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Flüchtige Walzer als ›dauerhafte Musik‹ »Leider nicht von mir« schrieb Johannes Brahms einmal unter die Anfangstakte des Walzers An der schönen blauen Donau, und zahlreich sind die Zeugnisse von Brahms’ Bewunderung des Walzerkönigs Johann Strauß und der gegenseitigen Wertschätzung. Der Walzer war nicht nur prägnantes Idiom der Habsburger k.u.k.-Hauptstadt Wien im 19. Jahrhundert, sondern ist bis heute geradezu deren Wahrzeichen. Für den ab 1863 zunehmend enger an Wien gebundenen Brahms bedeutete die Komposition von Walzern neben der Hommage an die neue Wahlheimat auch einen Prozess musikalischer Assimilation. Der berühmte Wiener Musikkritiker und Brahms-Apologet Eduard Hanslick beschreibt dies 1866 in der ›Allgemeinen Musikalischen Zeitung‹, wobei er sich auf die ihm gewidmeten Walzer op. 39 für Klavier zu vier Händen bezieht: »Brahms und Walzer: die beiden Worte sehen einander auf dem zierlichen Titelblatte förmlich erstaunt an. Der ernste schweigsame Brahms, der echte Jünger Schumanns, norddeutsch, protestantisch und unweltlich wie dieser schreibt Walzer? Ein Wort löst uns das Rätsel, es heißt: Wien. Auch die Walzer von Brahms sind eine Frucht seines Wiener Aufenthalts, und wahrlich von süßester Art. Nicht umsonst hat dieser seinen Organismus Jahr und Tag der leichten, wohligen Luft Österreichs ausgesetzt – seine Walzer wissen nachträglich davon zu erzählen. Fern von Wien müssen ihm doch die Straußschen Walzer und Schuberts Ländler, unsere Gstanzel und Jodler […] nachgeklungen haben, dazu die hübschen Mädchen, der feurige Wein, die waldgrünen Höhen und was sonst noch. Wer Anteil nimmt an der Entwicklung dieses echten und tiefen […] Talentes, der wird die Walzer als glückliches Zeichen einer verjüngten und erfrischten Empfänglichkeit begrüßen […]. Welch reizende, liebenswürdige Klänge! Wirkliche Tanzmusik wird natürlich niemand erwarten: Walzer-Melodie und Rhythmus sind in künstlerisch freier Form behandelt und durch vornehmen Ausdruck gleichsam nobilisiert.« In der Überhöhung der ephemeren Tänze zur Kunstform entsprechen die Walzer op. 39 – wie auch die beiden Serien der Liebeslieder-Walzer – in besonderer Weise Brahms’ Ideal von ›dauerhafter Musik‹. Die Walzer op. 39 sind 1865 komponiert, die beiden Serien der Liebeslieder-Walzer als op. 52 (1868/69) und op. 65 (1874/75) entstanden. Die Vokalausführung der Liebeslieder-Walzer nimmt die traditionelle Form von Gesangs-Walzern auf, die sich seinerzeit größter Beliebtheit erfreuten; auch Johann Strauß’ An der schönen blauen Donau beispielsweise bezieht sich im Titel auf den ursprünglich zugrundeliegenden Männerchor. Die Neuen Liebeslieder-Walzer sind hingegen weniger volkstümliche Wechselgesänge als vielmehr überwiegend einstimmige Kunstlieder; auch ist der Walzer-Charakter als musikalischer Grundschlag jedes Liedes viel weniger handgreiflich, ist sublimiert und aufgelöst in einem kunstvollen Klaviersatz. Der Pianist Brahms ist hier, mit seinem ureigensten Instrument, auch handwerklich ganz bei sich und gestaltet den Klavierpart als zurückgenommen-diskrete, dabei völlig autonome kammermusikalische Miniaturen. Die von Brahms zur Vertonung ausgewählten Texte beider Serien der Liebeslieder-Walzer stammen aus der 1855 erschienenen Sammlung Polydora – ein weltpoetisches Liederbuch von Georg Friedrich Daumer. Er war ein Lyriker und Erzähler von orientalisch beeinflusster Formkunst, die jedoch – anders als bei seinem Zeitgenossen Friedrich Rückert – nicht wissenschaftlich fundiert war. Daumer hatte denn auch die in Polydora gesammelten Gedichte als Übersetzungen russischer, polnischer und ungarischer Volkslyrik ausgegeben, jedoch erwiesen sie sich später als seine eigenen Schöpfungen. Das letzte Lied von opus 65 stammt – als demonstrativer Abschluss der beiden Walzerserien – nicht von Daumer, sondern von Johann Wolfgang von Goethe: Zum Schluß hat Brahms diese Anrufung der Musen in den letzten Zeilen von dessen Gedicht Alexis und Dora überschrieben. Die hier vorgelegte Interpretation entspricht in besonderer Weise Brahms’ Anspruch einer kompositorischen Synthese von musikalischem Volkston und satztechnischer Kunstfertigkeit. Dirigent, Sänger und Pianisten haben eine Authentizität des Musizierens erarbeitet, die sich insbesondere in der deklamatorischen Phrasierung und Artikulation der Walzer äußert: Deren melodische Geste wird unterstrichen durch Beschleunigen und Abbremsen, die innere Gestalt ist durch sinnfälliges Abphrasieren strukturiert und aller liedertafelhaften Leierei entkleidet. Dieser ›Klangrede‹ entspricht das voluminöse und zugleich durchsichtige Timbre des historischen Erard-Flügels, gefertigt im Jahre 1839 und eines der zahlreichen spielfertigen historischen Tasteninstrumente aus dem Pianoatelier des WDR. Mit all diesen Komponenten löst die vorliegende Ausführung Brahms’ Anspruch von ›dauerhafter Musik‹ bezwingend ein; diese einzigartig geschlossene Darstellung beglaubigt Brahms’ kleinformatige Walzer als Charakterstücke, erhebt sie zu manchmal sogar abgründigen Seelenbildern. Michael Schwalb |
Programm:
Liebeslieder op. 52 (1868/69) 22:49 [01] No. 1 – Rede, Mädchen, allzu liebes 01:18 [07] No. 7 – Wohl schön bewandt war es 01:20 [18] No. 18 – Es bebet das Gesträuche 00:56 [19-34] Walzer op. 39 (1865) 21:48 Neue Liebeslieder op. 65 (1874/75) 18:56 [35] No. 1 – Verzicht, o Herz, auf Rettung 00:50 [37] No. 3 – An jeder Hand die Finger 01:09 [47] No. 13 – Nein, Geliebter, setze dich 01:26 total time 63:48 GrauSchumacher Piano Duo |
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