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YOUNGHI PAGH-PAAN · KAMMERMUSIK MAN-NAM I (Begegnung) für Klarinette und Streichtrio (1977) ist drei Jahre nach Younghi Pagh-Paans Ankunft in Deutschland entstanden, als die Komponistin dringend einen Ausweg suchte aus einer strapaziösen Lebenslage, in der sie sich befand – ausgelöst durch die Konfrontation mit einer ihr noch so fremden Kultur. Um den Kulturschock in ihr selbst zu überwinden, thematisiert sie die Begegnung beider Kulturen in Gestalt einer vierteiligen, von einem Gedicht der koreanischen Dichterin Sa-Im-Dang Sin (1504–1551) inspirierten Komposition, in der sie zudem – gleich der Dichterin – die Sehnsucht nach ihrer Mutter (bzw. Heimat) zum Ausdruck bringt. Auf den ruhig-bewegten ersten Teil des Werkes, in dem die Komponistin »zögernd« ihre Angst zu besänftigen versucht, folgt die »Flucht in die schützende Einsamkeit der Berge« – dargeboten als ein reiner Streichersatz mit beweglich hüpfenden Melodie-Zellen, eingebettet in äußerst zarte Flageolett-Klänge [01:50]. Der aufgewühlte dritte Teil [03:42], mit der Klarinette als Protagonistin, führt schließlich über das Intermezzo einer Solokadenz des Violoncellos [05:59] zur »Versöhnung« der Stimmen im letzten Teil [08:03], die, begleitet von trommelartigen Cello-Pizzicati, das Miteinander ihrer Existenzen innig zu zelebrieren scheinen. Die Nuria Schönberg-Nono nach dem Tod ihres Mannes Luigi Nono gewidmete Komposition ma-am (Mein Herz) für Frauenstimme (1990) ist der Beginn einer Werkreihe, in der sich die Komponistin nachdrücklich mit dem Thema »Herz« befasst. Ein in Form des altkoreanischen Sijo – mit seiner charakteristischen Dreiteiligkeit – verfasstes Gedicht des Lyrikers Chung Chul (1536–1593) wird nicht nur innerlich emotional, sondern auch äußerlich formal zur Grundlage dieser Komposition. Im ersten Teil, welcher mit dem ersten, Cho-Jang genannten Gedichtteil (»Ich möchte das Herz …«) übereinstimmt, verwendet Pagh-Paan einen explizit der koreanischen Musik entlehnten Rhythmus als zeitliches Gerüst (beginnend mit einem auffälligen kurzen Akzent, der dem langgehaltenen Zentralton des vorausgeht). Das Claves-Paar übernimmt in diesem Teil, in einer reduzierten Manier, die Rolle des in Sijo-Vorführungen begleitend eingesetzten Schlaginstruments Janggo. Der zweite und der dritte Teil [01:52 und 02:45] kongruieren formal mit den übrigen zwei Teilen des Gedichts, namentlich Jung-Jang (»In der unbegrenzten Himmelstiefe …«) und Jong-Jang (»Damit den Ort er erhelle …«), und führen uns, das Rhythmische immer weiter entzerrend, über verschiedene Tonzentren zu dem anfänglichen Ton des zurück, womit sich der Kreis der Komposition schließt. In U-MUL / Der Brunnen (1992) nimmt das Schlagwerk – eine der Grundstützen der traditionellen koreanischen Musik – wie oft in Werken Pagh-Paans eine essenzielle Position ein. Es steht symbolisch für das archaische Bild des Brunnens, der selbst zu einem zweifachen Symbol wird: einerseits als Abbild der menschlichen Seele, so tief wie »eine Quelle ohne Abgrund« (Meister Eckhart), andererseits als Mahnmal eines sozialen Aktes: des Nehmens und Weitergebens – des Teilens. Die »Notwendigkeit zu teilen« wird bereits zu Beginn deutlich, wenn die Klänge der Rahmentrommel – eintretend nach dem anfänglichen Einläuten der Eisenspirale und des Windglöckchens – von Instrumenten übernommen und weitergereicht werden. Das Ergebnis ist ein Reichtum an Klängen, der geradezu dazu einlädt, in die »Tiefe« des akustischen Raums hineinzuhorchen. Das Schlagwerk, als Hauptfigur des Werkes, durchläuft indes über einige Stationen einen Weg der Konkretisierung: Nach dem Hinzutreten des Bambusbündels [01:40] übergibt die Rahmentrommel ihre tragende Hauptfunktion an ein archaisch anmutendes Duo aus Holzbalken und Guiro [02:47], das dem Eingang des Zentraltons E (beginnend mit der Altflöte) vorausgeht und später [04:10] als alleiniger Akteur alle Aufmerksamkeit auf sich zieht. Anschließend bereiten die um den Zentralton Es umwobenen Instrumentalklänge [05:26] den Einsatz der kreisenden Maracas vor [05:46], deren Klang Assoziationen an das ruhige Fließen des Wassers evoziert. Doch bevor dieser Konkretisierungsprozess noch weiterschreitet, lässt die Rückkehr zu den anfänglichen Klängen der Rahmentrommel, der Eisenspirale und des Bambusbündels [06:50] uns rückbesinnen auf den »Urgrund des Seins«, auf das Immer-Dagewesene. Das Prozesshafte ist nur ein Schein, alles Gegebene war schon immer da und wird immer wiederkehren. Das Durchschimmern eines leuchtenden, schwebenden Klanges der Streicher [08:05] leitet nun den Einsatz des Regenrohrs als ein noch deutlicheres Wasser-Symbol ein. Am Schluss des Werkes wird gleichermaßen der Vorgang des »Teilens« konkretisiert, indem ein großes Tamtam zweimal, als Resonator agierend, den Ton eines laut angeschlagenen und sofort abgedämpften Gongs übernimmt [09:17], um ihn in seinem Inneren weiter erklingen zu lassen. Wenig später endet das Stück mit einem transparenten Klang, der sich zwischen hohen Tönen von Violine und Viola und einem in der Tiefe verweilenden Kontrabasston entfaltet und somit der Komposition ein offenes Ende gewährt. Im jüngsten Werk aus der »Herz«-Serie, Mein Herz I für Sopran und Viola (2020), widmet sich die Komponistin dem gleichnamigen Gedicht des österreichischen Lyrikers H. C. Artmann (1921–2000). Signifikant für die Komposition ist das hochgradig synthetische Verhältnis zwischen Stimme und Instrument: Sie folgen gemeinsam einem organischen und langsam pulsierenden Zeitfluss, treffen sich bei strukturell tragenden Tonhöhen, umschlingen einander, trennen sich, um sich jedoch bald wieder zu vereinen. Die acht Zeilen des Gedichts, die wiederholend mit den Worten »mein herz« beginnen, sind formal für die Komposition konstitutiv. Die ersten zwei Zeilen werden aufeinanderfolgend vertont und führen zu einem Moment des Innehaltens, ausgelöst durch Doppel-Flageoletts der Viola solo. Ein zweiter Abschnitt [01:52] eröffnet mit der dritten Zeile des Gedichts und endet mit den Anfangsworten der vierten, bevor der nächste Formteil überraschend mit einem anderen, koreanisch anmutenden Duktus anhebt [03:20], um die Worte »mein herz« in koreanischer Sprache Klang werden zu lassen. Die vorhin abgebrochene vierte Zeile wird anschließend zu Ende geführt, der Bruch bleibt jedoch dem Text-Musik-Verhältnis nachhaltig anhaftend. Im vierten Formteil [04:40] werden die Zeilen fünf und sechs zwar vollständig vertont, die siebte wird dennoch nur mit einem einzigen Wort (»mein herz liegt, trinkt, trägt, ist«) angedeutet, die achte bleibt ganz aus. Das Stück schließt im fünften Abschnitt [05:55] mit der reprisenhaften Rückkehr der ersten Zeile: »mein herz ist das lächelnde kleid eines nie erratenen gedankens«. Diese zauberhafte Ausgewogenheit von ratio und emotio kann gewiss auch als eine substanzielle Quelle des ganzheitlichen und authentischen Ausdrucks für die Musik Younghi Pagh-Paans gelten. »Wellen. Gesamtes und Teile. Dasselbe und das Andere. Horizont auf hoher See. Wir sind von unserem eigenen Blick eingekreist.« Diese Zeilen von Simone Weil (1909–1943) sowie das erste Wort aus den Sieben Kreuzesworten (»Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.«, Lukas 23,34) stehen Pate für Younghi Pagh-Paans Streichquartett Horizont auf hoher See (2016). Sie scheint in Simone Weil eine Seelenverwandte gefunden zu haben, die wie sie die Realitäten des Lebens aus einem spirituellen Blickwinkel betrachtend und mit einer stetigen »Bewegung im Bewegungslosen« in ihre Kunst zu integrieren vermochte. Die »Kraft des Mystischen« und die »Tiefe« will die Komponistin suchen. Sie lässt kraftvolle ursprüngliche Klänge gemeinsam mit ihren äußerst zarten Kontrahenten, motivisch prägnante – zeitweise fugierende – Tonfolgen mit den ihnen strukturell entgegengesetzten, beweglichen und lebendigen Einzeltönen sowie unendlich weitere Andersartigkeiten hineingießen in das stabile Gerüst einer akribisch durchdachten Zeitstruktur. Sie ist eine »Architektin der Zeit«. Ihr gelingt es, die scheinbar gegensätzlichen Elemente miteinander zu verschmelzen, die vielfältigen Einzel-»Teile« zu einem »Gesamten« zu sublimieren. Im Schlussakt des Stückes offenbart sich dieser Vorgang ein letztes Mal nahezu ostentativ, indem eine pentatonisch strukturierte, durch ihre Schlichtheit strahlende Melodie Eingang in den Schmelztiegel der Komposition findet: Die von der Viola eingeführte Modalmelodie [14:42], gleichsam eine fremdartige Reflexion auf der Klangoberfläche des Stückes, wirft ein überraschendes – wenngleich vorgeahntes – Licht auf das Vorhergehörte, wird wieder in die Gesamtheit des Klangapparats gestreut und geht schließlich im Gefüge des Werkes völlig auf. Am Ende ist es die lebendige Ruhe, die »Bewegung im Bewegungslosen«, die bleibt. Ali Gorji |
Programm:
[01] MAN-NAM I für Klarinette, Violine, Viola und Violoncello (1977) 12:34
[02] ma-am (Mein Herz) für Solo-Frauenstimme (1990)* 04:07
auf ein Gedicht von Chung Chul
[03] U-MUL / Der Brunnenfür sieben Isntrumentalisten (1992) 10:10
[04] Mein Herz I für Sopran und Viola (2020)* 07:22
auf ein Gedicht von H. C. Artmann
[05] Horizont auf hoher See für Streichquartett (2016)* 17:50
Gesamtspieldauer: 52:36
Angela Postweiler, Sopran
Ensemble KNM Berlin
Rebecca Lenton, Flöte
Miguel Pérez Iñesta, Klarinette
Michael Weilacher, Schlagzeug
Theodor Flindell, Violine
Lisa Werhahn, Violine
Kirstin Maria Pientka, Viola
Cosima Gerhardt, Violoncello
Jonathan Heilbron, Kontrabass
* Ersteinspielungen
Pressestimmen:
10.01.2022
Ecos coreanos, en el corazón de Alemania
Como tantos compositores asiáticos, entre los que podemos destacar a Tōru Takemitsu, Isang Yun, Toshio Hosokawa, o Misato Mochizuki, la compositora surcoreana Younghi Pagh-Paan (Cheongju, 1945) es un perfecto ejemplo de sincretismo y diálogo intercultural: el que en su obra se tiende entre los atisbos que en ella perviven de la música tradicional coreana y las corrientes de la avantgarde que Pagh-Paan asimiló, de primera mano, en algunos de los centros académicos alemanes de referencia, en los que completó sus estudios musicales (comenzados en Seúl en los años sesenta) con maestros entre los que encontramos a Peter Förtig, a Klaus Huber y a Brian Ferneyhough.
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Las tomas de sonido, a cargo de Deutschlandfunk Kultur, son ejemplares y de una transparencia que se agradece, aunque estemos ante piezas camerísticas de por sí muy cristalinas, aquí registradas con gran cuerpo tímbrico y definición espacial. Por lo que a la edición se refiere, ésta es la habitual del sello muniqués NEOS, con un libreto que incorpora muy bellos e interesantes ejemplos de partituras (primorosamente manuscritas) de Younghi Pagh-Paan, así como unas notas de Ali Gorji que van directas al grano y a la sustancia de cada una de estas cinco obras.
Paco Yáñez
Koreanische Klänge im Herzen Deutschlands
Wie so viele asiatische Komponisten, darunter Tōru Takemitsu, Isang Yun, Toshio Hosokawa und Misato Mochizuki, ist die südkoreanische Komponistin Younghi Pagh-Paan (Cheongju, 1945) ein perfektes Beispiel für Synkretismus und interkulturellen Dialog: in ihrem Werk finden sich Anklänge an die traditionelle koreanische Musik und die avantgardistischen Strömungen, die Pagh-Paan in einigen der führenden deutschen akademischen Zentren, in welchen sie ihr (in den 1960er Jahren in Seoul begonnenes) Musikstudium bei Meistern wie Peter Förtig, Klaus Huber und Brian Ferneyhough absolvierte, aus erster Hand aufgenommen hat.
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Die Tonaufnahmen von Deutschlandfunk Kultur sind vorbildlich und von einer Transparenz, die man schätzt, auch wenn es sich um an sich sehr kristalline Kammermusikstücke handelt, die hier mit großer Klangfülle und räumlicher Definition aufgenommen wurden. Was die Ausgabe betrifft, so handelt es sich um die übliche Ausgabe des Münchner Labels NEOS, mit einem Booklet, das sehr schöne und interessante Beispiele der (wunderschön handgeschriebenen) Partituren von Younghi Pagh-Paan enthält, sowie Anmerkungen von Ali Gorji, die direkt auf den Punkt und auf den Inhalt jedes dieser fünf Werke eingehen.