Joachim Raff – Paul Juon – Anton Arensky: Works for Two Pianos

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Artikelnummer: NEOS 32201 Kategorie:
Veröffentlicht am: November 25, 2022

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JOACHIM RAFF – PAUL JUON – ANTON ARENSKI
Werke für zwei Klaviere

Sinfonik zu vier Händen

Wer sich mit der Musik der deutschen Romantik beschäftigt, ist vielleicht bereits einmal auf den Schweizer Komponisten Joachim Raff (1822–1882) gestoßen. Wenngleich die Werke des in Lachen im Kanton Schwyz geborenen Komponisten in den letzten Jahren wieder des Öfteren gespielt werden, so steht Raffs Nachruhm in keinem Verhältnis zu dessen Popularität zu Lebzeiten. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gehörte er nämlich zu den meistgespielten Tondichtern des deutschsprachigen Raums und war eine einflussreiche und bewunderte Figur des Musiklebens seiner Ära.

Der Sohn eines musikliebenden deutschen Emigranten erarbeitete sich seine musikalischen Kenntnisse größtenteils autodidaktisch und verlebte – nicht zuletzt aufgrund seines eigensinnigen Charakters – bewegte bis schwierige Jugendjahre, die in der Ausweisung aus seinem Heimatkanton gipfelten. Prägend war die Begegnung mit dem großen Klaviervirtuosen und Komponisten Franz Liszt 1845. Raff war zu Fuß von Zürich nach Basel gepilgert, um sein Idol im Konzert zu erleben. Liszt förderte den jungen Mann fortan und vermittelte ihm eine Stelle in einer Kölner Musikalienhandlung. Felix Mendelssohn wiederum ermöglichte es, dass Raff erste Kompositionen im traditionsreichen Verlag Breitkopf & Härtel veröffentlichen konnte. Bald konnte der wenig umgängliche Raff – zeitlebens verkrachte er sich immer wieder mit Freunden und Arbeitgebern – auch den bedeutenden Dirigenten und Pianisten Hans von Bülow zu seinen Förderern zählen.

1849 zog er nach Weimar, um für Liszt als dessen Sekretär und musikalischer Assistent zu arbeiten. Vermutlich hatte er in dieser Funktion einen nicht unwesentlichen Anteil an der Instrumentierung der Liszt’schen Orchesterwerke. Allmählich nahm auch seine eigene kompositorische Karriere Fahrt auf. 1861 gewann er mit seiner ersten Sinfonie den 1. Preis des Kompositionswettbewerbs der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien. Ab 1878 half er beim Aufbau des Dr. Hoch’s Konservatoriums in Frankfurt am Main, dem er als erster Direktor bis zu seinem jähen Verscheiden 1882 vorstand.

Die Phantasie für zwei Klaviere Op. 207a – Raff schuf auch eine Fassung des Werks für Klavierquintett – entstammt seiner letzten Schaffensphase und wurde 1877 von dem bedeutenden Pianisten und Dirigenten Max Erdmannsdörfer und dessen Frau, der Liszt-Schülerin Pauline Fichtner, uraufgeführt. Mit einer Spieldauer von beinahe 20 Minuten beschreibt das Werk eine nahezu sinfonische Anlage. Auf ein leidenschaftliches g-Moll-Motiv über drängenden Arpeggien in Schumannscher Manier folgt ein sangliches, choralartiges Larghetto, mit stetig variierenden Begleitfiguren und neckisch kadenzierenden, melodischen Girlanden. Abrupt kehrt das Eingangsthema zurück, um sogleich in einer verspielten Überleitung in den extremen Lagen des Klaviers eine muntere, folkloristische Weise einzuläuten. Der Tanz gerät zum virtuosen Reigen, der Larghetto-Choral erscheint als entrückte Erinnerung, ehe das Thema des Beginns in einer triumphalen Dur-Variante zurückkehrt und das Werk zum furiosen Finale führt.

Schroffe Klanglandschaften

Auch die Vita des Komponisten Paul Juon (1878–1940) verbindet eine familiäre Migrationsgeschichte mit Schweizer Wurzeln mit einer Karriere in Deutschland. Juons Großvater gehörte zu jenen vielen Graubündner Zuckerbäckern, die im Ausland zu Vermögen kamen – bereits 1766 wurden etwa in Venedig 38 von 42 Konfiserien von Graubündnern betrieben – und migrierte in jungen Jahren nach Russland. Paul Juon studierte Komposition in seiner Heimatstadt Moskau sowie in Berlin, unterrichtete anschließend ein Jahr am Konservatorium in Baku, ehe er 1906 als Professor für Komposition an die Hochschule für Musik in Berlin berufen wurde. Sein reichhaltiges Œuvre, das Orchesterwerke, Solokonzerte, Bühnenwerke ebenso wie Kammermusik umfasst, beschreibt eine höchst eigenständige musikalische Sprache zwischen russischer Schule, impressionistischen Anklängen und modernistischen Idiomen, wenngleich er nie den Rahmen der spätromantischen Tonalität gänzlich verließ. Juons Werke spannen einen reizvollen Bogen von höchst anspruchsvoller kompositorischer Verdichtung bis zu salonmusikalischer Galanterie.

Seine Tondichtung für zwei Klaviere Op. 71 aus dem Jahr 1924 mit dem Beinamen Jotunheimen evoziert jene mystische nordische Berglandschaft, in der die mythologischen Frostriesen hausen. Auch hier drängt sich ein Bezug zur orchestralen Gattung der Sinfonischen Dichtung und Vorbildern wie den Schöpfungen von Jean Sibelius und anderen nordischen Spätromantikern auf. Der Beginn lässt das raue Bergmassiv plastisch hervortreten. Juon überschreibt diesen Anfang mit den Begriffen »schroff, aufgeregt«. In einem Brief beschrieb er seine musikalisch-poetische Landschaft ferner mit folgenden Worten: »Jäh aufreckende Spitzen, düstere nebeldurchflutete Täler: ein Chaos gewaltiger Felsblöcke, von Schluchten durchwirrt, von Eis umkrallt. Unsagbar öde! Unsagbar herb! … Nur hie und da ein ganz klein wenig Trost an mattgrün leuchtenden Seen …«

Diese schroffe Natur schildert Juon mit einer fast perkussiven Behandlung des Klaviers mit unnachgiebigen Tonrepetitionen (»sehr stark hämmern«) und dynamischen Extremen und Kontrasten vom pianissimo bis zum fortissimo-forte. Die »mattgrün leuchtenden Seen« erscheinen in einer schillernden impressionistischen Passage. Allmählich verebbt diese zauberhafte Musik und macht Platz für einen folkloristischen, rhapsodischen Gesang, der im Anschluss kontrapunktisch verarbeitet wird. Die Musik kippt ins Tänzerische, durchbrochen von einem geisterhaften Choral, ehe sie sich wieder zur klirrenden Härte des Beginns mit seinen hämmernden Anschlägen verdichtet. Ein verspieltes Menuett bringt etwas Beruhigung, bevor wieder die schroffe musikalische Klanglandschaft des Beginns einsetzt, diesmal unterlegt mit dem mystischen Choralmotiv. Der Schluss beschreibt einen Trauermarsch. Wenngleich Juon keine Erzählung zu seiner programmatisch sprechenden Musik vorgibt, lässt sich hier leicht eine epische Geschichte erahnen, die mit dem Tod des Protagonisten oder der Protagonistin in der kahlen Landschaft des ewigen Eises endet.

Durchtriebene Salonmusik

Zu Juons Kompositionslehrern gehörte der russische Tondichter Anton Stepanowitsch Arenski (1861–1906). Geboren in eine wohlhabende Familie, studierte Arenski in St. Petersburg bei Nikolai Rimski-Korsakow und wurde alsbald als Professor für Komposition ans Moskauer Konservatorium berufen, wo er, neben Juon, auch Sergej Rachmaninow und Alexander Skrjabin unterrichtete. Er litt zeitlebens unter psychischen Erkrankungen und entwickelte eine ausgeprägte Spiel- und Trunksucht. Diesen Widrigkeiten zum Trotz hinterließ Arenski ein breit gefächertes kompositorisches Œuvre, worin besonders sein kammermusikalisches Schaffen hervorsticht. Er verstand sich auf eine höchst wirkungsvolle, virtuose Behandlung des Klaviers, was in seinen fünf Suiten für zwei Klaviere eindrücklich zu Tage tritt.

Die Suite Nr. 1 G-Dur Op. 15 steht ziemlich am Beginn seiner kompositorischen Laufbahn und eröffnet dennoch bereits einen großen Reichtum musikalischer und pianistischer Ausdrucksmittel. Alle drei Sätze dieser gehobenen Salonmusik – von der Romanze über den Walzer bis zur Polonaise – fügen sich auf den ersten Blick ganz eindeutig in die jeweilige Gattungstradition ein und warten mit höchst eingängigen melodisch-rhythmischen Gestaltungen auf. Im Verlauf dieser Kleinodien fügt Arenski jedoch gewitzte Brechungen in die musikalische Faktur ein, die den Sätzen einen durchtriebenen Charme verleihen und ferner den Interpret:innen erlauben, virtuos aufzutrumpfen – ein Fest der vierhändigen Klavierliteratur.

Moritz Achermann

Programm:

Joachim Raff (1822–1882)

[01] Phantasie für zwei Klaviere Op. 207a (1877) 18:41

Ersteinspielung


Paul Juon
 (1872–1940)

[02] “Jotunheimen” Tondichtung für zwei Klaviere Op. 71 (1924) 21:27

Ersteinspielung

Anton Arensky (1861–1906)

Suite N1. 1 für zwei Klaviere Op. 15 (1888) 14:58

[03] Romanze 03:56
[04] Walzer 04:54
[05] Polonaise 06:08

Gesamtspielzeit: 55:10

Igor Andreev & Thomas Gerber, Klavier

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