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WOLFGANG JACOBI – EIN MODERNER KLASSIKER »Jacobi ist kein Viel- und kein Schnellschreiber. Jedem seiner Werke merkt man die Sorgfalt des Gestaltungsprozesses an, das präzise Verantwortungsgefühl gleichsam gegen jede Note und Pause, die selbstkritische Scheu […] vor dem Zuviel und Zuwenig«, stellte der Musikwissenschaftler Erich Valentin 1958 über das Schaffen Wolfgang Jacobis fest. Und in der Tat war Jacobi ein genauer Arbeiter, ein Komponist, der hohe Ansprüche an sich selbst stellte und ein Mensch, der bescheiden und ehrlich durchs Leben ging. Am Ende dieses seines Lebens hatte er insgesamt ca. 200 Kompositionen geschrieben, von denen jedoch nur etwa die Hälfte erhalten ist. Viele seiner frühen Werke gingen im Zweiten Weltkrieg verloren, andere hielten später Jacobis Selbstkritik nicht stand und wurden wieder verworfen. Das, was erhalten ist, zeugt von meisterhaftem Können, von künstlerischer Ausdruckskraft und eindeutiger Handschrift. Schon in jungen Jahren war Jacobis Begeisterung für die Musik geweckt worden. Als Karl Theodor Franz Wolfgang Jacobi am 25. Oktober 1894 in Bergen auf der Ostsee-Insel Rügen geboren, wuchs er in einem gebildeten Elternhaus auf und erhielt früh musikalisch-kulturelle Impulse. Die Entscheidung, eine professionelle musikalische Laufbahn einzuschlagen, traf Jacobi aber erst als Soldat während des Ersten Weltkriegs: In französische Gefangenschaft geraten und an Lungentuberkulose erkrankt, war er 1917 nach Davos ins Sanatorium geschickt worden. Hier lernte er u. a. die Musik Ravels und Debussys kennen und begann, davon beeindruckt, selbst zu komponieren. Nach dem Krieg ging Jacobi dann nach Berlin und studierte bis 1922 an der dortigen Musikhochschule Komposition. Danach erhielt er eine Stelle am Berliner Klindworth-Scharwenka-Konservatorium und gab Unterricht in Musiktheorie. Auch komponierte Jacobi viel, wurde freier Mitarbeiter der »Berliner Funkstunde« und konnte sich mit seinen Werken zusehends einen Namen machen. Den ersten großen Erfolg errang Jacobi mit seinem Konzert für Cembalo und Orchester. »Meine besondere Vorliebe für die Barockmusik und das Cembalo veranlasste mich, ein Werk in dem für das Ende der zwanziger Jahre bezeichnenden Stil des Neoklassizismus zu schreiben«, erinnerte er sich später. Als »Concertino für Cembalo und Kammerorchester« 1927 entstanden, wurde das Werk 1928 im Berliner Alhambra-Kino durch das Kino-Kammerorchester unter der Leitung von Paul Dessau und mit Eigel Kruttge als Solist uraufgeführt. Zwei Jahre später fand dann auf der Tonkünstlertagung in Dresden eine bedeutende Aufführung vor prominentem Publikum durch die Dresdener Philharmoniker unter Paul Scheinpflug statt. Das dreisätzige Werk hatte in dieser frühen Fassung allerdings keinen Bestand und wurde 1947 von Jacobi überarbeitet. Vor allem im Bereich der Instrumentation nahm er Änderungen vor. Über die Erstaufführung der Umarbeitung hieß es in der Presse 1949: »Im Orchesterkonzert fesselte außerordentlich ein Konzert für Cembalo und Orchester von Wolfgang Jacobi durch die leichte spielerische Eleganz und einfallsreiche musikalische Beweglichkeit, die dem Wesen des Instrumentes auch in moderner virtuoser Form voll und ganz gerecht wurden.« Hoffnungsvoll hatte also die Karriere Jacobis begonnen. Doch der Einschnitt erfolgte 1933 mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten: Das Hitler-Regime verhängte ein Berufs- und Aufführungsverbot gegen den Komponisten, das bis 1945 bestehen blieb. Denn Jacobi war den Nazis sowohl aus kulturpolitischen Gründen ein Dorn im Auge – er hatte Werke für die Arbeiterchorbewegung geschrieben – als auch aufgrund seiner Herkunft – sein Vater war jüdischer Abstammung. Zwölf Jahre lang musste er eine Zwangspause einlegen. In Italien fand Jacobi mit seiner Frau und zwei Kindern vorübergehend ein neues Zuhause. Hier konnte er im beschaulichen Malcesine am Gardasee von den Geschehnissen Abstand gewinnen. Er interessierte sich sehr für die Kultur des Landes und entwickelte eine tiefe Verbundenheit zu Italien. Auch wurde der Zufluchtsort für ihn zu einer bedeutenden Inspirationsquelle, wovon viele seiner späteren Kompositionen zeugen – so etwa die Italienischen Lieder für Sopran und Klavier aus dem Jahr 1954. Hier, wie in zahlreichen seiner Vokalwerke, vertonte er italienische Textvorlagen, da er auch eine besondere Affinität zur italienischen Sprache hatte und diese perfekt beherrschte. Die Texte der zwei Lieder, Il Gelsomino tra le labbra und Rapita Europa, stammen von den Dichtern d’Incerto und Antonio Bruni und wurden von Jacobi auf einfühlsame Weise in Musik gesetzt. Die Lieder überzeugen durch ihre Anmut, Klarheit und feinsinnige Melodieführung. Gern hätte sich Jacobi in Italien dauerhaft niedergelassen. Doch zwang die Devisensperre die Familie bereits 1935 zur Rückkehr nach Deutschland, und sie übersiedelte nach München. Hier lebte Wolfgang Jacobi als verfemter Komponist in »innerer Emigration«, bis er 1945 endlich wieder ins öffentliche Musikleben zurückkehren konnte. Er erhielt einen Lehrauftrag, dann eine Professur an der Münchner Musikhochschule. Zudem engagierte er sich in diversen Musikverbänden und -organisationen und leistete einen enormen Beitrag zur kulturellen Aufbauarbeit im Nachkriegs-München. Auch wurde er künstlerisch wieder aktiver und schrieb – noch unter dem Eindruck der dunklen Ereignisse des »Dritten Reichs« – zahlreiche neue Kompositionen. Hierzu gehört auch die Musik für Streichorchester oder Streichquartett. Jacobi schuf das Werk 1948 zunächst als Streichquartett, das von der Kritik als ergreifendes »Zeitstück« gewertet wurde, »spürbar durchwittert von den Spannungen der Gegenwart«. Mal impulsiv und rhythmisch betont, dann zauberhaft zart bis berührend, überrascht das fünfsätzige Werk durch seinen imposanten Einfallsreichtum. 1952 bearbeitete Jacobi das Quartett für Streichorchester und widmete diese Fassung dem Dirigenten Alessandro Derevitzky, der das Werk später in Argentinien zur Aufführung brachte. Obwohl Jacobis Kompositionen weit über die Grenzen Deutschlands hinaus aufgeführt wurden und er viele Erfolge feiern konnte, ließ der große künstlerische Durchbruch auf sich warten. Seine Musik, beeinflusst von Komponisten wie Debussy, Hindemith, Reger und Bartók, unterschied sich zu sehr von den avantgardistischen Strömungen der 1950er / 60er-Jahre. Überaus hohe Anerkennung wurde ihm jedoch aus Akkordeonisten-Kreisen zuteil. Etwa 60jährig hatte Wolfgang Jacobi das klassische Akkordeon für sich entdeckt und damit begonnen, anspruchsvolle Werke für das bisher fast nur der Volksmusik zugeordnete Instrument zu schreiben, was einer Pionierleistung gleichkam. Eines dieser Werke ist sein virtuoses Concertino für Akkordeon und Akkordeonorchester, Serenade und Allegro, das 1958 entstand und auch in einer Fassung mit Kammerorchester existiert. Für das Konzert wählte Jacobi die einsätzige Sonatenform mit langsamer Einleitung als Gestaltungsprinzip: »Dem Charakter nach ist die Einleitung eine Serenade mit einer elegisch-ausdrucksvollen Melodie«, erläuterte er, »das Allegro ein stürmischer Satz mit Jazzelementen«. Für seine Akkordeon-Werke erntete Jacobi Beifall und Ruhm, und Akkordeonisten blieb sein Name stets ein Begriff. Viele seiner anderen Kompositionen gerieten nach seinem Tod 1972 jedoch in Vergessenheit – bis durch verschiedenste Initiativen deren Wiederentdeckung ins Rollen gebracht wurde. Die Werke dieser CD wurden beim Megève Festival Savoy Truffle aufgeführt und (mit Ausnahme des Streichquartetts) auch dort aufgenommen. Die CD erscheint aus Anlass des 125. Geburtstages von Wolfgang Jacobi im Jahr 2019. Barbara Kienscherf Mehr unter: www.wolfgang-jacobi.de Programm:
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