vierzeiler von der Schauspielerin Rike Schmid rezitiert oder von Chor, Solisten und Klavier dargeboten. Neben der Aufführung bestehender Kompositionen von Hanns Eisler und Paul Dessau wurden auch Augsburger Komponisten (außer mir noch Richard Heller, Michael Kamm, Wolfgang Lackerschmid und Tom Simonetti) dazu eingeladen, einzelne Epigramme zu vertonen. Die Zeit und das Zimmer ist ein Theaterstück von Botho Strauß, das in fragmentarischen Bildern rund um die Hauptfigur Marie Steuber – so meine Interpretation – auf kunstvolle Weise und non-linear von den Schwierigkeiten zwischenmenschlicher Kommunikation und von letztlich gescheiterten Beziehungen erzählt. Für seine Inszenierung am Deutschen Theater in Berlin (2001 / 2002) bat mich Regisseur Jarg Pataki, für die Debussy-Besetzung Viola, Flöte und Harfe eine eigenständige Musik zu schreiben, die stilistisch meiner eigenen Musik entspricht und dabei die Sinnlichkeit von Debussy und die Präzision von Webern vereint. Er war so großzügig, mich in seiner Abwesenheit in sein Bauernhaus nahe bei Genf einzuladen. In drei Novemberwochen konnte ich dort, in der Abgeschiedenheit, Stephen Hawking und Botho Strauß lesen und die als Zwischenspiele eingesetzten Miniaturen komponieren, in denen eine Tonreihe variiert wird, die Bezug nimmt auf das berühmte Trio von Debussy. Stefan Schulzki Programm:
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