Detlef Heusinger gehört zu den prägenden Stimmen der zeitgenössischen Musik. Als Komponist, Dirigent und langjähriger Leiter des SWR Experimentalstudios hat er die Verbindung von akustischem Instrumentarium und Live-Elektronik maßgeblich weiterentwickelt. Seine Musik überschreitet Grenzen – zwischen Klang und Bild, Struktur und Emotion, Denken und Fühlen. Die neue NEOS-Veröffentlichung vereint drei zentrale Werke, die Heusingers interdisziplinäres Schaffen exemplarisch zeigen.
„Abzweige“ (2013/14) ist ein „musikalischer Gang durch einen Märchenwald“ – doch dieser Wald ist kein romantischer Zufluchtsort, sondern ein Ort der Ambivalenz. Elektronische Texturen, flirrende Klangfelder und verfremdete Ensemblefarben öffnen eine Welt, in der Schönheit und Bedrohung, Nähe und Distanz ineinander übergehen. Die Live-Elektronik verschmilzt die Instrumentalklänge zu einem atmenden Organismus aus Licht, Raum und Resonanz.
Mit „Ode – Im Lauf der Zeit“ (2021/22) schuf Heusinger ein spektakuläres Werk für die Schlosslichtspiele Karlsruhe: eine audiovisuelle Zeitreise durch die Ideen- und Klanggeschichte Europas. Zwölf Synthesizer, Kinderchor und Zuspiel entfalten ein vielfarbiges Panorama von der Antike bis zur digitalen Gegenwart. Beethoven, Schiller und europäische Ideale blitzen auf – neu gedacht als vibrierende elektronische Energie zwischen Cembalo-Resonanzen, Vocoder-Stimmen und Techno-Beats. Eine Hommage an das „Europa der Vielfalt“, das in Klang überführt wird.
Das monumentale „Sintflut“ (2000/01) schließlich ist ein Schlüsselwerk frühen multimedialen Komponierens. Für drei Orchestergruppen, Elektronik und Video konzipiert, entfaltet sich eine apokalyptische Klangarchitektur, die mythische, religiöse und historische Ebenen verbindet. Heusinger komponiert die Katastrophe als poetische Metapher – eine Musik zwischen Vision und Warnung, zwischen Naturgewalt und spiritueller Erneuerung.
Heusingers Klangsprache ist geprägt von Neugier, Präzision und Grenzüberschreitung. Seine Musik denkt in Räumen, sie erzählt in Schichten, sie atmet mit den Bildern. Das Album zeigt einen Künstler, der Klang als Bewegung begreift – als lebendiges Feld zwischen Imagination und Erkenntnis.
Programm
Detlef Heusinger (*1956)
Abzweige
für Ensemble und Live-Elektronik (2013/2014)
Live-Mitschnitt
Ensemble Experimental
SWR Experimentalstudio (Daniel Miska, Maurice Oeser), Klangregie
Detlef Heusinger, Dirigent
Ode – Im Lauf der Zeit
für zwölf Synthesizer, Kinderchor und Playback (2021/2022)
Detlef Heusinger, Synthesizer
Cantus Juvenum
SWR Experimentalstudio (Detlef Heusinger), Klangregie
Sintflut
Video-Triptychon für 3 Orchestergruppen und 5-kanaliges Tonband (2000/2001) 44:17
Live-Mitschnitt
SWR Symphonieorchester
SWR Experimentalstudio (Detlef Heusinger, André Richard), Klangregie
Johannes Kalitzke, Dirigent
Gesamtlaufzeit: 72:30
Ersteinspielungen
Biografien
Detlef Heusinger, geboren 1956 in Frankfurt am Main, studierte Komposition, Dirigieren, Musikwissenschaft, Germanistik und Philosophie sowie Gitarre, Laute und Klavier an den Musikhochschulen in Bremen, Köln und Freiburg sowie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Seine Lehrer waren u.a. Hans Werner Henze, Luigi Nono, Klaus Huber (Komposition), Francis Travis (Dirigieren) und Hubert Käppel (Gitarre).
Für seine kompositorische Tätigkeit erhielt er zahlreiche Preise, wie z.B. die Musikpreise der Stadt Bremen, der Stadt Stuttgart und Stipendien wie das der Villa Massimo (Rom), der Cité des Arts (Paris), des Künstlerhauses Worpswede, der Heinrich-Strobel-Stiftung des SWF (Freiburg) und das Baldreit Stipendium (Baden-Baden).
Er unterrichtete von 1990 bis 1996 an der Musikhochschule in Bremen. Als Gastdozent war er an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, der Harvard University, der Goldsmith University und der Université de Montreal tätig.
Von 1991 an arbeitet er auch als Regisseur sowie zeitweise als Leiter des Rossini-Festivals auf Rügen und inszeniert in Deutschland, Frankreich, Österreich, Polen und der Schweiz Opern von Händel, Heusinger, Rossini, Donizetti, Saint-Saëns, Offenbach und Britten. Als Produzent und Filmregisseur von Pandora I & II gestaltete er 1993 seine erste VideoOper für Radio Bremen, der 2001 Sintflut für die Donaueschinger Musiktage (SWR) folgte. Von 2022 bis 2024 folgte bei den Schlosslichtspielen Karlsruhe Ode – Im Lauf der Zeit.
Von 2006 bis 2022 war er Künstlerischer Leiter des SWR Experimentalstudios, wo er in dieser Zeit die matrix-Akademie gründete und zusammen mit Peter Weibel den Giga-Hertz-Preis initiierte und verantwortete. Als Dirigent verantwortete er eine Vielzahl von (Ur-)Aufführungen wie unlängst am Freiburger Theater Opern von Ying Wang und Huihui Cheng. Seit 2009 ist Heusinger Leiter des von ihm gegründeten Ensemble Experimental, mit welchem er in Europa, Nord- und Südamerika mehr als 200 Aufführungen realisierte. Für die Ersteinspielung von Luigi Nonos Risonanze erranti für das Label NEOS wurde das Ensemble 2011 mit dem Preis der deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet.
Im Zentrum seiner kompositorischen Arbeit stehen die Musiktheaterwerke Der Turm (1989, Theater Bremen / RB), Babylon (1997, Schwetzinger Festspiele, Nationaltheater Mannheim / SWR), Lulu (Alban Berg – 3. Akt, 2019, Theater Bremen), Jukeboxopera (2021, Theater Freiburg / SWR) sowie Tanztheaterstücke wie Materialermüdung (1989, Stuttgarter Ballett) und Volx Muzak (1993, Schauspielhaus Bochum, Reinhild-Hoffmann-Compagnie). 2022 folgte bei den Bregenzer Festspielen die Familienoper Zeitreisemaschine und 2024 bei den Händelfestspielen Karlsruhe sein Oratorium Foundlinghouse.
Als Komponist und Dirigent war er bei so unterschiedlichen Festivals wie Ars Electronica (Österreich), Berliner Festwochen, Borealis Festival (Norwegen), Darmstädter Ferienkurse, Donaueschinger Musiktage, Klang Festival Kopenhagen, musica nova Helsinki, Roma Europa Festival (Italien), SALT Festival Kanada und Warschauer Herbst engagiert. Mit der E-Gitarre konzertierte er als Solist z.B. mit dem hr-Sinfonieorchester. Zu den Interpreten seiner Kompositionen gehören u.a. das Arditti Quartet, das Auryn Quartett, das Ensemble Modern, das Ensemble Recherche, das Ensemble Resonanz, das Ensemble Dal Niente, die Israel Contemporary Players, das hr-Sinfonieorchester, das ORF Radio-Symphonieorchester Wien, das DSO Berlin und die SWR Sinfonieorchester.
www.detlef-heusinger.de
Das 2011 in Zusammenhang mit der matrix-Akademie des SWR Experimentalstudios gegründete ENSEMBLE EXPERIMENTAL versteht sich als Solistenensemble für Musik mit (Live-)Elektronik. Das international besetzte Ensemble möchte durch Studien und intensive Proben den besonderen Bedingungen dieses Genres gerecht werden und so exemplarische Konzerte wie Aufnahmen realisieren. Seine Mitglieder sind als Solisten dem SWR Experimentalstudio zum Teil seit etlichen Jahren verbunden und wirken – wie z.B. Roberto Fabbriciani bei Luigi Nono – oft bei der Entstehung der Werke im Studio mit. Neben regelmäßigen Auftritten im SWR gastierte es bei Festivals und Konzertreihen wie ACHT BRÜCKEN | Musik für Köln, dem Atlas Festival in Amsterdam, dem Borealis Festival in Bergen (Norwegen), der Konzertreihe des Cankarjev dom in Ljubljana, dem Lucerne Festival, dem Klang Festival Kopenhagen und dem Warschauer Herbst. Uraufführungen von Dániel Péter Biró, Chaya Czernowin, Marko Nikodijević, Anthony Tan bis Vito Žuraj zeugen von der Akzeptanz des Ensembles besonders bei der jüngeren Komponistengeneration. Eine eigene CD-Reihe ist bei NEOS erschienen. Die Einspielung von Luigi Nonos Risonanze erranti wurde mit dem Preis der deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet (NEOS 11119). Künstlerischer Leiter und erster Dirigent ist Detlef Heusinger.
www.ensembleexperimental.de
Interpretationsansätze aus der historisch informierten Aufführungspraxis, das klassisch-romantische Kernrepertoire sowie Musik der Gegenwart bestimmen das künstlerische Profil des SWR Symphonieorchesters. Zu den jährlichen Fixpunkten zählen die SWR-eigenen Konzertreihen in Stuttgart, Freiburg und Mannheim sowie Auftritte bei den Donaueschinger Musiktagen, den Schwetzinger SWR Festspielen und den Pfingstfestspielen Baden-Baden. Einladungen führen das Orchester regelmäßig zu den Salzburger Festspielen, in die Elbphilharmonie Hamburg, in die Berliner Philharmonie sowie ins Konzerthaus Wien. International gefragte Dirigenten wie Herbert Blomstedt, Peter Eötvös, Christoph Eschenbach, Pablo Heras-Casado, Jakub Hrůša, Ingo Metzmacher, Sir Roger Norrington, Jonathan Nott, Andrés Orozco-Estrada und Giedrė Šlekytė haben bislang mit dem SWR Symphonieorchester zusammengearbeitet.
www.swr.de
Cantus Juvenum Karlsruhe e.V. ist die gemeinsame Singschule der Ev. Stadtkirche und der Ev. Christuskirche für Jungen und Mädchen und wurde 2006 gegründet. Nach Kriterien wie Stimmentwicklung, Alter oder musikalischer Erfahrung werden die Mädchen und Knaben in Vorchor, Aufbauchor, Nachwuchschor oder Konzertchor eingeteilt. Neben den wöchentlichen Chorproben erhalten alle Sänger:innen regelmäßig individuelle Förderung in Form von Stimmbildung im Einzel- oder Zweierunterricht. Die künstlerische Leitung der Mädchenchöre liegt bei Kantor Peter Gortner, die der Knabenchöre und Männerstimmen bei Tristan Meister und Kirchenmusikdirektor Kantor Christian-Markus Raiser. Vorsitzender des Vereines ist Claus Temps. Ehrenvorsitzender Prof. Hanno Müller-Brachmann.
Mit internationalen Konzerten, musikalischen Gottesdiensten, Opernaufführungen sowie gemeinsamen Projekten mit den Berliner Philharmonikern, dem SWR Symphonieorchester, den Müchner Philharmonikern und als Kooperationspartner des Badischen Staatstheaters mit der Badischen Staatskapelle kann Cantus Juvenum auf viele erfolgreiche Jahre zurückblicken. Zahlreiche Preise, u.a. Einzelpreise beim Wettbewerb „Jugend musiziert“ auf Landes- und Bundesebene oder der Internationale Jugendtheaterpreis Papageno Award 2012 (Linz) unterstreichen den Erfolg der Singschule, in der heute ca. 200 Jungen und Mädchen vom Kindergarten- bis zum jungen Erwachsenenalter mitwirken.
www.cantus-juvenum.de
Das SWR Experimentalstudio versteht sich als Schnittstelle zwischen kompositorischer Idee und technischer Umsetzung. Jährlich werden mehrere Komponist:innen zu einem Arbeitsstipendium eingeladen, um dann im Diskurs mit den Mitarbeitern des Studios ihre Werke zu realisieren. Neben der Herstellung dieser Werke ist es als Klangkörper auch bei den Aufführungen aktiv. Mit 50 Jahren Präsenz im internationalen Musikbetrieb hat es sich als der führende Klangkörper für Werke mit Live-Elektronik etabliert und konzertiert fortwährend bei nahezu allen bedeutenden Festivals (Berliner Festwochen, Wiener Festwochen, Salzburger Festspiele, Festival d’Automne à Paris, Biennale di Venezia etc.) wie auch in etlichen renommierten Musiktheatern (u.a. Teatro alla Scala in Mailand, Carnegie Hall in New York, Théâtre de la Monnaie, Teatro Real in Madrid).
Zu den herausragenden Produktionen in der Geschichte des SWR Experimentalstudios gehören Arbeiten so bedeutender Komponisten wie Pierre Boulez, Karlheinz Stockhausen und Luigi Nono, wobei letzterer nahezu sein gesamtes Spätwerk in enger Verbundenheit mit dem Studio erstellt hat. Nonos »Hörtragödie« Prometeo ist nach der Uraufführung 1984 mittlerweile mehr als 90-mal durch das SWR Experimentalstudio realisiert worden und kann als Meilenstein der Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts bezeichnet werden. Aus der jüngeren Generation sind insbesondere Mark Andre, Chaya Czernowin und Georg Friedrich Haas als die Komponisten aufgefallen, welche zukunftweisende Werke im SWR Experimentalstudio hervorgebracht haben. Unter den Interpreten, die mit dem Studio in Verbindung stehen finden sich herausragende Musikerpersönlichkeiten wie Mauricio Pollini, Claudio Abbado, Peter Eötvös, Daniel Barenboim, Gidon Kremer, Carolin und Jörg Widmann, Irvine Arditti und Roberto Fabbriciani.
Für seine exemplarische Arbeit wurde das SWR Experimentalstudio international mit mehreren Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem Jahrespreis der deutschen Schallplattenkritik für die Produktion von Werken Luigi Nonos. Nach Hans Peter Haller, André Richard und Detlef Heusinger ist seit 2022 Joachim Haas Leiter des SWR Experimentalstudios.
www.swr.de
Johannes Kalitzke wurde 1959 in Köln geboren. Dort studierte er von 1974 bis 1976 zunächst Kirchenmusik. Nach dem Abitur studierte er an der Hochschule für Musik Köln Klavier bei Aloys Kontarsky, Dirigieren bei Wolfgang von der Nahmer und Komposition bei York Höller. Ein Stipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes ermöglichte ihm einen Studienaufenthalt in Paris am IRCAM. Dort war er auch Schüler von Vinko Globokar.
Sein erstes Engagement als Dirigent führte Johannes Kalitzke 1984 an das Gelsenkirchener Musiktheater im Revier, wo er in den Jahren 1988 bis 1990 Chefdirigent war. 1991 wurde er Künstlerischer Leiter und Dirigent des Ensemble Musikfabrik. Er gastiert regelmäßig international bei Ensembles (Klangforum Wien, Collegium Novum, Ensemble Modern) und zahlreichen Sinfonieorchestern, darunter das BBC Symphony Orchestra, das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks and die Münchner Philharmoniker. Er leitete Opernproduktionen u.a. an der Berliner Staatsoper Unter den Linden und bei den Salzburger Festspielen. Als Komponist erhielt er Aufträge u.a. für die Donaueschinger Musiktage, für Ultraschall Berlin, ECLAT und die Wittener Tage für neue Kammermusik.
Seit 2015 hat Johannes Kalitzke eine Professur für Dirigieren an der Universität Mozarteum Salzburg inne. Er unterrichtet als Gast an verschiedenen europäischen Hochschulen, unter anderem an der Reina Sofia School of Music Madrid. Kalitzke erhielt zahlreiche Auszeichnungen, so das Bernd-Alois-Zimmermann-Stipendium der Stadt Köln und das Stipendium für die Villa Massimo in Rom. Seit 2009 ist er Mitglied der Akademie der Künste und seit 2015 Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste.
www.johanneskalitzke.com