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VOM SPRENGEN DES GARTENS »Zu analysieren gibt es da nicht viel!«, bemerkt Jürg Wyttenbach schalkhaft. Wir sitzen in einem Berner Café, vor uns ausgebreitet sind Fotokopien der »Liedle«, wie der Komponist seine 8 Duettini und Drei kurzen Gebete schlicht und liebevoll nennt. Sie sind 2014 für Katrin Frauchiger und Katharina Weber entstanden. »Ich muss stets wissen, für wen ich schreibe. Und meistens habe ich für befreundete Musikerinnen und Musiker geschrieben.« Sie also bestimmen Konzeption und Ergebnis latent mit. Letzteres überrascht hier: Gegen das Etikett »typischer Wyttenbach« scheint es sich auf den ersten Blick zu sträuben. Doch worin besteht dies Typische? Im Théâtre musical, der szenischen Aktion, dem (bisweilen derben) Witz, der Ironie und Groteske? Die beiden Widmungsträgerinnen, die mit Wyttenbachs Œuvre eng vertraut sind, sehen es differenzierter: Vor, hinter und neben dem bunten Treiben des instrumentalen und vokalen Theaters gab es stets auch das sehr Private, das Tiefgründige, den Zug ins Ernste, verbunden mit radikaler Verknappung, messerscharfer Präzision des Ausdrucks. Und es ist dieser Aspekt seiner Kunst, den Wyttenbach in den Miniaturen für Frauchiger und Weber herausstellt. Die passenden Texte für die 8 Duettini fand er beim japanischen Haiku-Dichter Issa (1763–1827) und im Gedichtband Zoé Zebra (2004) von Kurt Marti (1921–2017). Lyrik der beiden hatte Wyttenbach bereits zuvor verarbeitet: Haikus von Issa (und anderen) in Laut Käfig für Sopran und Harfe oder Gitarre (1995–97, für Ingrid Frauchiger), Gedichte von Marti in Ist Klang der Sinn? für einen rezitierenden Cellisten (2009). Und nun vereint er die japanische Poesie und jene des Berner Theologen unter einem Dach. Was hat es mit dieser Kombination auf sich? »Martis Gedichte sind natürlich keine Haikus«, doch in Präzision und Dichte, sagt Wyttenbach, seien sie den japanischen Dreizeilern durchaus vergleichbar. Die Musik nimmt diesen Gestus eindrücklich auf. Da ist keine Note zu viel, keine zu wenig; jeder Ton ist durchdacht, auch wenn keiner einem »System«, sprich: einer Reihe oder dergleichen, angehört (eben: »Zu analysieren gibt es da nicht viel«). Machen die Duettini hie und da von einem, wenn auch äußerst dezenten, musikalischen Augenzwinkern noch Gebrauch, so entfällt es in den Gebeten an Kannon Bosatsu, die japanische Göttin der Barmherzigkeit, ganz. Die Schlichtheit, ausdrucksvolle Wärme und – in traditionellem Sinne – Schönheit dieses kleinen Zyklus sind nachgerade berückend. »So einfach hatte ich nie geschrieben«, sagt Wyttenbach. »Ich wollte einfach mal weg von der Chromatik und hatte beim Komponieren auch immer wieder diese japanischen Klänge im Ohr.« Plakatives Lokalkolorit habe er jedoch vermeiden wollen. Behutsame Anklänge gibt es dennoch: dezent eingewobene pentatonische Wendungen zum Beispiel. Oder aber die weite, oftmals eine None einschließende Lage im Klavier, verbunden mit einem harten Anschlag. Klangliches Vorbild waren hier die mit Plektren gespielten japanischen Saiteninstrumente. Einige Wochen zuvor in einem anderen Berner Café: Katrin Frauchiger und Katharina Weber reden über die Faszination von Lied und Lyrik aus kompositorischer Perspektive. Abermals sind es Kategorien wie Dichte, Präzision des Ausdrucks, Knappheit der Form, die in den Fokus rücken. Aber auch die Freiheit. »Lyrik ist etwas derart Wichtiges«, sagt Katharina Weber, »zumal in einer Zeit, in der so viel geschrieben, so viel Prosa produziert wird. Demgegenüber ermöglicht das Gedicht Konzentration – und zugleich Freiheit, denn es lässt vieles offen«, bietet großzügig Raum für eigene Gedanken und Assoziationen, gerade auch musikalische. Ihren Liederzyklus für Katrin Frauchiger (eingespielt sind auf dieser CD sieben von insgesamt neun Liedern) komponierte Katharina Weber 2014 auf Gedichte von Martin Merz (1950–1983), der an einem Hydrozephalus gelitten hatte und dessen älterer Bruder der Schriftsteller Klaus Merz ist. »Ich habe hier keinen bestimmten Stil, in dem ich komponiere«, erläutert Weber den Facettenreichtum ihrer Miniaturen. Vielmehr reagierte die musikalische Fantasie auf die vielgestaltigen Bilder, die Merz’ einzigartige Lyrik evoziert. Inspirierend war überdies die eigentümliche Manier, in welcher der Dichter seine eigenen Texte rezitiert, besser: vorgesungen hatte. Davon existieren Tonaufnahmen, die der Komponistin zur Verfügung standen. So ist zum Beispiel die schlichte, in natürlichem h-Moll gehaltene Melodie von Zwei Welten (Nr. 1) dem Charakter von Merz’ Gesang nachempfunden. Mit der Singstimme kontrastiert das Klavier aufs erste Hinhören scharf: »In ametrischen Abständen«, wie die Spielanweisung besagt, intoniert es cluster-artige Akkorde sowie eine davon abermals unabhängige Bassstimme. Bei näherer Betrachtung aber entdeckt man doch ein dünnes Band, das die beiden Welten, jene des Gesangs und jene des Klaviers, zusammenhält: Besagte Akkorde leiten sich nämlich von einem erweiterten h-Moll-Klang ab. Was sich hier am einzelnen Lied beobachten lässt, greift im ganzen Zyklus: Disparates musikalisches Material – darunter, konkret in Hier sind sie, auch Anklänge an Pentatonik – wird subtil ausbalanciert, das Mannigfaltige zu einem Ganzen gerundet. »Katharinas Lieder«, ergänzt Katrin Frauchiger, »sind sehr anspruchsvoll, denn als Sängerin muss man streckenweise ganz unabhängig denken.« In diesem Sinne besonders knifflig sei auch Lied Nr. 2, Der rote Mantel. Katrin Frauchigers eigener Liederzyklus »… und die Nacht ist paillettenübersät« auf Texte von Meret Oppenheim (1913–1985) war 2004 / 05 in einer Fassung für Sopran, Flöte und Klavier für das Ensemble Amaltea entstanden. Ursprünglich hatte das Werk aus einem instrumentalen Prolog und sechs Liedern bestanden. Für die vorliegende Teileinspielung integrierte die Komponistin die Flötenstimme in den Klaviersatz und erweiterte überdies das Lied Dort oben in jenem Garten um ein Vor- sowie kurze Zwischenspiele des Klaviers. Bei der Komposition der Lieder, sagt Frauchiger, habe sie sich assoziativ von den wechselnden Bildern in Oppenheims Texten leiten lassen, von der raschen Abfolge von Drastik und zarter Poesie. Dass hierbei keine »errechnete« Musik entstanden ist, ist damit bereits angedeutet. Frauchiger entwirft ihre Klangwelten nicht am Reißbrett. »Ich höre die Musik in mir oder arbeite am Klavier, experimentiere dort, horche die Klänge aus.« Und doch gibt es sie, die konstruktiven Elemente: Motive, die einen roten Faden spinnen, für eine formale Verklammerung sorgen. Zumeist befinden sie sich in der Klavierstimme, in der Gestalt von Akkorden. Die beiden eröffnenden Klänge von Dort oben in jenem Garten beispielsweise akzentuieren später, sei’s in originaler Formulierung oder leicht verändert, Übergänge formaler Abschnitte. In Am Anfang ist das Ende sind es zumal die Arpeggien des Vorspiels, deren spezifische Klanglichkeit – dominierende Intervalle sind der Tritonus und die große Sekunde – im weiteren Verlauf immer wieder aufgegriffen und gestaltend genutzt wird. Ihre Stücke und jene Wyttenbachs ergänzen Frauchiger und Weber durch Alban Bergs Sieben frühe Lieder (1905–08) sowie eine Auswahl aus Hanns Eislers Hollywooder Liederbuch (1942 / 43 im amerikanischen Exil entstanden). Weshalb diese Kombination? »Bei Berg ist es der Gegensatz zu den anderen Sachen, der uns gereizt hat.« Dort die Knappheit und Transparenz, hier die weitgespannte Phrase und Üppigkeit. »Da kann man pianistisch, aber auch stimmlich ganz andere, ›geweitete‹ Dimensionen aufmachen.« Überdies ist die Zweite Wiener Schule eine Herzensangelegenheit, ihre Musik für die Werdegänge beider Interpretinnen / Komponistinnen prägend. Und wie fügen sich die selten aufgeführten Lieder von Eisler ins Konzept? Entscheidend ist weniger der Umstand, dass auch er einst Schüler Schönbergs gewesen war, als vielmehr seine ästhetische Maxime, »verständliche Musik zu schreiben, ohne banal zu werden.« Hierin eröffnen sich, bei aller Differenz des Stils, Parallelen zum eigenen kompositorischen Schaffen. Doris Lanz Programm:
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