Ernst Helmuth Flammer: Orchestral Works Vol. 1

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Artikelnummer: NEOS 10803 Kategorie:
Veröffentlicht am: Oktober 10, 2008

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Orchesterwerke von Ernst Helmuth Flammer

Die Gestalt der Zeit, das Nachdenken über Zeit als phänomenologische Kategorie, also den Gehalt, der sich über die Zeitgestalt in der Musik artikuliert, ist mir als Komponist immer wichtig gewesen. Dabei ist das Zeitdenken sowohl strukturell zu verstehen als auch in Kategorien von Geschichte und Gegenwart, Tradition und ästhetischem Fortschritt.

Ästhetischer Fortschritt ist mir eine innere Notwendigkeit, auch indem er sich historisch legitimiert, sich durch das Sieb der Reflexion aus der Tradition speist, sich von ihr herleitet und – ob bewußt oder unbewußt – auf ihr aufbaut. Ästhetischer Fortschritt, sinnbildlich im luftleeren Raum, nicht historisch verortet, nicht reflektiert in der Wahl und Auswahl seiner Mittel, bleibt unverbindlich, ziel- und formlos, führt somit nicht zur Einheit in der Mannigfaltigkeit. Schlimmstenfalls führt sein Zerfall – die Gesellschaft ist heute vom Zerfall alles Zusammenhängenden, was Struktur bedeutet, geprägt – in verdinglichte Versatzstücke, die allenfalls Fortschritt als Fassade drapieren, also auf direktem Weg in die Postmoderne.

Form, gleich welcher Art, auf der Basis der rigorosen Beschränkung und zugleich des konsequenten Auskomponierens ästhetischer Mittel, entwickelt sich stets aus einer langen historischen Tradition heraus. Sie ist notwendig für den inneren Zusammenhang eines Stückes, sofern dieser gewollt ist. Nicht selten wurde Formdenken in der Vergangenheit von negativistischen Protagonisten des Zerfalls, des gewollten Bruches als bürgerliches Denken gebrandmarkt. Dagegen ist Zerfall in der Kunst nur eine Tautologie desselben in der Gesellschaft.

Ästhetische Rigorosität, bei mir in den verschiedensten Ausformungen immer vorhanden, war für mich in meinen Anfangsjahren als Komponist eine serielle Selbsterfahrung, die schon bald anderen, sujetabhängigeren Prioritäten wich. Diese waren mehr an den künstlerischen Anforderungen orientiert, die sich aus der Aufgabenstellung der einzelnen Projekte ergaben. Rigorosität ordnete sich auch zunehmend ästhetischen Kategorien unter.

Dies konnte, zuweilen radikal der gewählten Zeitgestalt folgend, in mehreren Fällen in konsequent minimalistischen Strukturen enden. Gelegentlich tauchen solche Strukturen auch im vorliegenden Cellokonzert Interferenza … sowohl im live dargebotenen Orchesterpart als auch in der Elektronik auf, nämlich dann, wenn die Zeit quasi ›stehen zu bleiben‹ scheint.

Ästhetischer Rigorismus ist aber auch stets einer anderen Komponente des Komponierens geschuldet: es werden textorelle, spieltechnische, instrumentatorische Grenzbereiche ausgelotet und da, wo sich Räume, Perspektiven und Visionen eröffnen, konsequent ausgeweitet. Solches Tun beeinflußt – leider wegen der historisch geschwundenen Bedeutung der Gegenwartsmusik weit weniger als zu anderen Epochen – den Instrumentenbau, führt aber umso mehr zu kreativen Erweiterungen im Bereich der Interpretation.

Die Auseinandersetzung mit der Gattung des Solokonzertes evoziert, wie an den beiden Beispielen dieser CD zu hören ist, zwei völlig unterschiedliche Ergebnisse. Diese bedeuten insofern eine völlige Abkehr vom traditionellen Denkansatz des Solokonzertes, daß der Solist mitnichten den circensischen Virtuosen gibt, sondern als Träger kompositorischer Innovation, integriert in das Gesamtensemble (Orchester) in Erscheinung tritt. In mehreren anderen Konzerten (so dem Klavierkonzert Zeitzeichen–Zeitmaße) erscheint er lediglich als obligater Solist, als ›Primus inter Pares‹, wie er etwa im Brahmsschen Ersten Klavierkonzert zu erleben ist. Beide vorliegenden Konzerte sind einsätzig und damit durchkomponiert.

Interferenza mente sovrapposizione für Violoncello, Live-Elektronik und großes Orchester, entstanden von 1988 bis 1990 ist im Grunde ein Konzert für zwei Solisten und großes Orchester, wobei dem Elektronikpart über den Klangregisseur als Dialogpartner des solistischen Cellisten eine Solorolle zukommt. In allen groß besetzten Werken zuvor, sei es das Oratorium Der Turmbau zu Babel, sei es das Violinkonzert, welches die Elektronik orchestral einsetzt, hatte die Elektronik noch niemals eine solch eigenständige Funktion inne.

Allenfalls an einer Stelle, zur Erzeugung von Polyphonie im satztechnisch strengen Sinne und nicht über das Schichtungsprinzip, steuert die Oboe im Orchester als Klang- und Filtergenerator das Solo-Cello in dekonstruktiver Weise auf. Sie übernimmt in ihrer Funktion als Klanggenerator somit eine aktivere Rolle, als es dem Klangregisseur zu nichtdigitalen Zeiten möglich war. Die Konzeption für die Elektronikpartie wurde in den Jahren 1988 bis 1990 im damaligen Experimentalstudio der Heinrich-Strobel-Stiftung des Südwestfunks erarbeitet.

›Interferenz im Sinne von Überlagerung‹ könnte der praktisch nicht ins Deutsche übertragbare Titel lauten. Zur nichtdigitalen Zeit bauten sich elektronische Klangfarben durch Schichtungen auf. Dies machte zahlreiche Orchesterzwischenspiele erforderlich, die als Quasi-Refrains zwangsläufig dem Stück eine Formschicht gaben, jene des Rondos. Diese Rondoform wird dadurch faßlicher, daß die elektronischen Partien nach vergleichbaren Anfängen stark variieren.

Dieses allmähliche Aufschaukeln und Aufeinanderschichten hat gegenüber den heutigen – digitalen – Möglichkeiten, die die Organisation von Zeitabläufen handhabbarer erscheinen läßt, den entscheidenden Vorteil, daß die Klangspektren auf mannigfaltige Weise ›atmen‹ und sich so (siehe Luigi Nonos Das atmende Klarsein, dort wundervoll zu sehen) sterilisierender technischer Perfektionierung einfach entziehen.

Mittels starker konzeptionell ausgerichteter Verwendung des im Experimentalstudio durch Hans-Peter Haller entwickelten Halaphons (Raumklangverteiler, die Klänge wandern schnell und langsam in Kreis- und Achterbahnbewegungen, aber auch in komplexeren Formen, wie Schichtungen solcher Bewegungen verschiedener Geschwindigkeit, durch den Raum) wird das Entstehen neuer flächiger Klangfarben, die zugleich prozesshaft bislang dominante Klangflächen dekonstruktiv zurückdrängen, selbst bei gleichzeitigem Aktivsein von Orchesterinstrumenten faßlich. Dies ist als Allegorie auf das Sein als etwas Prozesshaftes (Sein und Zeit) im Sinne des immerwährenden Werdens und Vergehens zu verstehen.

Die ständige Präsenz der gegenstrebigen Seinszustände ›Werden und Vergehen‹ führt ästhetisch gesehen zu einem dekonstruktiven Ansatz, der alles Gegenstrebige einem sich selbst regulierenden Gleichgewicht unterwirft, welches damit den existentiellen Fortbestand alles dessen garantiert, was ist.

Bedingt durch das Cello als Soloinstrument und der musikalisch sinnvollen Transposition im Rahmen der Transformationen ergab sich für die elektronischen Partien – von Ausnahmen, die anders instrumentiert sind, einmal abgesehen – eine Tonhöhenstruktur im mittleren Bereich von c bis etwa c’’’, so daß es nahelag, das Orchester schwerpunktmäßig mit Instrumenten der extremen Diskant- und Baßlagen auszustatten. Abgesehen von diversen Percussionsinstrumenten führte dies zur Besetzung von vier Piccoloflöten, zwei Piccolotrompeten, vier (!) Kontrafagotten, vier Baßposaunen und zwei Baßtuben. Dies sorgt zusätzlich für Transparenz zwischen den einzelnen Ebenen der Klangerzeugung und macht diese leichter unterscheidbar.

Schon lange war gemeinsam mit Hans-Peter Haller – dem Leiter des Freiburger Experimentalstudios bis 1989 – die Idee erörtert worden, die Live-Elektronik ins Zentrum eines Solokonzertes mit Orchester zu stellen. Eine Patenrolle hatte dabei Kazimierz Serockis 1976/78 ebenfalls im Freiburger Studio realisierte Pianophonie für Klavier, Live-Elektronik und Orchester. Die Verwendung eines völlig andersartigen Soloin-struments, des Cellos, und die mittlerweile stark weiterentwickelten Studiotechniken eröffneten die Chancen, zu eigenständigen, gegenüber Serocki völlig andersgearteten Lösungen zu kommen. So haben beide Stücke zwar einen gemeinsamen Ausgangspunkt, doch mehr nicht.

Beide sind vom Experimentalstudio angeregt, gefördert und auf den Weg gebracht worden und sind eng an den Möglichkeiten dieses Studios orientiert. Im Studio selbst wurden einige Versatzstücke der Partitur komplett erstellt. Das Komponieren war dann im Wortsinn ein ›Zusammenfügen‹, das Ende 1989 in der Schlußphase der Arbeit geschah.
Ganz anders als in meinen früheren Werken für Soloinstrumente mit Orchester sieht sich das Orchester hier in einer Begleitfunktion. Ein nichtelektronischer Prolog, scheinbar virtuoser als das Folgende, exponiert das, was nachher mit elektronischen Mitteln auskomponiert wird.

Generell gesprochen ist der Orchesterpart einerseits flächig konzipiert, andererseits kontrapunktisch, indem er Klangflächen übereinanderlagert. Dabei war ich gezwungen, ein harmonisches Material zu  verwenden, das in der Tonfortschreitung kleinste Intervalle bevorzugt, welche in kontrapunktischer Schichtung zu durchchromatisierten Resultaten führen. Ein solches – für ein normales Orchesterstück sicherlich nicht besonders attraktives Harmonieprinzip eignet sich bestens für live-elektronische Schichtungs- und Verzögerungstechniken, für Filtertechniken, für das Ausloten von Obertonstrukturen und findet so in der Elektronik seine zweckdienliche Entfaltung. Eine der chromatischen Harmonik entsprechende Instrumentation der extremen Tonlagen erfolgte ebenfalls in Kongruenz zur Elek-tronik, die im übrigen den virtuosen Part des Stückes – aufgrund zunehmend dichter gestalteter Schichtungs- und Raumverteilungsoperationen – mehr und mehr selbst übernimmt.

Die Großform wird von drei Schichten beherrscht:

Symmetrie: sie tritt am deutlichsten durch die beiden großen Orchesterzwischenspiele zutage, welche an sich gegenseitig entsprechenden Stellen im Anfangs- und Schlußteil des Werkes erscheinen.
Rondoform. Davon war bereits die Rede.

Entwickelnde Variation als eine im Beethovenschen Sinne zu verstehende Methode des Variierens, deren Sinn sich über die ›Einheit in der Mannigfaltigkeit‹ erschließt: sie bestimmt einen Prozess fortschreitender Verfremdung im Bereich der elektronischen Klangtransformation. Daher konnte im instrumentalen Bereich auf die Verwendung denaturierender Klänge und Spieltechniken weitgehend verzichtet werden, ohne daß dadurch dem Stück etwas an ästhetischer Rigorosität abhanden käme.

Diese drei Formschichten verhalten sich zueinander dekonstruktiv im Sinne der Wahrung des inneren Gleichgewichts untereinander durch gleichzeitiges hervortreten und zurückgedrängt werden. So erschließt sich der Sinn des komplexen Formkonstrukts.

das erschwiegene Wort!…ausgeweitet… für Solo-Schlagzeug und großes Orchester, komponiert 1993 und 1994, hat ästhetisch teilweise einen negativen Ansatz. Verweigert werden zuhauf Hörerwartungen über den Abbruch von strukturellen Linien, Kantilenen, musikalischen Phrasen. Die Unterteilung in Abschnitte, Miniaturen und Bruchstücke steht dafür, verweigert wird konsequent Virtuosität in den orchestralen Partien. So entsteht ein Bruch im Verhältnis Orchester–Solist, der allerdings eng mit den Partien der orchestralen Percussionsmusiker (zwei Schlagzeuger, ein Pauker) verwoben ist. Diese Partien sind wesentlich anspruchsvoller und komplexer als die restlichen Orchesterstimmen gestaltet. So wird jener Bruch ein wenig dekonstruiert.

Überhaupt beschreitet die Behandlung der Schlagzeuginstrumente recht grundsätzlich neue Wege, weg vom Beat, mehr in den Klang, in erster Linie durch Reibung mit Kontrabaßbögen, aber auch mit anderen Mitteln. Diesen dadurch entstehenden, mehr flächigen Strukturen wohnt rhythmisch eine mehr nach innen gerichtete, ›implodierte‹ Komplexität inne, der ein dynamisch-vorwärtstreibender Duktus eher fremd ist.

An dessen Stelle tritt ein Zeiterleben, welches südasiatischen Vorstellungen von Zeitgestaltung geschuldet ist. Dem entspricht auch, daß ich die Erneuerung der Percussionstechnik in Richtung der Erweiterung von Klangwelten japanischen Anregungen verdanke. In Japan hat diese für uns neue Welt des Schlagzeugklangs zweifellos ihren Ursprung. Geistig ist sie sehr als kontemplative Übung dem Exercitium, weiter dem Zen-Buddhismus verpflichtet. Persönlich wurde mir diese Welt durch die hervorragenden Solisten Isao Nakamura und Yuko Suzuki vermittelt, die später meine Freunde wurden.

Trotz der erwähnten Brüche gibt es ein deutlich wahrnehmbares Formkonzept des einsätzigen Stückes, welches sich dekonstruktiv zu den Episoden, Brüchen und Momenten verhält. Die Kontinuität wird durch die Bezugspunkte der Bruchstücke untereinander erreicht. Weiteres zur Form findet sich in der ursprünglichen Programmnotiz zum Stück anläßlich seiner ersten Aufführungsserie in den frühen Neunziger Jahren, die, auch zum allgemeinen Verständnis des Titels komplett abgedruckt werden soll:

Mit diesem Motto Paul Celans (das erschwiegene Wort!…ausgeweitet…) aus Argumentum e silentio habe ich meine Musik für Solo-Percussion und großes Orchester aus verschiedenen Gründen überschrieben. ›ausgeweitet‹ erscheint in diesem Stück die ›nouvelle technique de percussion‹, die teilweise im Orchester, dem Dialogpartner des Solisten, ihre Entsprechung findet, der sich das Orchester aber über weite Strecken verweigert. Nicht alles, was machbar ist und möglich, ist auch gut für unser Leben. Diese Sichtweise spiegelt hier die Orchesterbehandlung wieder.

Der Solopart, zuweilen sehr virtuos gehandhabt, findet ebenso keine adaequate Antwort im Orchester (›das erschwiegene Wort‹). Die Punkte im Titel stehen hier einerseits für die bewußte Verweigerung einer Beziehung zwischen Solist und Orchester sowie für das Momentum, die Ellipse und die Episode, die den Aufbau des Stückes kennzeichnen und nur in einer sehr zarten, sublimen Beziehung zueinander stehen. Das Verweigern einer allenthalben erfahrenen Hypotrophie ist auch eine andere als denkbare musikalische Antwort.

Die mit der Virtuosität einhergehende große Geschwindigkeit wird so sichtbar ausgebremst, der Zeitlauf kommt zum Stillstand, zum Innehalten. Und dies ist eine erschwiegene und zugleich ausgeweitete Antwort. Das Momentum gerät durch die Erstarrung des Zeitlaufs in den Brennpunkt, erfährt so mehr Bedeutung als Einzelnes, als ihm im Zeitall eigentlich zukäme. Es erfährt wiederum eine Reduktion dieser Bedeutung, indem es neben einer Vielzahl anderer Momente steht. Seine Relativität zum Zeitall wird ins Blickfeld gerückt und damit die Relativität unserer Lebenszeit, die nicht mehr als eine kleinste Episode im Universum ist. Stillstand scheint einzutreten, wenn sich rhythmische Strukturen in den Klang oder noch verfremdeter, virtueller, in das Geräusch auflösen. Dort, wo beides gleichsam unvermittelt nebeneinander steht, schweigt es sich gegenseitig an.

Jedes Form- bzw. Zeitmoment verfügt über ein Pendant an anderer Stelle des Stücks, so daß im großformatigen Aufbau neben anderen Entwicklungslinien der Symme-triegedanke eine wichtige Rolle spielt. Das anfänglich exponierte Material weitet sich kontinuierlich bis zum Schluß aus. Die zwölf Zeitinseln sind durch Zwischenspiele miteinander verbunden, aus deren Rahmen im Sinne des erschwiegenen Wortes eine ohne Antwort bleibende, auf 21 Takte ausgedehnte Solo-Kadenz deutlich und kahl herausfällt.

Ein Auftrag aus Japan gab mir die Möglichkeit zu diesem Stück. Es ist der vorzüglichen japanischen Schlagzeugerin Yuko Suzuki zugeeignet.

Ernst Helmuth Flammer

Programm:

[01] 50:21 Interferenza mente sovrapposizione (1988–1990)
for violoncello, orchestra and live electronics

Werner F. Selge, violoncello
SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg
Lothar Zagrosek
, conductor

EXPERIMENTALSTUDIO des SWR
Lee Dong Oung, assistant sound director
Rudolf Strauss, sound engineer
Rolf Pfäffle, technician
Ernst Helmuth Flammer, sound director

 

[02] 22:58 das erschwiegene Wort!…ausgeweitet… (1993/1994)
for solo percussion and orchestra

Yuko Suzuki, percussion
SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg
Olaf Henzold
, conductor

total time 73:35

Pressestimmen:


06/09


03-04/09

 


25.01.2010

Zeitspiele – Nervöse Form

Das Label ,NEOS‘ hat jetzt zwei Orchesterwerke Ernst Helmuth Flammers als SACD veröffentlicht. Beide sind, in einem weiten Sinn, Solokonzerte. ‚Interferenza mente sovrapposizione‘ schrieb Flammer für Cello, Orchester und Liveelektronik, hier weist er Cello und Elektronik jeweils eine Solorolle zu, in ‚das erschwiegene Wort!…ausgeweitet…‘ ist die Solorolle Schlagzeug und Orchester zugewiesen. ‚Interferenza mente sovrapposizione‘ schrieb Flammer 1988-1990, ‚das erschwiegene Wort!…ausgeweitet…‘ in den Jahren 1993/94. Die Aufnahmen stammen aus den Jahren 1990 und 1995, es spielt das SWR Sinfonieorchester Baden und Baden und Freiburg.

Statisch im Wechsel

Mit dem Titel ‚das erschwiegene Wort!…ausgeweitet…‘ verweist Flammer auf Paul Celan. ‚Ausgeweitet‘ ist nach Flammer das Soloschlagzeug mit neuen Techniken, die über weite Teile keine Entsprechung im Orchester finden (,erschwiegen‘). Ernst Helmuth Flammer versucht mit dem Stück auf den Lauf der Zeit kompositorisch Einfluss zu nehmen, versucht den Zeitlauf sogar zum Stillstand zu bringen, so jedenfalls sein Booklettext. Das kann man auch etwas anders sehen, die Komposition ist formal recht nervös, geprägt von einem beständigen Wechsel scheinbar kaum verbundener kurzer Abschnitte. Der erste Teil wird geprägt von einem unruhigen, farbenreichen Schlagzeug, die verschiedenen Abschnitte prallen hart aufeinander, selbst die ruhigen Abschnitte wirken getrieben. Etwas ruhiger ist der zweite Teil, sphärischer, mit weniger Orchester, der dritte Teil wieder nervöser, das Orchester wirkt vom Schlagzeug getrieben. Insgesamt steht den virtuosen Soli – fast scheint es, dass jedes Schlaginstrument ein Solo hat – ein unbewegliches, unverbindliches Orchester gegenüber. Genau das könnte man Flammer als wenig überzeugendes formales Konzept vorwerfen, allerdings hat er seine kompositorische Absicht konsequent umgesetzt. Die Darstellung einer verneinenden Ästhetik, hier der fehlenden Antwort des Orchesters, oder, wenn man es anders herum sieht, einer überschießenden Experimentierfreude des Soloschlagzeugs, ist oft für den Komponisten interessanter als für die Hörer. Etwas Positives zu setzen ist allemal wesentlich interessanter. Anerkennenswert ist hier die überragende Leistung der Schlagzeugerin Yuko Suzuki, der Flammer das Stück auch gewidmet hat.

Auch das lange ‚Interferenza mente sovrapposizione‘ ist kompositorisch für den Hörer nicht sehr abwechslungsreich. Dynamisch wird nur wenig gearbeitet, die Struktur ist ebenfalls von vielen hier eher wellenartigen Abschnitten geprägt.

Insgesamt sind es zwei Kompositionen, die eher den Eindruck erwecken, ein kompositionstechnisches Experiment zu sein. Auch wäre eine positive Grundhaltung wünschenswerter.

Patrick Beck

Interpretation:
Klangqualität: 
Repertoirewert:
Booklet:


08.01.2009

Flammer, Ernst Helmuth: Interferenza
Hut ab, welch ein Könner!

(eb) Ernst Helmuth Flammer? Nie gehört. Der Name des 1949 geborenen deutschen Komponisten ist mir bis jetzt noch nicht untergekommen.
Die zwei Werke dieser CD weisen ihn jedoch als einen Könner von hohen Graden aus. Durchbrochene Flächen prägen „Interferenza mente sovrapposizione“ und „das erschwiegene Wort! … ausgeweitet…“, dann schießen glühende Bläsermotive durch die verästelten Stimmen. Musik, die dem Zuhörer große Konzentration abverlangt, die in ihrer Konsequenz aber auch fasziniert!

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