Infotext:
Die Linie Spazieren führen Modular Dieser Aspekt der Ungewissheit, dem ich mich in meinen jüngsten Werken nähere, ist auch der Malerei, dem Schaffen eines Malers, eigen. Der Gedanke Paul Klees, »die Linie spazieren führen«, ist für mich identisch mit dem, was uns erwartet, wenn wir in einem Labyrinth wandeln. Klee zitierend würde ich sagen, dass »ich eine Klanglinie spazieren führe«: das Stoppen der Linie, die Geschwindigkeitsveränderungen, die Momente der Unterbrechung, die rücklaufenden Bewegungen, … all dies ist für die Entwicklung eines Klangobjektes und im Weiteren für die Entwicklung eines musikalischen Kontextes zuständig. Im Falle der Malerei wird aus der Linie, die von der Hand des Malers geführt wird, ein bildnerisches Objekt. Der Titel dieses Stücks kommt dem Konzept des »Modellierens« näher als jenem des »Moduls«, obgleich beide ergänzend für den musikalischen Prozess wären. »Modulieren« hat einen materiellen und visuellen Ursprung, als würden wir uns auf das Modelliermaterial (der Malerei und Bildhauerei) beziehen. Wenn das Material einmal von den Händen des Bildhauers vermischt wurde, beginnt es »Module« zu erzeugen: Formen mit einem bestimmten Sinn; Dinge, die uns etwas erzählen; Teile eines Puzzles, die wir artikulieren und zusammenfügen können. Wir haben eine allgemeine Sicht, sozusagen »einen Zustand der Dinge«. Dieser musikalische Entstehungsprozess lässt mich an die Worte Cezannes denken. Ihn zitierend, würde ich sagen, dass ich »mich von der Landschaft zu entfernen beginne, um sie wahrzunehmen«, um in der Entwicklung des Stücks weiterzukommen. Der Klang dieses Stücks ist für mich wie das Material von einer weichen, leicht verformbaren und schwer zu vereinigenden Paste, wie ein nicht in Griff zu bekommendes Auslaufen von Plasma. Mir gefällt es, während des Komponierens über die Flüssigkeit des Materials nachzudenken und ich hoffe, dass ich diese Idee oder besser diesen klanglichen Sinneseindruck vermitteln kann. Antecedente X Wenn es sich um eine operative Entscheidung handelt, die sich durch das ganze Stück ziehen soll, sind die Möglichkeiten sicherlich unendlich. Paradoxerweise bringt uns diese fehlende Bestimmtheit beim Komponieren des Stücks weiter. Nachdenkend über die Möglichkeiten des im Stück verwendeten Materials, war es mein Ziel, eine Form des Komponierens zu finden, die als Resultat einen Klang hat, der einer Improvisation nahe kommt, auf jeden Fall einer »verschriftlichten Improvisation« (wenn ich mir diesen Ausdruck erlauben darf). Lightness Aus diesen von Calvino entwickelten Aspekten gibt es einen, der seinen Text über Leichtigkeit zusammenfasst und in Paul Valérys Ausspruch »leicht wie ein Vogel und nicht wie eine Feder« verschlüsselt wiederzufinden ist. Leichtigkeit, als Eigenschaft und von einem künstlerischen Blickpunkt aus, muss zusammengefügt und gesteuert werden, wie der Flug eines Vogels. In diesem Stück kommt die Violine in Kontakt mit Elektronik, verschmolzen im Inneren einer Kuppel voll rasender, granularer Klänge. Als Bild könnte man sich einen Vogel beim Abheben vorstellen, der das Aufsteigen des am Boden liegenden Staubs in Form eines Wirbels verursacht, welcher den Bewegungen der Flügel folgt. Man könnte auch sagen (auf ein anderes Bild von Leichtigkeit hinweisend), dass die Elektronik der Violine folgt, als wäre sie der Schweif eines Kometen. Passatempo Plexus Die Lufttexturen dieses Stücks lassen uns fast dieselben Fragen stellen: Wohin gehen wir? Aber auch zum Ursprung der Klangfülle, die Teil des Blasinstrumentes ist. Es scheint so, als wäre das Innere des Instruments für einen Moment offen. Wie artikuliert man Luft und Stille musikalisch? Während ich dieses Stück komponierte, bin ich auf diese Frage gestoßen. Eine Antwort darauf könnte sein, dass man das eine in das andere ausdehnt. Der elektronische Teil ist dabei wie ein langes Einatmen, das die Obertöne des vom Instrument produzierten Klanges abdeckt. Formantes Arturo Fuentes |
Programm:
Arturo Fuentes (*1975)
[01] Modular (2009) for violin and bass clarinet 10:08
Barbara Lüneburg, violin · Michael Wagener, bass clarinet
[02] Antecedente X (2006) for tenor saxophone, piano and percussion 11:20
Burkhard Friedrich, tenor saxophone · Ninon Gloger, piano
Jonathan Shapiro, percussion
[03] Lightness (2009) for violin and live electronics 09:51
Barbara Lüneburg, violin
[04] Passatempo (2009) for ensemble 09:28
Guiomar Espineira, flute · Michael Wagener, bass clarinet
Barbara Lüneburg, violin · Ninon Gloger, piano
Jonathan Shapiro, percussion
[05] Plexus (2009) for tenor saxophone and live electronics 09:38
Burkhard Friedrich, tenor saxophone
[06] Formantes (2008) for flute, bass clarinet and piano 09:07
Guiomar Espineira, flute · Michael Wagener, bass clarinet
Ninon Gloger, piano
total time: 59:35
ensemble Intégrales
Pressestimmen:
06/2011
Über den Tellerrand hinaus
Dr. Stefan Drees, 06.12.2010
Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert:
Booklet:
Bei der vorliegenden SACD handelt es sich um eine von insgesamt zwei Veröffentlichungen, die das ensemble Intégrales jüngst der Arbeit mexikanischer Komponisten gewidmet hat. Damit rücken die Musiker unter Mitwirkung des Labels NEOS eine zeitgenössische Musikproduktion in den Mittelpunkt, die zwar eindeutig von den Diskursen mitteleuropäischen Komponierens beeinflusst ist, sich aber zum größten Teil außerhalb des Dunstkreises unserer Konzert- und Festivalkultur abspielt.
Wie in den früheren Veröffentlichungen des engagierten Ensembles, etwa der CD ‚Traces of Asia‘ (Coviello, 2007), geht es also nicht zuletzt darum, den Hörer dazu anzuregen, den Blick über den eigenen Tellerrand hinaus zu wagen, um dabei Neues jenseits der immer noch allzu sehr als Nabel der Welt begriffenen einheimischen Neue-Musik-Szene zu entdecken.
Sechs Werke des jungen Komponist Arturo Fuentes (*1975) haben die Ensemblemitglieder Guiomar Espineira (Flöte), Michael Wagener (Bassklarinette), Burkhard Friedrich (Tenorsaxophon), Barbara Lüneburg (Violine), Ninon Gloger (Klavier) und Jonathan Shapiro (Schlagzeug) in unterschiedlichen Besetzungen – vom Soloinstrument mit Live-Elektronik über die Duo- und Triostärke bis hin zum Ensemblestück für fünf Musiker – eingespielt.
Die Auswahl erweist sich insofern als geglückt, weil sie zu verdeutlichen vermag, wie sich Fuentes den jeweiligen Instrumenten samt ihrer klanglichen Möglichkeiten und Kombinationen nähert und die Konzeptionen der einzelnen Stücken aus diesen Grundlagen heraus gestaltet.
Dabei fällt vor allem das hohe Bewegungspotential der Musik auf: Es entsteht – wie etwa in den beiden Trios ‘Antecedente X’ für Tenorsaxophon, Klavier und Schlagzeug (2006) und ‘Formantes’ für Flöte, Bassklarinette und Klavier (2008) sowie in der Ensemblekomposition ‘Passatempo’ (2009) – durch feine rhythmische Verzweigungen, die sich gelegentlich gar zu Abschnitten von fiebriger Nervosität auswachsen, ohne jedoch auf Phasen konzentrierter Ruhe zu verzichten, die häufig auf dynamischen Bögen oder lang gehaltenen Klängen einkehren.
Mit diesem Ansatz geht eine hohe Ereignisdichte einher, die in eine Bildung kontrastreich abschattierter Gewebe mündet; zugleich resultiert daraus aber auch eine gewisse Verspieltheit, die sich vor allem in den beiden Kompositionen ‘Lightness’ für Violine und Live-Elektronik (2009) und ‘Plexus’ für Tenorsaxophon und Live-Elektronik (2009) bemerkbar macht und die jeweiligen Instrumentalstimmen in einer Aura aus elektronisch generierten Impulsen schweben lässt.
Die fein ausgearbeiteten, punktgenauen Interpretationen tragen dazu bei, dass die Musik trotz ihrer Komplexität ein Bild von Klarheit vermittelt: Wie in dem Duo ‘Modular’ für Violine und Bassklarinette (2009) ist es gerade die technische Meisterschaft der Interpreten, die für diese Veröffentlichung einnimmt: Es wird zu einem ästhetischen Erlebnis, den Musikern dabei zu folgen, wie sie diese diffizile Musik mit Leichtigkeit umsetzen und in den glücklichsten Momenten Augenblicke voller Poesie entstehen lassen.
Hier, aber auch in den beiden Trios, entwickelt Fuentes’ stellenweise eine Klangsinnlichkeit, die, ausgehend von den filigranen Wirkungen seiner Instrumentenbehandlung, in den Perspektivwechseln der Musiker – dem ständigen Wechsel von Vorder- und Hintergrund – zu einer plastischen Gestaltung des Gesamtklangs findet. Und das macht diese Einspielung auf jeden Fall hörenswert.
02/2011