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H. E. ERWIN WALTHER · KAMMERMUSIK In der Avantgarde-Szene der 60er Jahre waren musikalische Graphiken eine verbreitete Modeerscheinung. Der Amerikaner Earle Brown hatte mit December 1952 den Startschuss gegeben – einer heute legendären Partitur, bestehend lediglich aus horizontalen und vertikalen Linien. Als solche Musikgraphiken Ende der 50er Jahre auch in Europa Verbreitung fanden, begrüßte man sie als Ausweg aus der seriellen Sackgasse – gaben doch diese optisch ansprechenden Spielanweisungen den Musikern schlagartig einen immensen Interpretationsfreiraum zurück. Roman Haubenstock-Ramati, als Lektor der Universal Edition nicht ganz ohne Einfluss, organisierte 1959 die erste Ausstellung mit graphischen Partituren in Donaueschingen. In der Folgezeit sprangen viele, teils auch prominente Komponisten (wie Ligeti oder Schnebel) auf den Zug auf (und nicht selten bald auch wieder davon ab). Wenn dann in den einschlägigen Musikzeitschriften wieder zu lesen war, was in New York, Darmstadt oder Wien gerade Aufregendes passierte, kommentierte das Maud Walther, die Frau des Amberger Komponisten Erwin Walther, mit den Worten: »Siehst du – das hast du doch vor zehn Jahren schon gemacht!« In der Tat: Heinrich Ernst Erwin Walther (1920–1995) muss nicht nur zu den Pionieren der musikalischen Graphik gezählt werden – für ihn war das Phänomen zudem auch weit mehr als eine Modeerscheinung. Von Anfang an bildeten die Wechselwirkungen zwischen Bildender Kunst und Musik einen zentralen Aspekt seines Schaffens. Bereits 1938 hatte er – damals noch Dirigierstudent am Würzburger Konservatorium – erste Versuche mit graphischer Notation unternommen. Nach Krieg und Internierung debütierte er 1949 als Pianist in Nürnberg mit Improvisationen über Zeichnungen von Franz Xaver Fuhr. Seit Mitte der 50er Jahre dann – und kontinuierlich bis zu Walthers Tod – entstanden die von ihm sogenannten »Audiogramme«. Mehr als 300 dieser graphischen Partituren sind erhalten – und sie zählen, wie man auf dieser CD hören kann, zu den inspirierendsten Vertretern des Genres. Dass davon dennoch bis heute kaum etwas bekannt ist, liegt nicht zuletzt am Charakter eines Komponisten, der an überregionaler Wirkung kaum interessiert schien und der Verbreitung seiner eigenen Werke fast schon störrisch im Wege stand. H. E. Erwin Walther hatte sich bewusst für die Provinz entschieden – für das Leben in seiner Geburtsstadt Amberg und gegen eine Karriere z. B. in München. Was er in der Oberpfalz schätzte, war die Freiheit: Hier musste er sich nicht um Dogmen und Denkverbote, um Pöstchen und Positionierungen scheren. Und die Amberger respektierten ihren Komponisten, der experimentelle Musik machte, aber auch den Jazzclub mitbegründet hatte. Sie liebten den Musiklehrer, der Techno »hochmeditativ« fand. Und sie waren stolz auf den gefragten Filmkomponisten, der seit den 60er Jahren die Musik zu vielen Fernsehsendungen beigesteuert hatte – darunter auch den Jingle zu »Titel, Thesen, Temperamente«. Manche dieser Facetten finden sich in den, völlig konventionell notierten, Neun Stücken für Klarinette und Klavier (1963) wieder. So hat Walther für einige Nummern seine Filmmusiken recycelt, bei anderen schimmern Bartók oder Hindemith durch die Notenzeilen. Exotische Arabesken stehen neben ausgelassenem Jazz, nachdenkliche Momente neben Zeugnissen eines kauzigen Humors. Ein Stück wie das sechste beispielsweise konnte wohl nur ein Komponist schreiben, der Wilhelm Busch und Ludwig Thoma zu seinen Lieblingsautoren zählte. Es spiegelt zugleich Walthers Interesse an bayerischer Volksmusik: Denn das Stück beginnt als veritabler Zwiefacher, um dann verschiedene metrische Varianten durchzudeklinieren, bevor es mit einer leisen, augenzwinkernden Schlusspointe endet. Klingen schon diese Miniaturen wie der Beleg für Walthers künstlerisches Credo, er sei »als Komponist ein bunter Vogel«, so wähnt man sich bei den graphisch notierten Kompositionen erst recht in einer völlig anderen Welt. Denn während die Neun Stücke einem erweiterten Tonalitätsbegriff und solider motivischer Arbeit verpflichtet sind – man fühlt sich stellenweise an die Musik der 1920er Jahre erinnert –, findet man sich mit den ersten Sekunden etwa der Rotationen (1969) unvermittelt im Klangkosmos der Nachkriegsavantgarde wieder. Erstaunlicherweise repräsentieren dabei konventionelle Kompositionen und Musikgraphiken nicht unterschiedliche Schaffensperioden, sondern entstanden nebeneinander her – auch im räumlichen Sinn: Michaela Grammer, die Tochter des Komponisten, erinnert sich, ihr Vater habe die herkömmlich notierten Stücke in seinem Arbeitszimmer entworfen, am Klavier, rauchend hin- und hertigernd; die Grafiken hingegen seien oft draußen im Gartenstuhl entstanden. Dieses undogmatische Nebeneinander ließ H. E. Erwin Walther der damaligen Avantgarde-Szene verdächtig erscheinen – für uns heute dagegen macht gerade das einen wesentlichen Reiz aus. Walthers Abneigung gegen jeglichen Dogmatismus bedeutete im Umkehrschluss auch Achtung vor der kreativen Freiheit der Interpreten. Er selbst betrachtete seine Audiogramme als »Stimulanzien« und schrieb: »Bei all meinen optischen Anweisungen gibt es keinen Hinweis auf eine bestimmte Art der Realisation. Meine persönlichen akustischen Vorstellungen treten im Fall der Retroversion [=Realisation] durch andere zurück.« Gleichwohl lassen sich unter den vier für diese CD realisierten graphischen Partituren durchaus unterschiedliche Abstufungen von Interpretationsfreiräumen ausmachen. So ist im Fall der Katenaria [Kettenreihe] für Klavier solo (1972) nicht nur ausnahmsweise das Instrument festgelegt, sondern auf den ersten der 28 Seiten auch jeder einzelne Notenkopf notiert – zwar nicht mit präziser Tonhöhe, aber immerhin unter Angabe des Tonhöhenregisters. Blaue und rote Farben suggerieren überdies linke und rechte Hand. Nicht festgelegt sind dagegen Rhythmus, Tempo oder Dynamik. Im Verlauf der Partitur werden die Notenzeichen dann ergänzt durch Kleckse, Flächen, verwischte Linien, von Frank Gutschmidt in dieser Aufnahme als Cluster, Tonwolken oder Glissandi interpretiert. In seiner hochvirtuosen Realisation nähert sich das Stück der klanglichen Komplexität etwa von Ligeti-Etüden an, und man nimmt staunend wahr, wie Walther mit dieser 28seitigen »Kette« einen dramaturgisch schlüssigen, organischen Spannungsbogen entwirft. Dass Gutschmidt in der Coda dann auch das Innere des Klavierkorpus mit einbezieht, dürfte durchaus in Walthers Sinne gewesen sein; Michaela Grammer berichtet jedenfalls, ihre Mutter habe beim Hören das Gefühl gehabt, Erwin Walther selbst hantiere am Klavier. Die zweite Folge von Katenarien, 1972 auf Millimeterpapier notiert, lässt hingegen die Besetzung offen. Es gibt keine Notenzeichen mehr, sondern nur noch schwarze Punkte, Linien, Kleckse unterschiedlicher Dichte. Peter Bruns hat die Grafik für Cello solo eingerichtet – unter Einbezug zahlreicher Spieltechniken, die im Lauf des vergangenen Jahrhunderts entwickelt wurden. So ist ein suggestives Stück entstanden, das sich von seiner Wirkung her nicht hinter den großen Cello-Werken der Nachkriegsavantgarde zu verstecken braucht. Bruns’ Realisation für dieses Instrument wirkt so zwingend, dass man sich kaum vorzustellen vermag, dass die Partitur prinzipiell auch Vorlage beispielsweise für ein Orchester- oder gar Didgeridoostück hätte werden können. Bei Schwebende Klänge (1968) gibt schon der Titel eine Interpretationsrichtung vor. Das Stück ist durchweg auf zwei Notensystemen skizziert, aber ohne Notenschlüssel und -köpfe. Stattdessen gibt es flüchtige Linien unterschiedlicher Länge und Schattierung. Zahlreiche grundlegende Entscheidungen überlässt Walther den Interpreten: Welche Instrumente sollen zum Einsatz kommen? Ist jedes System genau einem Instrument zugeordnet? Repräsentiert das untere System die tiefen Töne und das obere die hohen – oder deckt jedes System für sich den kompletten Tonraum ab? Peter Bruns und Frank Gutschmidt haben sich für eine Duo-Version entschieden, bei der die Systeme flexibel zwischen Klavier und Cello aufgeteilt werden. Das Resultat lässt durchaus an die New York School um Feldman, Brown und Cage denken. Rotationen (1969) schließlich gehört zu Walthers offensten Audiogrammen. Wüsste man nicht, dass es sich um eine Partitur handelt, würde man die beiden Blätter für ein graphisches Kunstwerk halten. Zu sehen sind Kreise und Kreisfragmente, die sich überlagern und auf der zweiten Seite verdichten zu einem rotierenden Strudel von geradezu katastrophischer Schwärze. Ib Hausmann, Peter Bruns und Frank Gutschmidt haben die Vorlage als »Aktionspartitur« aufgefasst, bei der es nicht um Kategorien von Tonhöhen oder Zeitabläufen geht, sondern um optische Aktionsfelder, die zu Kollektivimprovisationen unterschiedlicher Dichte und Energiezustände anregen. Für diese CD haben sie das Stück zweimal eingespielt, um zumindest im Ansatz hörbar zu machen, welche Spannbreite an Realisationsmöglichkeiten dieselbe Graphik birgt. Letztlich kann diese Produktion aber auch nur einen ersten Eindruck vom Reichtum eines künstlerischen Schaffens vermitteln, das noch weitgehend unerschlossen ist. In Walthers Nachlass findet sich zum Beispiel eine Nicht-Oper (1969) mit Graphiken und Wortanweisungen, utopische Projekte wie Musik für eine Stadt (1976–78), wo ganz Amberg zum Klingen gebracht werden sollte, oder auch Kaspar ist tot (1989), ein Zyklus von 15 farbigen Graphiken: Walther wollte sie an die Wand projizieren lassen, während ein Rezitator den gleichnamigen Text von Hans Arp liest; die Musik sollte dann nur im Kopf des Hörers entstehen. Auch wenn all das noch seiner Entdeckung harrt, lässt sich schon jetzt sagen, dass H. E. Erwin Walther zur Musikgraphik des 20. Jahrhunderts substantielle Beiträge geleistet hat – nicht in New York, nicht in Paris, nicht in Donaueschingen, sondern in der Freiheit seines Gartenstuhls im oberpfälzischen Amberg. Thorsten Preuß |
Programm:
Neun Stücke für Klarinette und Klavier (1963) 32:04
[01] I 03:20
[02] II 03:13
[03] III 03:54
[04] IV 01:34
[05] V 03:54
[06] VI 03:23
[07] VII 06:11
[08] VIII 03:56
[09] IX 05:39
[10] Rotationen (Entw.) 05:08
Version A (1969)
Graphic score (black & white)
Version for clarinet, violoncello and piano
[11] Katenarien (1972) 06:53
Graphic score in 14 sheets (black & white)
Version for solo violoncello
[12] Schwebende Klänge (1968) 04:52
Graphic score in 2 sheets (black & white)
Version for violoncello and piano
[13] Katenaria (Audiogramm) (1972) 16:28
Coloured graphic score in 28 sheets for solo piano
[14] Rotationen (Entw.) 06:15
Version B (1969)
Graphic score (black & white)
Version for clarinet, violoncello and piano
total time 74:41
Ib Hausmann clarinet
Peter Bruns violoncello
Frank Gutschmidt piano
Pressestimmen:
H.E. Erwin Walther (1920-95) led a double life. Born in Amberg, Germany, he returned there after the war and, by his own choice, flourished as a local, if not national, celebrity, churning out a continuous supply of gebrauchsmusik—oratorios, cantatas, and choir settings for the church; music for theater, films, and television; an assortment of concerti, chamber works, and solo piano pieces. But at the same time, he was following a completely different aesthetic impulse, creating graphic scores—visual art or other types of non-notational information to be interpreted with musical responses—on the extreme edge of the avant-garde. He apparently designed over 300 such “audiogrammes,” as he called them, and although only a very small sample can be seen on the website devoted to him (www.erwin-walther.de), it’s obvious they offer a variety of challenges to the adventurous performer. Which is not to suggest that Walther was in any way an innovator; though he is said to have formed an interest in the relationship between visual art and music as early as 1938 while still a student, his catalogue of works indicate that it wasn’t until the mid-‘60s that he began to produce these pieces with a deliberate, conceptual regularity. By this time, of course, thanks to Earle Brown and the others in the so-called New York School, along with a host of experimentally-minded Europeans such as Roman Haubenstock-Ramati, graphic scores had already been introduced and adopted as a possible, if still radical, option for those seeking to explore and expand the nature of composition. Today, graphic scores are commonplace. What makes this present release of special interest, then, is the breadth and style of his contributions to the genre of unconventional notation, and the fact that his work existed in obscurity until now.
Although obvious, it’s still worth pointing out that the less specific musical instruction a composer gives to the performer(s), the more the performer must supply, from simple tempo determination or phrasing adjustments all the way to choosing the notes themselves and accounting for their rhythmic and harmonic identity. But it also needs to be said that there is a distinction to be made between realization of a graphic score and improvisation on the part of the performer. Improvisation, when involving more than one performer, typically requires a sense of spontaneous invention based upon a reaction to what the other participants are playing, with their interaction creating the compositional context. Realization of graphic material, no matter how “unmusical” it may be, focuses the performer’s responsibility on achieving a musical representation of the material at hand, either through inspiration or predetermined strategies that relate sounds or techniques to details in the “score.” In Walther’s case, his “audiogramme” drawings, sketches, and constructions were intended to give the performer(s) the broadest sense of interpretive (but not total) freedom, even as some of the works contain visual references to staves, notes, or implicit musical relationships. This means, of course, that the performers will bring their individual ideas about technique, rhythm, harmony, form, and mood in response to Walther’s visual stimulation. He was quoted as saying “None of my graphic instructions specify a particular form of realization. My personal sonic ideas recede when the works are performed by others.”
Fortunately, the instrumentalists who have taken on this challenge are experienced New Music practitioners, and use their experiences to place Walther’s “audiogrammes” in a musical context that is at once familiar and unpredictable. Katenaria (1972), peformed by pianist Gutschmidt, is given a 16-minute reading that at various times may suggest Xenakis or Ligeti, beginning with a flood of nervous linear energy, interrupted by spurts and flashes of clusters, slicing the line into angular segments, rumbling in the instrument’s lower register, and eventually pummeling out fistfuls of notes. Cellist Bruns interprets Katenarien (1972) as an acrobatic display of percussive attacks, pizzicato, string timbres, and textural contrasts. For Schwebende Klänge (1968), cellist and pianist agree on close-knit pitches within a loose harmonic framework, starting out reserved and gradually growing more animated before receding. The two separate versions of Rotationen (Entwurf) add clarinetist Hausmann, and the three instruments search for common ground amid shifting colors, contrasting clarinet flurries, cello glisses, and inside-the-piano slivers.
If that were the extent of this disc, we’d have a fine, imaginatively-performed, thought-provoking example of graphic scores from a previously unknown source. But Hausmann and Gutschmidt have included one of Walther’s conventionally notated chamber works as well, the substantial and charming Nine Pieces for Clarinet and Piano (1963), which reveals the composer’s versatility and skill from a more traditional perspective. Again, there’s nothing innovative here; each of the pieces has multiple episodes, the harmonic language is resolutely tonal. The first piece begins and ends in a dark, claustrophobic mood, with a Bavarian dance, reminiscent of Bartok’s use of Hungarian and Rumanian folk tunes, in between. Number five is jazzy, but from a Gershwinesque, rather than broadly improvisational, point of view. Number seven has a Middle Eastern melodic flavor and ends in a dervish dance. And number nine is a cakewalk, a la Golliwog. All told, it’s an attractive work, well worth the attention of clarinet recitalists in search of unusual fare, here played with panache by Hausmann and Gutschmidt. And it adds to the curiosity factor of this release. I’d like to see many more of Walther’s “audiogrammes,” and hear what other interpreters might do with them, but a few more of his conventional scores wouldn’t be a bad idea either.
Art Lange
03/13
21.02.2013
Avantgardist aus der Oberpfalz
Musik des 1995 verstorbenen Amberger Komponisten H.E. Erwin Walther erlebt eine kleine Renaissance: Seine Tochter präsentierte in der Heimatstadt zwei neue CDs
Von Michael Scheiner, MZ
Amberg. „Er war knurrig, gradaus, für uns aber auch ein herausragender Pädagoge!“ Bei der Präsentation zweier CDs im Amberger Stadttheater plauderte Bürgermeister Michael Cerny ein wenig aus dem Nähkästchen. Er habe den Komponisten H.E. Erwin Walther, um dessen Musik es bei der Vorstellung im Bühnenraum ging, noch selbst in seiner Schulzeit erlebt. Als einen Musiklehrer, der „ein bisschen anders war“. „Noten?“ fragte Cerny verschmitzt, um nachzuschieben, „…haben wir auch gelernt.“ Damit sprach er ein ganz wichtiges Element des musikalisch-künstlerischen Schaffens des 1995 verstorbenen Ambergers an: die graphische Notation. „Wir haben auch viel Musik gezeichnet“, berichtete Cerny, „und danach musiziert.“
Mit dieser ungewöhnlichen Methode habe Walther seinen Schülern einen anderen Stil erlebbar gemacht. Ein Stil, der noch heute Musikliebhabern und -hörern manchmal nicht ganz geheuer ist. Gezeichnete Partituren, die ohne Noten auskommen und wie ein Bild oder eine Zeichnung auf dem Notenpult eines Musikers liegen, erlebten in den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts ihre Blüte als besondere Ausprägung der zeitgenössischen, modernen Musik. Walther war stilistisch und künstlerisch sehr vielseitig unterwegs. In einem halben Jahrhundert hat er ein ungewöhnlich breit gefächertes Gesamtwerk aus Liedern, Kammermusik, Orchester- und Chorwerken, Filmmusiken und Bühnenwerken geschaffen, darunter mehrere hundert grafische Arbeiten. Diese „Audiogramme“ genannten „Aktionsfelder“ sollten eine „Beziehung herstellen zwischen Graphik und Akustik“, wie er selbst einmal notierte.
Ernstes, Heitereres, Verrätseltes
Aus diesem reichen Nachlass sind jetzt vier Stücke – eines zweimal – eingespielt worden, neben neun konventionell notierten Kompositionen für Klarinette und Klavier. Produziert vom Studio Franken des Bayerischen Rundfunks in der Nürnberger Meistersingerhalle, sind sie unter dem Titel „Chamber Music“ bei Neos Music, einem renommierten Münchner Label für neue Musik, veröffentlicht worden. Interpreten sind der Klarinettist Ib Hausmann, Peter Bruns am Cello und der Pianist Frank Gutschmidt. Letzterer hat auch am zweiten Album „Vocal Music“ mitgewirkt, welches im gleichen Zeitraum, im Februar vor einem Jahr, ebenfalls vom BR in Nürnberg aufgenommen wurde.
Es enthält 31 Lieder, unterteilt in fünf kleinere und größere Zyklen, die zwischen fünf und manchmal nur einer halben Minute lang sind. Wie die Instrumentalstücke sind auch die teils ernsten, teils humoristisch heiteren und surreal verrätselten Lieder stilistisch kunterbunt gehalten. Souverän nutzte Walther stilistische Formen von der Spätromantik über den Impressionismus und die Zwölftonmusik bis hin zu den avanciertesten Ausdrucksmitteln der damaligen Avantgarde, verwendete frei von der Leber weg volksmusikalische Elemente, wie den Zwiefachen, und Jazz wo es ihm angebracht erschien. Seine Lieder schrieb er über Gedichte und Texte von Ingeborg Bachmann, Federico Garcia Lorca, Wilhelm Busch und Erich Kästner, den Regensburger Musikwissenschaftler Thomas Emmerig und viele andere Autoren. Das alles macht Walthers Schaffen – und damit die sorgfältig editierten und höchst ansprechend gestalteten Tonträger in vorzüglicher Interpretation – bis heute ungemein spannend und abwechslungsreich. Da steht schwer Verdauliches neben Heiterem, ein luftiges Stück neben höchst anspruchsvollen Vokalparts. Souverän werden diese, gelegentlich fast unsingbar erscheinenden Tonsprünge und Höhen, von der Sopranistin Yvonne Friedl, Tenor Joachim Vogt und dem Bariton Wolfram Teßmer bewältigt, die auch bei der Präsentation dabei waren.
Die Tochter hält das Werk lebendig
Einen großen Anteil daran, daß die Musik Walthers heute verlegt und gespielt wird, hat die Kunsthistorikerin Michaela Grammer, Tochter des Komponisten. Engagiert erzählte sie im Amberger Stadttheater, wie sie zusammen nach dem Tod des Vaters mit ihrer Mutter „waschkörbeweise Kritiken, Skizzen, Partituren und Archivausschnitte“ sichtete und ordnete. Als erste Dokumentation ist daraus 1998 eine Monografie (Band 36) des Bayerischen Tonkünstlerverbandes über H.E. Erwin Walther erschienen. Etwas später folgten im Stuttgarter Ikuro Verlag zahlreiche Partituren und nunmehr die beiden empfehlendwerten CDs.