Infotext:
LE PHÉNIX – Solokontrabass in Barock und Moderne Wandel trägt das in sich, was schon vergangen ist, aber auch das, was einmal sein wird … Der Ursprung des Programms »Le Phénix« ist mehr als die spannungsreiche Gegenüberstellung von Tradition und Moderne. Im Vordergrund steht hier die Welt des wandelbaren Klanges, die die aufgenommenen Stücke ineinander münden oder sich schroff unterbrechen lässt. So stehen hier virtuose Beweglichkeit, statische Fragilität und dunkle Kraft in unmittelbarem Kontext. Erdverbundenheit und Verletzlichkeit, das breite Klang- und Tonhöhenspektrum und die Vielseitigkeit des Kontrabasses, auch in der Art ihn zu spielen, haben meine innere Saite einst zum Schwingen gebracht. Bis heute gibt mir dieses Instrument immer wieder neue Inspiration auf der Suche nach einem lebendigen Repertoire, das den Kontrabass vollständig erfasst. Meine eigene künstlerische Offenheit und Neugier leiten mich auf diesem Weg. Alle Werke dieser CD unterstützen meine eigene Spielfreude und strahlen, zum Teil auch durch ihren Entstehungskontext, eine Offenheit für Neues aus. Werke zu transkribieren ist beim Kontrabassisten an der Tagesordnung; unser Repertoire ist begrenzt und findet erst in der Moderne zu einer eigenständigen Klanggestalt. Das Zusammenspiel von Kontrabass und Cembalo auf dieser CD erinnert und würdigt »die große Zeit der Gambe«. Die Zusammenfassung als Konzeptprogramm in der Wechselspannung »alt und neu« macht aus den vorliegenden sieben einzelnen Stücken ein spannungsvolles Gesamtwerk: Vivaldi mit Glass mit Bach mit Pärt mit Corrette mit Zbinden mit Händel. Die Sonata Nr. 5 von Antonio Vivaldi besticht durch die Ausgewogenheit ihrer vier Sätze und der Schönheit der Themen. Die Solosonaten wurden als Divertimenti bei Hofe aufgeführt; das Spiel- und Hörvergnügen, die bei der Sonata Nr. 5 hör- und spürbar sind, lässt diese Vorstellung lebendig werden. Erst zu Lebzeiten des Venezianers emanzipierte sich das Violoncello zum Soloinstrument. Bis dahin galt der intime Klang der Gambe als weitaus beliebter beim »tongebenden« Adel – jener Schicht, die die Kammermusik pflegte. Das Spielen von Violininstrumenten – aus dieser Familie kommt das Cello – war in dieser Schicht gar nicht angesehen. Mögen mir die Cellisten verzeihen, dass ich der kantablen Schönheit und dem »Swing« dieser Sonate erlegen bin und das Stück in gleicher Tonhöhe auf dem Kontrabass musiziere. Façades von Philip Glass sehe ich als Schattenwerk zu Vivaldis von Leben strotzender Sonate. Das Stück ist 1981 als Filmmusik für Godfrey Reggios Film Koyaanisqatsi (in der Sprache der Hopi Indianer bedeutet das »unausgewogenes Leben«) entstanden. Ohne Schauspieler und Dialog beschreibt dieser Film den Zusammenstoß zweier Kulturen. Die Musik begleitet die apokalyptischen Bilder eines leerstehenden New York – Symbol für Kälte und Unvereinbarkeit des Stadtlebens und seiner technischen Hilfsmittel mit dem Leben in der Natur. In meiner Transkription vereinen sich in Façades sowohl alle bei dieser Aufnahme beteiligten Instrumente – vier Kontrabässe, Cembalo und Klavier – wie auch Farb- und Bewegungsspektrum dieser CD. Die Wärme der begleitenden Kontrabässe und des Klaviers im Kontrast zur klirrenden Kälte zweier Solokontrabässe im Unisono und des Cembalos machen tiefe Abgründe spürbar. Die Verlorenheit von Façades klingt noch im ersten Satz der Zweiten Gambensonate BWV 1028 von Johann Sebastian Bach nach. Musikwissenschaftler fragen sich, ob diese Sonate im Original für ein anderes Instrument geschrieben war. Ebenso wie Bachs Gambensonaten 1 und 3 im Original für zwei Querflöten und Continuo komponiert sind – die Erste Sonate nachgewiesener Weise und die Dritte wahrscheinlich. Die Gambensonaten zählen heute zu den bekanntesten Kammermusikwerken des Komponisten und werden sowohl von Flötisten, Cellisten, Bratschern und Kontrabassisten gespielt. Alle Sonaten sind sehr kontrapunktisch gesetzt, beide Hände des Cembalos und die Gambe, bzw. hier der Kontrabass, sind gleichberechtigt. Besonders auffallend an der Zweiten Sonate ist der konzertante vierte Satz, der auch durch die virtuosen Kadenzen beider Soloinstrumente moderne Elemente hat. Während dieses Schlusssatzes freue ich mich in Konzerten innerlich schon auf Arvo Pärts Spiegel im Spiegel, in dem Bachs Schwung und Lebendigkeit noch wie ein Echo nachhallen. In diesem Stück ist alles und nichts möglich, der Interpret hat die Aufgabe, sich weitgehend persönlich zurückzuhalten. Jeder Zuhörer bekommt hier den Raum, den er sich selbst gibt. An Michael Endes gleichnamige Geschichtensammlung Der Spiegel im Spiegel: Ein Labyrinth erinnernd, gibt es aus Pärts Klanglabyrinth kein Entkommen. Das sich immer weiter entfernende Individuum sinkt doch immer wieder auf den Anfangspunkt, den zentralen Ton a zurück. Arvo Pärt hat einige seiner Stücke längst für die unterschiedlichsten Instrumente übertragen, im Wissen, dass es hier um mehr geht als instrumentales Spiel – um eine spirituelle Essenz, die den Hörer auch im Unterbewusstsein anspricht. Das übermütige Hier und Jetzt vermittelt das Concerto Le Phénix von Michel Corrette, dem diese CD ihren Titel verdankt. Man sieht der Partitur sofort den Schwung und die tänzerische Leichtigkeit an. Der Subtitel in Correttes Partitur lautet: »Konzert für vier Bassinstrumente« – für mich eine persönliche Einladung, dieses Stück, das meist von Cellisten oder Fagottisten gespielt wird, mit vier Kontrabässen aufzuführen. Der Kontrabass kann hier sowohl als Soloinstrument in der ersten Stimme wie auch als Continuo- und orchestrales Instrument in der zweiten bis vierten Kontrabassstimme sein erstaunliches Spektrum an Klang und Tonhöhe entfalten. Die Hommage à J. S. Bach von Julien-François Zbinden – ein klangliches »Urwerk« für Kontrabass – unterbricht entschieden diese Schwelgerei. Das Solostück des Schweizer Komponisten entstand als Auftragswerk für den Musikwettbewerb der ARD (München). Es ist ein Werk, das den Kontrabass wirklich verstanden hat und ihm viel zutraut. Hier vereinen sich die aufsteigende Urgewalt im Beginn und der barock-jazzige zweite Teil mit der fragilen Brüchigkeit des Instruments im letzten Teil des Werkes. Der diesem Stück eigene »Swing« und seine zwingende Ausdrucksstärke werden durch die durchlaufende Präsenz der Töne b–a–c–h zusätzlich verstärkt. Es ist die fast verbale Kraft und der gleichzeitige Anklang von Verletzlichkeit am Ende von Zbindens Hommage, die die Triosonate HWV 393 von Georg Friedrich Händel so versöhnlich erscheinen lässt. Ursprünglich für zwei Geigen komponiert, ist sie dem Kontrabass spieltechnisch wie auf den Leib geschrieben. Heute wird das Werk meist mit Oboe und Violine aufgeführt. Bei zwei gleichen Instrumenten ist der Klang so verwoben, dass man sie kaum zu trennen vermag. Für den vom Ursprung teamorientierten Kontrabassisten ist dieses klangliche Verschmelzen ein Genuss. Christine Hoock |
Programm:
Antonio Vivaldi (1678–1741)
Sonata for Violoncello and Basso continuo in e minor No. 5, RV 40 (ca. 1726) 11:52
Transcription for double bass and basso continuo by Christine Hoock
[01] Largo 03:23
[02] Allegro 03:37
[03] Largo 02:52
[04] Allegro 02:00
Christine Hoock, double bass
Continuo: Florian Birsak, harpsichord / Thomas Martin, double bass
Philip Glass (*1937)
[05] Façades for two flutes or two saxophones and string ensemble (1981) 07:36
Transcription for four double basses, harpsichord and piano by Christine Hoock
Christine Hoock / Thomas Martin / Thomas Jauch / Stephan Bauer, double bass
Florian Birsak, harpsichord
Barbara Nussbaum, piano
Johann Sebastian Bach (1685–1750)
Sonata No. 2 in D major for Viola da Gamba and Harpsichord BWV 1028 (ca. 1720) 14:24
Transcription for double bass and harpsichord by Christine Hoock & Florian Birsak
[06] Adagio 01:47
[07] Allegro 03:43
[08] Andante 04:37
[09] Allegro 04:17
Christine Hoock, double bass
Florian Birsak, harpsichord
Arvo Pärt (*1935)
[10] Spiegel im Spiegel for violin and piano (1978) 07:45
Transcription for double bass and piano by Arvo Pärt
Christine Hoock, double bass
Barbara Nussbaum, piano
Michel Corrette (1707–1795)
Le Phénix Concerto in D major for four bass viols and basso continuo (ca. 1734) 09:57
Transcription in A major for four double basses and basso continuo by Christine Hoock
[11] Allegro 02:57
[12] Adagio 03:12
[13] Allegro 03:48
Christine Hoock / Thomas Martin / Thomas Jauch / Stephan Bauer, double bass
Florian Birsak, harpsichord
Julien-François Zbinden (*1917)
[14] Hommage à J. S. Bach op. 44 for solo double bass (1969) 06:07
Christine Hoock, double bass
Georg Friedrich Händel (1685–1759)
Trio Sonata in g minor for Two Violins and Basso continuo op. 2 No. 8, HWV 393 (ca. 1720) 11:26
Transcription in e minor for two double basses and basso continuo
[15] Andante 03:42
[16] Allegro 02:28
[17] Largo 02:32
[18] Allegro 02:44
Thomas Martin / Christine Hoock, double bass
Continuo: Florian Birsak, harpsichord / Thomas Jauch, double bass
total time 68:33
Pressestimmen:
05/2013