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Tschappina-Variationen – Konzert für Ensemble und Violine An der Musik Klaus Ospalds nimmt man rasch ihre große Sprachhaftigkeit wahr; auch seine Instrumentalmusik vermittelt dem Hörer den Eindruck, ihm werde etwas durchaus sprachlich Fassbares mitgeteilt. Neben der unverwechselbaren Rhythmusgestaltung, die zwischen den Polen des beinahe Erstarrens und getriebener Gehetztheit viele Zustände kennt und den Verläufen der Kompositionen oft etwas gleichsam Szenisches gibt, sind es der expressive Gestus der Tonhöhenkonturen sowie die spezifische Klanglichkeit und Färbung der zeitlichen Verläufe, die den semantischen Eindruck vielfach verstärken. Eine der Wesenskonstanten bildet dabei das Prozesshaft-Variative. Die zwei Komponenten im Titel der Tschappina-Variationen lassen sich als doppelgesichtiger Verweis auf diese Konstante verstehen: Mit „Variationen“ ist das für die Gestaltwerdung des Stückes im Großen wie im kompositorischen Detail ursächliche und durchgehend herrschende Prinzip klar benannt. Der Name des Graubündner Bergdorfs Tschappina hingegen steht abstrahierend-symbolisch für den „Ort“ naher Natur, deren Beobachtung Ospald unweigerlich und tiefgreifend zur Auseinandersetzung mit Fragen des komponierenden Gestaltens wie des Existentiellen überhaupt führte: „Die offene Begegnung, die scharfsinnige Wahrnehmung von Natur, ihr evolutionärer Prozess lassen einen ihre Phänomene existentiell erfahren, und wer nicht im kleinsten Stein das Besondre entdeckt, auch wenn er vor der Haustür läge, dem helfen auch nicht die fernsten Fernen. Dass das plötzliche Erscheinen und Verschwinden von Leben im umfassenden Sinne, sein Vergehen, Verlöschen und Auflösen, in der Umwandlung zu einer Verwandlung gelangt und so immer wieder Leben hervorbringt […], verbindet sie tief mit dem Wesen der Musik.“ Der Anfang setzt Motiv und Gestus in eins. Glissando-Bewegungen, überwiegend das Wegsinken nach unten, aber auch das Entgleiten nach oben, prägen die ersten Geschehnisse und durchsetzen dann das gesamte Stück in vielerlei Erscheinungsformen; dieses Kernelement kann in seinem Verlauf ausgesponnene Linien entfalten, umgekehrt sich in der Vertikale niederschlagen und zu repetierend festgehaltenem Intervall kristallisieren. Setzen sich so rein kompositorisch Motivkeime fort und bilden neue, gleichwohl in ihrer Substanz rückverbundene Zustände aus, so wird gleichzeitig und gleichermaßen die durch diesen Ausgangskern artikulierte Befindlichkeit, fassbar nicht zuletzt als Klagegeste, in mannigfacher Gestalt weitertransportiert. Darüber hinaus bleibt das Prinzip des Variativen insgesamt elementar. Alle von Erregung und Quirligkeit geprägten Abschnitte können schon untereinander als Variantenkette gehört werden, reihen aber auch intern Variationen aneinander (bereits der eröffnende Formteil besteht aus einem Agitato mit drei Variationen, und auch im weiteren Verlauf werden mehrfach Abschnitte mit einer Variation versehen). Diesen Abschnitten sind inselartig verhaltene Einschübe eingelagert, in denen sich Elemente des Anfangs in anderem Zustand niederschlagen, sogar eine Art Idylle (Erinnerung) beschworen wird, aber auch das Fragende, wenn nicht gar Resignation zum Ausdruck kommt. Zum Ende des Stückes hin – in der Partitur durch das eingefügte, um Verlust kreisende Gedicht „Geht, Kinder, nicht ans Wasser ’nan“ aus Rückerts Kindertodtenliedern markiert – behält diese Verhaltenheit ganz die Oberhand. Das Konzert für Ensemble und Violine ist im Ganzen betrachtet noch stärker vom Lauschen auf Zustände und Befindlichkeiten geprägt; in gewisser Weise setzt es dort fort, wo die Tschappina-Variationen endeten. Wohl gibt es auch hier kontrastierende, sich verknäuelnde Bewegtheit und gegen Ende auch einen heftigen Ausbruch, doch herrscht über lange Strecken eine Haltung des Zurückgenommenen, des sich auf Einzeltöne oder Klangflächen konzentrierenden Einlassens. Oft tastet dabei die Solo-Violine vor, gibt Gesten und Anstöße, singt gleichsam in vibrierend gehaltene Flächen oder Klangsituationen hinein, kann aber auch immer wieder im Gruppengeschehen gänzlich aufgesogen sein. Ein vielfach wiederkehrendes Ausdruckselement ist das bewusste Ergreifen von Tönen über große räumliche Distanz hinweg, wie überhaupt der Kontrast von Höhe und Tiefe immer wieder artikuliert wird. Auch im Konzert formt sich ein Geschehensverlauf aus, der trotz aller kontrastierenden Momente von einer einzigen durchwirkenden Energie getragen ist. Dabei können Gegensätze unvermittelt aufeinandertreffen (so etwa im ruhigen Fluss von Abschnitt I in Gestalt von zwei Parenthesen – die erste aus wenigen, agitato auszuführenden Takten bestehend, die mit dem auf Schumann anspielenden Vermerk Launische Replik charakterisiert ist, wenig später eine zweite, einen längeren Ausbruch bewirkende), es ergeben sich aber auch strukturelle und inhaltliche Verklammerungen über größere zeitliche Distanzen hinweg, wenn etwa von derselben Grundhaltung bestimmte Passagen ein übergreifendes Bezugsnetz etablieren. Beispielhaft seien hierfür die als Heterophonie 1, 2 und 3 bezeichneten Abschnitte angeführt, die sich sämtlich als Ableitung oder Neubeleuchtung von Elementen aus Introduktion und Teil I verstehen lassen: Von der Überlagerung absteigender, Klage assoziierender Skalengänge verschiedener Länge und Rhythmisierung geprägt die erste; von einer einzigen, nach Spielweise und Rhythmusgestalt unterschiedlich artikulierten Tonachse ausgehend die zweite; ein die repetierte Akkordbrechung der Solo-Violine mit aus demselben Tonvorrat gewonnenen, in- und übereinander geschichteten Kurzelementen färbend umgebendes Feld die dritte. Naturwahrnehmung, Natur und Individuum, der Prozess von Verwandlung und Umwandlung, Vergänglichkeit, Reflexion und Intuition, Humor (im Sinne Sternes oder Jean Pauls), dies sind benennbare Auslöser und Gestaltkräfte dieser beiden Stücke. Daher auch das Bekenntnis des Komponisten, ein schöneres Motto für seine Werke habe er bis jetzt noch nicht gefunden als dieses Wort von Jean Paul: „Hier ringen negativ elektrische Philosophie und positiv elektrischer Enthusiasmus miteinander um ein Gleichgewicht. […] Wenn der Mensch mit der kleinen Welt, wie der Humor es tut, die unendliche ausmisset und verknüpft, so entsteht jenes Lachen, worin noch ein Schmerz und eine Größe ist.“ Wolfgang Thein |
Programm:
21:53 Tschappina-Variationen (2001)
36:00 Konzert für Ensemble und Violine (2003/2004)
gesamt 58:02 Bettina Boller, Violine |
Pressestimmen:
Kraftvolle Mitteilungen in Stille Interpretation: Dem jungen Label NEOS verdanken wir nicht nur Veröffentlichungen neuer Musik, die mit medialer Aufmerksamkeit gesegnet ist – zu erwähnen wäre die Reihe der Dokumentations-CDs der letztjährigen Donaueschinger Musiktage – sondern auch Musik, um die herum es still ist, Werke von Komponisten, die nicht um jeden Preis an die Öffentlichkeit dringen müssen, sondern unbeirrbar ihre Botschaften in Klänge umsetzen. Klaus Ospald ist so ein Komponist, dessen Name sich nicht allzu oft im aktuellen Diskurs zeitgenössischer Musik wieder findet, obgleich seine Tschappina-Variationen mit dem 2005 zum ersten Male vergebenen Orchesterpreis des SWR in Donaueschingen ausgezeichnet wurden. Dieses verborgene Wirken, das sich Entziehen der Zeitgenossenschaft, kann der Musik durchaus zu einer größeren Tiefe verhelfen; davon kündet die jüngst bei NEOS erschienene Einspielung zweier Werke Klaus Ospalds: Die Tschappina-Variationen für Ensemble und das Konzert für Ensemble und Violine, beide in Interpretationen des Collegium Novum unter der Leitung von Peter Hirsch. Paul Hübner |
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