Die neue Veröffentlichung mit Werken von Georges Aperghis lädt ein zu einer musikalischen Reise in die Zwischenwelt von Klang, Sprache und Bewegung. Mit Tingel Tangel, Merry go round, Sur le fil und Ligne de fissure zeigt der französisch-griechische Komponist einmal mehr sein meisterhaftes Talent im Spiel mit Identität, Emotion und Abstraktion. Zwischen tänzerischer Motorik, mechanischer Störung und poetischer Fragilität entfaltet sich eine Musik, die ebenso körperlich wie intellektuell herausfordert.
Im Zentrum steht das Akkordeon und – seltener bei Aperghis – das Cimbalom. Beide Instrumente schaffen eine Verbindung zu imaginären folkloristischen Klangwelten, die an Bartók erinnern, ohne konkret zu verorten. „Ich wollte, dass die Musik volkstümlich klingt, ohne dass man weiß, aus welchem Land sie stammt“, sagt Aperghis über Tingel Tangel, eine Folge skurriler Miniaturen mit theatralem Unterton – eine Hommage an Schumann, Zirkusfiguren und kabarettistische Abgründe.
Die Sopranistin Angèle Chemin, der Akkordeonist Vincent Lhermet und die Cimbalom-Spielerin Françoise Rivalland verleihen der Musik durch ihr hochpräzises und zugleich expressives Spiel eine lebendige Mehrdimensionalität. Sie sind nicht nur Interpret:innen, sondern auch Mitgestalter:innen dieser „fragilen Dramaturgien“, in denen jeder Klang, jede Geste Teil einer intensiven Interaktion ist.
Ob in der reduzierten, spannungsvollen Chromatik von Ligne de fissure oder im brüchig-virtuosen Sur le fil – stets bleibt der „Mensch“ im Zentrum. Aperghis’ Musik ist ein Balanceakt zwischen Freiheit und Struktur, zwischen Risiko und Poesie, voller Humor, Abgründe und Sehnsucht nach Ausdruck.
Ein klingendes Porträt – musikalisch, menschlich, kompromisslos eigen.
Programm
Georges Aperghis (*1945)
Lignes de fissure
[01] Ligne de fissure für Cimbalom Solo (2008)
Ersteinspielung
Françoise Rivalland gewidmet
Uraufführung: 18 Juli 2008 · Festival de Saintes, Église de St-Pallais
[02] Merry go round</strong für Akkordeon Solo (2019)
Teodoro Anzellotti gewidmet
Uraufführung: 09 Februar 2020 · ECLAT Festival, Stuttgart
[03] Sur le fil für Cimbalom Solo (2022)
Ersteinspielung
Françoise Rivalland gewidmet
Uraufführung: 07 Juli 2023 · Festival de Cluny “D’aujourd’hui à demain”
[04–13] Tingel Tangel für Sopran, Akkordeon und Cimbalom / Schlagzeug (1990)
Frédéric Davério, Valérie Philippin and Françoise Rivalland gewidmet
Uraufführung: 26 April 1991 · Théâtre Garonne, Toulouse
Gesamtzeit: 56:19
Angèle Chemin, Sopran
Vincent Lhermet, Akkordeon
Françoise Rivalland, Cimbalom / Schlagzeug
Biografien
Georges Aperghis wurde 1945 in Athen geboren. Seit 1963 lebt und arbeitet er in Paris. Sein Werk zeichnet sich insbesondere durch die Auseinandersetzung mit Sprachen und deren Bedeutung aus. Seine Kompositionen, ob instrumental, vokal oder für die Bühne, erforschen die Grenzen des Verständlichen. Aperghis’ Musik ist nicht streng an eine musikalische Ästhetik des zeitgenössischen Musikschaffens gebunden, sondern sucht den Dialog mit anderen Kunstformen – mit Theater und Literatur, Geistes- und Sozialwissenschaften sowie der bildenden Kunst. Seine Werke lassen sich durch eine extreme Offenheit gegenüber dem Anderen charakterisieren. Diese Andersartigkeit verbindet sich mit Innovation, indem er Elektronik, Video, Maschinen, Automaten oder Roboter in seine Performances einbezieht.
Im Jahr 1976 gründete Aperghis die Musiktheatergruppe »Atelier Théâtre et Musique« (ATEM). Dort führte er mehrere Jahre lang experimentierfreudige Schauspieler, Sänger und Musiker wie Édith Scob, Michael Lonsdale, Jean-Pierre Drouet, Annick Nozati, Martine Viard usw. in kreativen Workshops zusammen. In der Folgezeit lernte er viele neue Interpreten kennen und komponierte generationenübergreifend für sie. Seit den 2000er Jahren stehen die wichtigsten europäischen Ensembles für zeitgenössische Musik in enger Arbeitsbeziehung zu Aperghis, haben neue Werke bei ihm in Auftrag gegeben und diese auch in ihr Repertoire aufgenommen (u.a. Ictus Ensemble, Klangforum Wien, Remix Ensemble, Ensemble intercontemporain, Ensemble Musikfabrik, Neue Vocalsolisten und SWR Vokalensemble).
Jüngste Auszeichnungen: Mauricio Kagel Musikpreis 2011, Goldener Löwe der Biennale
Venedig 2015 für sein Lebenswerk, Frontiers of Knowledge Award 2016 der BBVA Foundation (Kategorie zeitgenössische Musik), Preis der Christoph und Stefan Kaske Stiftung 2016, Grand Prix SACD 2018, Ernst von Siemens Musikpreis 2021.
„Aperghis hat sich sicherlich die Freiheit erarbeitet, sich auf das Hochseil zu stellen, den Sturz zu riskieren. Aber der Unterschied ist, dass er weiß, wenn der Akrobat fällt, fällt er nicht ins Leere: Er fällt auf andere Drähte, von denen er noch höher springen kann! […]«>
(Auszug aus L’hétérogénèse, Interview von Félix Guattari mit Georges Aperghis)
www.aperghis.com
Die vielseitige Künstlerin und lyrische Sopranistin Angèle Chemin ist eine leidenschaftliche Verfechterin von zeitgenössischer Musik, Oper und der Verbindung verschiedener Kunstformen. Schon während ihrer Kindheit war sie, zusammen mit ihrem Vater Philippe Chemin, als Schauspielerin an engagierten zeitgenössischen Projekten beteiligt. Sie erhielt Unterricht in Querflöte, studierte später Operngesang bei Elsa Maurus und Robert Expert und absolvierte ergänzende Studien bei Malcolm Walker, Patricia Petibon und Véronique Gens. Ihre Ausdrucksvielfalt und Aufgeschlossenheit brachte die Zusammenarbeit mit ähnlich engagierten Künstler:innen und weiteren Kunstformen mit sich, woraus Produktionen entstanden, die Repertoire und kreatives Schaffen miteinander verbinden. Sie arbeitet mit Komponist:innen wie Georges Aperghis, Roland Auzet, Mathieu Bonilla, Elise Dabrowski, Helmut Lachenmann, Michaël Levinas, Farnaz Modarresifar, Mikel Urquiza, Diana Soh und Wilfried Wendling zusammen und singt als Solistin an den Opernhäusern von Bordeaux, Orléans, Lille, Limoges, Luxemburg und Reims, bei zahlreichen Festivals, in Theatern und mit verschiedenen Ensembles und Orchestern in Frankreich und Europa.
www.angelechemin.com
Der Akkordeonist Vincent Lhermet verfolgt eine außergewöhnliche Karriere als Solist und Kammermusiker auf der ganzen Welt. Seine Aktivitäten umfassen ein Repertoire von der Renaissance bis zur Gegenwart, von der notierten bis zur improvisierten Musik. Sein ausgeprägter Hang zum Experimentieren hat ihm die Zusammenarbeit mit zahlreichen Komponisten, Anthropologen und Linguisten, Dichtern und Regisseuren eröffnet. Er tritt mit zahlreichen Orchestern und Ensembles auf (u.a. Orchestre national d’Auvergne, Orchestre philharmonique de Nice, Les Siècles, Le Poème harmonique, Les Musiciens de Saint Julien, Ensemble intercontemporain, Ensemble Court-circuit, L’Instant Donné und Ensemble l’Itinéraire) und ist Preisträger zahlreicher Stiftungen und der renommiertesten internationalen Wettbewerbe (u.a. Arrasate-Hiria, Gaudeamus International Interpreters Award). Für die Labels Alpha, Harmonia Mundi, Tempus Clásico hat er CDs eingespielt und über 80 neue Werke uraufgeführt. Vincent Lhermet ist Absolvent der Sibelius-Akademie in Helsinki, des Pariser Konservatoriums und der Universität Paris-Sorbonne, Professor am CNSMD in Paris und der erste Akkordeonist mit einem Doktortitel für Interpreten in Frankreich. Er spielt ein Akkordeon Pigini Nova “Avantgarde”.
www.vincentlhermet.fr
Françoise Rivalland entdeckt als Zehnjährige die Musik von Edgar Varèse, J. S. Bach und später von Pierre Boulez, Yoshihisa Taira, Georges Aperghis, Karlheinz Stockhausen und György Kurtág … und wird Schlagzeugerin. Zehn Jahre später war sie aufgrund ihrer Leidenschaft für Kammermusik Mitgründerin des Ensemble S:i.c und bis 2008 auch dessen künstlerische Leiterin. Viele Jahre lang beteiligte sie sich an der Gestaltung zahlreicher Aufführungen von Georges Aperghis, inszenierte Beckett, Cage, Daumal, Globokar, Kagel und Schnebel. Neben ihrer Konzerttätigkeit unterrichtete sie zwölf Jahre lang im Studiengang »Master of Composition and Theory – Musiktheater« an der Hochschule der Künste Bern. Derzeit ist sie Professorin für zeitgenössischen Gesang am DSJC / CRR in Paris. An der Seite von Komponisten sowie in der Improvisation verfolgt sie derzeit ihren künstlerischen Weg mit Cimbalom, Tombak und Stimme. Seit mehreren Jahren realisiert sie Klangkreationen und elektroakustische Werke für Konzerte, Ausstellungen und Performances. Sie spielt ein Cimbalom von Ákos Nagy.
www.francoiserivalland.com
Infos
Katalognummer: NEOS 12525
EAN: 4260063125256