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POULENC – MCPHEE – ADAMS Gamelan, Minimal, Parodie So wie ihn Gregor Piatigorski in seiner verwegenen Autobiographie »Mein Cello und ich« schilderte, figuriert er auch in der Musikgeschichte: als dandyhafter Salonlöwe, als Lausbub der berühmt-berüchtigten »Groupe des Six«, als Verfasser amüsanter Petitessen, der auch in seinen sinfonisch eingekleideten Werken gerne durchblicken ließ, dass Maurice Chevalier und Edith Piaf ihm mehr am Herzen lagen als die Dialektik von Sonatenhauptsätzen. Später hörte er nicht ungern das Wort eines französischen Musikjournalisten, er sei »mi-gamin« und »mi-moine«, also halb Schelm, halb Mönch, was sicher für seine zweite Schaffenshälfte galt, nachdem er in den Schoß von Mutter Kirche zurückgekehrt war. Anlass dazu waren der Unfalltod eines Freundes und Poulencs zunehmend pathologische Lebens- und Todesängste, die er in seiner späten Oper Dialogue des carmèlites gründlich thematisierte. Nichts von solchen Eintrübungen der von den Patronen der »Six«, Erik Satie und Jean Cocteau, propagierten Heiterkeits-Ideale behelligt das Doppelkonzert d-moll von 1932. Es war einer von zahlreichen Kompositionsaufträgen der Prinzessin Edmond de Polignac, die von Cocteau wegen ihres markanten Profils als »Tante Dante« respektvoll verspottet wurde. Die als Winnaretta Singer bei New York geborene Aristokratin war Tochter und Erbin des Nähmaschinen-Erfinders Isaac Singer und investierte ihre Millionen sinnvollerweise in Kunst, vornehmlich die Musik. Mit dem ihr gewidmeten (und in ihrem venezianischen Palazzo uraufgeführten) d-moll-Konzert setzte Poulenc einen selbst für seine Verhältnisse wild wuchernden stilistischen Synkretismus in Umlauf – man trifft auf Reminiszenzen an Mozart und music hall, Strawinsky und spanischen paso doble, auf ironische Trivialitäten und neobarocke Zierlichkeiten. Vor allem auf die Einflüsse war Poulenc stolz, die ihm seine Erinnerung an die Pariser Kolonialausstellung des Vorjahres in die Feder diktiert hatten: die Gamelanmusik balinesischer Orchester, wie sie am deutlichsten in der entrückten Coda des Kopfsatzes anklingt. Ihre wichtigsten Kennzeichen – Repetitionsfiguren um ein alternierend mit den Tönen Es und B dissonierendes d-moll – findet man auch zu Beginn dieses ersten und am Ende des letzten Satzes. Französische Komponisten zwischen Debussy und Messiaen waren von Klang und Satztechnik des Gamelans mit seinen Metallophonen, Gongs, Xylophonen und Trommeln fasziniert, haben das Instrumentarium adaptiert oder imitiert und sich die mikrotonalen Systeme temperiert zurechtgehört. Sie konnten wegen der nach Frankreich importierten Welt- und Kolonialausstellungen im Lande bleiben, um die Klangmagie dieser Ensembles auf sich wirken zu lassen. Andere westliche Musiker lernten Gamelan »vor Ort«. Doyen dieser Exotiker war der deutsche Musiker, Maler und Lebenskünstler Walter Spies, der wesentlich zum Mythos von der »glücklichen Insel« Bali beitrug und in Indonesien eine Legende, in seinem Herkunftsland hingegen kaum bekannt ist. Er war gerne Gastgeber in seinem malerischen Insel-Refugium, wo ihn Charlie Chaplin, Barbara Hutton oder Vicki Baum aufsuchten – oder Komponisten wie der Kanadier Colin McPhee, der in den Dreißigern lange Jahre im Umkreis von Spies verbrachte und mit ihm Gamelan-Transkriptionen vierhändig spielte. (Später führte McPhee seinerseits Benjamin Britten in die Musik des Landes ein, der das balinesische Kolorit, bis in seine letzte Oper Death in Venice hinein, mit homoerotischen Konnotationen verwendete.) Tabuh-Tabuhan nannte McPhee seine sinfonische Gamelan-Adaption von 1936. »Tabuh« ist die indonesische Bezeichnung für den Hammer, mit dem das Instrumentarium angeschlagen wird, und der Untertitel des Stücks weist auf seinen perkussiven Charakter ebenso hin wie auf den Umstand, dass die Klaviere als hervorgehobene Orchesterinstrumente anzusehen sind und hier wiederum – zusammen mit Celesta, Xylophon, Marimba, Glockenspiel und Harfe – als Bestandteil des »balinesischen« Concertino. Charakteristikum der Ecksätze sind die aufeinander geschichteten und zunehmend komplexer ineinander verschachtelten »Patterns«, ostinate Muster (wie gleich zu Beginn die rotierende Pentatonik der Bläser über dem Klavier-Rhythmus aus 2+3+3 Sechzehnteln), bei denen auch sogleich klar wird, welch beträchtliche interkulturelle »Schnittmengen« von Gamelan, lateinamerikanischer Folklore und Jazz man hier vorfindet. Der Mittelsatz basiert auf der Transkription einer originalen Bambusflöten-Melodie. Als in den sechziger Jahren amerikanische Komponisten ihren Abschied von den geschichtsphilosophisch untermauerten zerebralen Übungen der europäischen Avantgarde nahmen und den Kult einer neuen Einfachheit proklamierten, taten sie das auch unter Berufung auf afrikanische Trommelrituale, indonesisches Gamelan, auf Pop-Art und Pop-Musik. Das Resultat nannten sie »Minimal Music«, deren wichtigstes Kennzeichen, wie beim Gamelan, repetitive »Patterns« über gleichbleibendem Puls (»steady beat«) sind, die durch zunehmende und zu Beginn fast unmerkbare Störungen, Irregularitäten und Phasenverschiebungen in andere musikalische Aggregatzustände überführt werden. Zusammen mit der nachdrücklichen Re-Inthronisierung der Tongeschlechter Dur und Moll erzielen diese Verfahren häufig – und keinesfalls absichtslos – psychedelische Wirkungen. John Adams’ Grand Pianola Music von 1982 zeigt diese minimalistischen Eigenschaften beispielhaft und in singulärem Klanggewand: dem Instrumentalensemble – bestehend aus den beiden Flügeln, fünfzehn Bläsern und drei Schlagzeugern – gesellen sich drei vokalisensingende Frauenstimmen hinzu. Die Formel, mit der Adams das Stück in Gang setzt, ist ein Staccato mit den Tönen es–f–as–b (entsprechend dem Bläserbeginn des McPhee-Konzerts – oder auch Gershwins I Got Rhythm), ein Klang, der sich allmählich belebt, auffächert, mit Liegetönen durchsetzt wird, rhythmisch ins Stolpern und dann in beträchtliche sinfonische Unruhe gerät. Das Aufhören des Viertel-Pulses signalisiert den Beginn des langsamen Satzes, der zäsurenlos dem »Part I« angehängt wird. »Part II« beschäftigt sich – wie der Titel andeutet – in monomanischer (und hochvirtuoser) Einseitigkeit mit der elementaren Kadenzformel I–V–I und steigert sich sehr bald zu einem unbefangen-prächtigen Es-dur-Hymnus. Adams hat besonders anschaulich über die Anregungen zu seiner Grand Pianola Music berichtet: Er habe geträumt, es hätten sich ihm beim Fahren auf dem Interstate Highway 5 von hinten zwei schwarze Stretch-Limousinen genähert, die sich beim Überholen in die längsten Steinways der Welt verwandelt und dann bei 90 Meilen p.h. Salven von B-dur- und Es-dur-Arpeggien abgefeuert hätten. Außerdem spielte die Vorstellung eine Rolle, wie er durch die Flure des Konservatoriums von San Francisco und den Klangschwall von zwanzig oder mehr Klavieren gegangen sei, »playing Chopin, the Emperor Concerto, Hanon, Rachmaninow, the Maple Leaf Rag, and much more.« Rainer Peters |
Programm:
Concerti III Francis Poulenc (1899–1963) Colin McPhee (1900–1964) John Adams (*1947) total playing time: 71:02 GrauSchumacher Piano Duo |
Pressestimmen:
09/2017
(…) This splendid disc offers three works which directly or indirectly owe something to Balinese gamelan. Poulenc’s Double Concerto in D minor (1932) bristles with wit and fire, referencing everything from Mozart to Spanish paso doble alongside a glistening evocation of Balinese gamelan, as heard by Poulenc at the 1931 Paris Colonial Exhibition. The GrauSchumacher Piano Duo perform with great spirit and Charisma alongside the Deutsches Symphonie-Orchester Berlin, here on sparkling form. (…)
Kate Wakeling
29.05.2017
„Das GrauSchumacher Piano Duo spielt alles auf den Punkt, prägnant, atmosphärisch und sehr präsent“, schreibt Eckhard Weber. Lesen Sie die vollständige Rezension hier!
Juni 2017
Eine CD, die einen weiten Bogen über 50 Jahre Musikgeschichte spannt. Denn was hat schon das spritzig-witzige Doppelkonzert von Poulenc mit einer mehrsätzigen Toccata des wohl weithin unbekannten Kanadiers Colin McPhee oder der Grand Pianola Music von John Adams zu tun? Mehr als man denkt, denn alle drei Werke nehmen auf individuelle Weise Einflüsse der balinesischen Gamelanmusik auf – ein Gleichklang, der verblüfft und einen hörend über zeitliche, räumliche und stilistische Distanzen nachdenken lässt. Wieder einmal hat das Klavierduo GrauSchumacher mit seinem feinsinnigem Gespür für sinnfällige Konzepte in die unendlichen Tiefen des Repertoires geschaut. Das Klangbild ist ein wenig trocken, kommt aber den Partituren bestens entgegen.
Michael Kube
June 2017
For the third instalment in their ‚Concerti‘ series, the GrauSchumacher Piano Duo bring together three works, the first two written in close proximity. Poulenc’s Concerto in D minor (1932) is typical of its composer’s earlier music in using classical and popular idioms so their abrupt alternation becomes its own justification. This account emphasises the breezy neoclassical framework giving focus to the frequent high jinks, and if the Larghetto’s Mozartian pathos is underplayed, the gamelan patterning at the close of its predecessor feels undeniably hypnotic.
Balinese gamelan was central to Colin McPhee when he composed Tabuh-Tabllhan (1936). This toccata for a ‚collection of percussion instruments combines indigenous textures and harmonies with a Stravinskian incisiveness and a jazzy rhythmic freedom to the fore in the propulsive outer movements. It is here that this duo are heard at their commanding best, while missing out on some of the mystery that can make the central Nocturne so spellbinding.
Similar interpretative qualities are found in Grand Pianola Music (1982), one of the pieces that ensured John Adams’s reputation and whose leavening of its minimalist aesthetic with elements drawn from pop and gospel- not to mention audibly Beethovenian figuration – has proved influential and popular. Persuasive in those long-breathed cumulative spans of the first part, GrauSchumacher feel a little inert in the limpid eloquence of its postlude or the charismatic immediacy of what comes next. Yet the ingenious conception of this collection is undeniable, and those keen to hear these works outside of their usual recorded context need not hesitate.
Richard Whitehouse