Infotext:
DER TON ALS NUKLEUS Leider hat Luigi Nono zur Ästhetik seines Spätwerks nur wenig publiziert, weshalb es legitim erscheint, hier über einen Vortrag zu berichten, den er 1983 im Rahmen eines Seminars im Freiburger EXPERIMENTALSTUDIO gehalten hatte. Ausgehend von einer Spektralanalyse, welche er zusammen mit Hans Peter Haller und Roberto Fabbriciani für die Flöte durchgeführt hatte, stellte er fest, dass ein mikrophonierter Einzelton dieses Instruments bei entsprechender Spielweise entweder sinustonartig oder, bei ausdifferenziertem Spiel mit Blasgeräuschen wie unterschiedlich betonten Obertönen, inwendig »vielfältig wie eine Beethoven-Symphonie« (Nono) sein könnte, und damit im Gegensatz zum Sinuston einzigartig. Diese Einzigartigkeit verglich er mit der Leibniz’schen Blattmetapher. Ein Blatt von Ferne betrachtet, gleicht allen anderen Blättern eines Baumes, indes ist es unter dem Mikroskop, dem Pendant zum Mikrophon, unverwechselbar und so individuell wie ein Fingerabdruck. Diese Individuation des Einzeltones war der Ausgangspunkt von Nonos Arbeit mit Live-Elektronik, wobei sein Rekurrieren auf die inwendige Beethoven-Symphonie keinesfalls die Idee enthielt, auch tradierte Formen wiederzubeleben. Im Gegenteil war es gerade die Sprengung eines Formtyps mit Exposition, Durchführung und vorherhörbarer Reprise, die ihn faszinierte. Über die im EXPERIMENTALSTUDIO mögliche Klanganalyse und Klangumwandlungsverfahren ergab sich für ihn der Blick in die Unendlichkeit, ein Aufbruch in ein neues musikalisches Zeitbewusstsein, auch wenn er hierfür mit Giordano Bruno ausgerechnet einen Philosophen des Cinquecento mit dem Zitat »successiuamente á tempi et tempi giongendo lume a lume« (die im Laufe der Zeit Licht an Licht reihen) anführte. Detlef Heusinger RISONANZE ERRANTI · POST-PRAE-LUDIUM PER DONAU Die Werke für das Musiktheater, Intolleranza 1960 (1960/61) und Al gran sole carico d’amore (1972/74), fassten jeweils die vorangegangen Jahrzehnte von Luigi Nonos Schaffen zusammen und schufen Zäsuren, nach denen der Komponist zu neuen Ufern aufbrach. Doch in den vier Jahren nach Al gran sole komponierte Nono fast gar nichts; als 1980 sein Streichquartett Fragmente – Stille, An Diotima mit dem LaSalle-Quartett uraufgeführt wurde, schien er zunächst mit diesem auf Friedrich Hölderlin bezogenen Werk nicht mehr als jener »politisch engagierte« Komponist erkennbar, als den man ihn klassifiziert hatte. Als sein nächstes Ziel bezeichnete er »Prometheus«, eine neue »Azione Musica« für die Frankfurter Oper. Alle Werke, die Nono nach dem Streichquartett bis zu diesem monumentalen Prometeo komponierte, sind Wege, die unmittelbar zu diesem führen; diejenigen, die danach bis zum Tod des Komponisten 1990 entstanden sind, knüpfen bei Prometeo an und führen in weitere, noch unerschlossene »Landschaften«. Von zentraler Bedeutung für Nono auf dem Weg zum Prometeo und nach diesem war seit 1979 die Fülle neuer klanglicher Möglichkeiten, die ihm die Live-Elektronik des Freiburger EXPERIMENTALSTUDIOS bot. Kaum ein Werk ist für die Suche nach Nonos neuen Wegen nach dem Prometeo in seiner Radikalität so herausragend wie die 1986 entstandenen Risonanze erranti für Alt, Flöte/Piccolo, Tuba/Posaune, Schlagzeuger und Live-Elektronik. Sie wurden am 15. März 1986 in Köln mit Susanne Otto unter der Leitung des Komponisten und des Dirigenten Peter Hirsch erstmals aufgeführt und für eine Reihe von Folgeaufführungen vom Komponisten noch mehrmals überarbeitet. »Irrende Resonanzen« der Instrumente wie der Singstimme. Für die letzte Fassung hat Nono von vier Gedichten von Herman Melville (1819–1891) aus dessen Battle Pieces und aus Ingeborg Bachmanns Gedicht Keine Delikatessen nur einzelne Worte ausgewählt: »deep abyss«, »pain crime«, »Hunger – Tränen – Finsternis«, »despairing«, »death«, »Verzweiflung«: Eine Landschaft der Verlassenheit, Hoffnungslosigkeit und des Todes. Die Risonanze erranti sind Luigi Nonos »Winterreise«, an deren Ende ein Fragment finale sospeso! mit Fragen – ich? du? er? sie? es? wir? ihr? – die letzte mit der Vortragsbezeichnung »duro, wie Anklage, lasciando sospeso« versehen. Doch es gibt noch eine weitere, eine historische Dimension: »Echos von Guillaume de Machaut, Josquin Desprez und Johannes Ockeghem« nennt sie das Titelblatt der Partitur, doch nur je zwei, drei Anfangstöne dieser Werke Alter Musik aus den fernen 14. und 15. Jahrhunderten hat Nono zitiert. Sie werden von der Singstimme wie den Instrumenten gesungen und durch die Live-Elektronik in immer neue Klangräume gebracht; dagegen verwenden die Fragmente von Melville aus dem amerikanischen Bürgerkrieg und aus Ingeborg Bachmanns katastrophischem »dreißigsten Jahr« je eigene Klangräume. Die Instrumente schaffen schroffe Tonhöhen- und Dynamikkontraste und Nono erkundet gleichzeitig fließende Übergänge zwischen Vokalem, Instrumentalem und den elektronisch transformierten Klängen. Die weiten Räume von Dantes Inferno scheinen beschworen (3:22): »Quivi, sospiri, pianti et alti guai / Risonavan per l’aer senza stelle« (Seufzer, Klagen und Weherufe / hallen in sternenlosen Nächten) – gleichzeitig ganz nahe und eine andere Welt. Und immer wieder scheinen sich die harten Schläge der Bongos, die ganz zarten der Crotales und die geheimnisvollen sardischen Glocken in weiten Räumen und langen Pausen zwischen den Fragmentinseln zu verlieren. »Sie hat nicht Rollen gesungen, sondern auf der Rasierklinge gelebt« schrieb Ingeborg Bachmann über Maria Callas. Genau solche Grenzsituationen auch bei Melville, Bachmann und Luigi Nono. Mit dem Ziel – so Nono – für den Hörer »alles zu erweitern, alles zu vertiefen, um andere Änderungen zu schaffen, Veränderungen, menschliche, Gefühl, sozial, Reform, Denken«. Der Titel Post-prae-ludium per Donau für Tuba und Live-Elektronik verweist auf Nonos Absicht, eine Folge von Solowerken mit und für Interpreten zu komponieren, mit denen er seit Beginn der Arbeit im EXPERIMENTALSTUDIO eng zusammengearbeitet hatte – in diesem Falle der Tubaspieler Giancarlo Schiaffini. Er spielte dieses knapp 14 Minuten dauernde Werk erstmals am 17. Oktober 1987 in Donaueschingen. Die Verbindung von prae- und post-ludium im Titel steht für die Vorstellung einer »Gleichzeitigkeit«, die für das Denken des späten Nono, ein »Sowohl-als-auch«, charakteristisch ist. Sie lässt sich auch auf die Gleichwertigkeit von Interpret und Komponist, von Live-Klang und Elektronik beziehen. Das Post-prae-ludium besteht aus zwei Teilen, die durch einen kontrastreichen Mittelabschnitt verbunden werden. Der erste Teil (ca. 5:20) wird durch live-elektronisch überlagerte Verzögerungen von 5, 7, 10 und 15 Sekunden bestimmt; die Tuba spielt sehr leise in höchster Lage, dann mit gleichzeitigem Falsett-Gesang, mit Vibrato und normaler Singstimme. Der Klang kommt aus vier im Aufführungsraum aufgestellten Lautsprechern. Nach ca. 1:40 des Mittelteils in hoher Lage (um c2/f2) erfolgt ein Absturz auf das tiefste Kontra-C im pppppp, nach gut zwei Minuten folgt erneut das mikrointervallisch umspielte c1/f1. Der letzte Teil ist eine sukzessive klangliche und dynamische Erweiterung und Verstärkung mit einem klangfarblich veränderten Achsenton f1 der Tuba. Der erste Leiter des Freiburger EXPERIMENTALSTUDIOS, Hans Peter Haller, hat eindringlich beschrieben, wie Luigi Nono seine gemeinsame Arbeit mit den Interpreten und der Live-Elektronik verstanden hat: Nicht, ob etwas schön, korrekt, virtuos und richtig gewesen war, sei entscheidend, wichtiger sei Nono die »menschliche Seite der Aufführung« gewesen; alles könne zwar perfekt, doch zu sauber – weil ohne das entscheidende gewagte äußerste Risiko – sein. Das galt für den Komponisten selbst, die Ausführenden und die Hörer. Jürg Stenzl |
Programm:
[01] Risonanze erranti a Massimo Cacciari (1986/1987)* 40:18
for contralto, flute, tuba, percussionists and live electronics
ENSEMBLE EXPERIMENTAL
Susanne Otto, contralto
Roberto Fabbriciani, flute
Klaus Burger, tuba
Les Percussions de Strasbourg
Jean-Paul Bernard, Bernard Lesage, François Papirer
Keiko Nakamura, Olaf Tzschoppe
EXPERIMENTALSTUDIO des SWR
Sound direction & music computing:
Reinhold Braig, Joachim Haas, Gregorio Karman
Supervisor: André Richard
Detlef Heusinger, conductor
[02] Post-prae-ludium per Donau (1987) 13:39
for tuba and live electronics
Klaus Burger, tuba
EXPERIMENTALSTUDIO des SWR
Sound direction & music computing: Michael Acker, Joachim Haas
Supervisor: André Richard
total time: 54:08
*World Premiere Recording
Pressestimmen:
12/2011
6/2011
20.10.2011
Die Schönheit der Verzweiflung
Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert:
Booklet:
25 Jahre sind mittlerweile seit der Uraufführung der ersten Version von Luigi Nonos Komposition ‚Risonanze erranti‘ für Mezzosopran, Flöte, Tuba, sechs Schlagzeuger und Live-Elektronik (1986/87) im Jahr 1986 vergangen. Dass es genau so lange gedauert hat, bis erstmals eine Einspielung dieses zentralen Werks aus Nonos Spätphase veröffentlicht wurde, hat mit der schwierigen Quellenlage der Kompositionen aus dieser Zeit zu tun, deren live-elektronische Parts – und damit die Basis für eine Anpassung der Werkwiedergabe in unterschiedlichen Räumlichkeiten – oft nur unzureichend fixiert waren und einer Anpassung an die Erfordernisse einer aktuellen Aufführung bedurften. Dass man das Stück in den vergangenen Jahren wieder vermehrt aufgeführt und so Erfahrungen für die Produktion der nun bei NEOS erschienene Aufnahme gesammelt hat, ist erfreulich und zeugt von der akribischen Vorbereitung. Damit reiht sich die Veröffentlichung nahtlos in die Reihe der in den vergangenen Jahren auf Tonträger gebannten Realisierungen von Nonos Werken ein und schließt eine empfindliche Lücke.
Im Grunde handelt es sich bei den ‚Risonanze erranti‘ um eine Art ‚Winterreise‘ – ein Vergleich, der durch den Untertitel ‚Liederzyklus‘ vollauf gerechtfertigt ist, obgleich die Musik nur aus der Ferne an einen solchen erinnert: eine zyklisch konzipierte Musik der Verzweiflung, wie sie Nono sonst niemals wieder formuliert hat. Wortfetzen, die sich auf unterschiedlichen Bahnen durch den Raum bewegen und zu Klangkomplexen werden, immer wieder zerschnitten von harten Schlägen der Bongos oder den hohen Tönen von Crotales und Piccolo, Fragmente einer Sprache – Nono wählt als Ausgangspunkt Herman Melville und Ingeborg Bachmann –, die ihre Inhalte nur in einzelnen Augenblicken preisgibt. Es ist die tiefe Stille zwischen den kurzzeitigen, manchmal aufschreiartigen Ausbrüchen, die den Hörer anzieht, aber auch das über Live-Elektronik erreichte Kreisen der Vokal- und Instrumentalklänge im Raum und der dadurch erzielte Aufbau einer klingenden Architektur: Hier entstehen Dank technisch durchdachter Realisierung magische Momente voller Subtilität, die selbst dann ihre Wirkung nicht verfehlen, wenn man sich die SACD nur mit einem Stereo-Abspielgerät anhört, und im Idealfall gar den Eindruck erwecken, als würde man tatsächlich einer Aufführung beiwohnen und inmitten der Klänge sitzen.
Die Einspielung setzt zudem auf einige Interpreten der ersten Stunde: Der nuancenreiche Gesang der Altistin Susanne Otto, manchmal zu Augenblicken höchster Konzentration verdichtet, hat noch immer nichts von seiner Faszination verloren, und Roberto Fabbriciani setzt seinen Flötenpart mit der ihm eigenen Kenntnis von Nonos Spätwerk um. Neu hinzugekommen ist der Tubist Klaus Burger, der sich, ebenso wie die Musiker der Percussions de Strasbourg, auf ideale Weise in die vom Experimentalstudio des SWR betreute und von Detlef Heusinger geleitete Wiedergabe einfügt. Letzterer hat sich mittlerweile so tief in die Musik eingearbeitet, so dass alle Reste von Unsicherheit, wie sie noch vor einigen Jahren in Live-Aufführungen des Werkes zu hören waren, auf der Strecke geblieben sind. Dadurch wird der Weg frei zur Entfaltung einer Schönheit und Fragilität, die ihn Nonos Schaffen einzigartig geblieben ist.
Als Ergänzung zu dem rund 40-minütigen Werk erweist sich Nonos ‚Post-Prae-Ludium per Donau‘ für Tuba und Live-Elektronik (1987) als erstklassige, ideale Wahl: Die Solokomposition, zur Zeit ihrer Uraufführung durch die geforderten neuen Anblastechniken und deren Kombination mit live-elektronischer Klangumwandlung ihren Interpreten mit völlig neuen Aufgabenstellungen konfrontierend, gehört mittlerweile zum Kernrepertoire der neueren Musik für Tuba. Burgers Umsetzung ist faszinierend: Der Musiker schafft eine Welt aus sensibel geformten, runden und oftmals auch sinnlichen Klängen, die er selbst in den extrem leisen Bereich mit enormer Präsenz erfüllt. Einen besseren Abschluss für diese Produktion hätte man sich nicht wünschen können.
Dr. Stefan Drees
http://magazin.klassik.com/reviews/reviews.cfm?TASK=REVIEW&RECID=21127&REID=12960
01.10.2011
10/2011
10/2011
Neue CDs mit Neuer Musik, abgehört von Max Nyffeler
Im fragmentarisierten, live-elektronisch transformierten Vokal- und Instrumentalklang der „Risonanze erranti“ (1986/87) von Luigi Nono klingt noch der „Prometeo“ nach.· Doch unter dem Einfluss der depressiv-nihilistischen Texte unter anderem von Ingeborg Bachmann und·Herman Melville wird nun die Werkstruktur bis an die Grenze der Selbstauflösung geführt.
Das Ensemble Experimental unter der Leitung von Detlef Heusinger spitzt die Kontraste entsprechend zu: Die stark in den Vordergrund gerückten Bongos knallen, die Dissonanzen schmerzen, die langen Pausen sind fast überlang.
Eine überdeutliche, technisch makellose Aufnahme aus dem EXPERIMENTALSTUDIO des SWR.
Das prozesshaft flackernde Tubasolo „Post-prae-ludium per Donau“ ist eine gute Ergänzung
26.09.2011
Zwei Werke aus dem Spätschaffen Luigi Nonos: bewegende musikalische Zeugnisse einer rastlosen Suche im schlechthin Unbekannten.
Weltweit erstmals auf Tonträger veröffentlicht: die 1986 in einer ersten, 1987 in dritter, definitiver Fassung entstandenen Risonanze erranti für tiefe Altstimme, Piccolo bzw. Bassflöte, Posaune bzw. Tuba, sechs Schlagzeuger und Live-Elektronik. Ein als „Liederzyklus“ apostrophiertes Meisterwerk im Nachklang unter anderem zur monumentalen „Tragödie des Hörens“ Prometeo, für welche Nonos Künstlerfreund, der Philosoph und Widmungsträger Massiomo Cacciari den Textcorpus zusammengestellt hatte. Dort hatte es zwischen insularen musikalischen Gebilden der Eindringlichkeit noch die Vorstellung realer Spuren einer weghaften Vernetzung gegeben; in den Risonanze erranti aber fehlt jede Stringenz eines Richtungswillens. Komponiert sind tatsächlich irrende, umherirrende Resonanzen – in vielerlei Weise kontrastierende Klangereignisse und stimmliche Evokationen in einem Meer aus Stille.
Trotz gelegentlicher Impulsattacken der Bongos oder markerschütternd greller Piccolo-Flatterzungen: die Anmutung des rund vierzig Minuten dauernden Werkes voller mythischer Echoräume und zeitverlorenen Nachlauschens trägt deutlich rituelle Züge. In den elektroakustisch vielschichtig verfremdeten Raum-Zeit-Koordinaten regen sich das Echo geschichtlicher Momente und der Vorschein künftiger Zeichen. Denn Nonos späte Musik lauscht vor allem nach vorn, ins Offene. Auch wenn sie – wie in den Risonanze erranti – dunkel getönt ist. Denn das Werk, dessen fragmentierter Gesang von Unglück und Ödnis, von Zweifel und Abgrund auf Wortsplittern aus der Lyrik von Herman Melville und Ingeborg Bachmann beruht, in dessen Struktur Tonsiegel aus Klageliedern von Machaut, Ockeghem, Josquin vorborgen sind, galt Nono als Winterreise „in meinem Herzen“. Freilich: eine Musik, welche wandernd im Horizont existenzieller Fragen nach dem Neuen, dem Unerhörten sucht, kann, nein: Muss bei erster Annäherung fremd wirken, manchem Hörer vielleicht sogar befremdlich. Wer sich dem Abendteuer allerdings stellt – und den fantastischen Interpreten, sowie der virtuosen live-Elektronik-Klangzauberern des Experimantalstudios des SWR ist unter Detlef Heusinger eine Aufnahme voller Präsenz und Augenblicksmagie geglückt, das Paradox einer Balance im dem Boden-, Himmel- und Richtungslosen – wird Erfahrungen machen, die nicht kalt lassen können.
Wie bereits im Titel angedeutet, hat auch das zweite aufgenommene Stück mit der Relativität von Zeitlichkeit zu tun: Klaus Burger, seines Zeichens Blechbläser der Ausnahmeklasse, realisierte Nonos 1987 in Donaueschingen uraufgeführtes Post-prae-ludium n.1 per Donau für Basstuba und Live-Elektronik. Ein Musizieren ohne Netz und doppelten Boden; Risiko, Wagnis, Konzentration des Gestaltens; und glückendes, beglückendes Eintauchen in ein Klangband inwendig voller Leben.
Helmut Rohm
http://www.br-online.de/br-klassik/cd-tipps/cd-aktuell-klassik-cd-luigi-nono-ID1317129861719.xml
15.09.2011
The biggest project of Luigi Nono’s last decade was the composition of Prometeo, the „tragedy for listening“ first performed in 1984. In the pieces that followed, up to his death in 1990, Nono built on the new world of electro-acoustic possibilities he had opened up in that work, and of those, perhaps the most extraordinary is Risonanze Erranti for contralto, bass flute, tuba, percussionists and live electronics, which first appeared in 1987, though Nono continued to revise the score for each subsequent performance. It has remained the most elusive of the late works, and this meticulous recording is its first appearance on disc.
Based on texts by Herman Melville (from his civil war Battle Pieces) and Ingeborg Bachmann (her poem Keine Delikatessen), as well as quoting fragments from 14th- and 15th-century songs by Machaut, Josquin and Ockeghem, Risonanze Erranti is an almost frighteningly bleak and austere work, in which every word seems suspended in its own time and space, and interspersed with sounds conjured from flute, tuba and the electronic transformations that envelope them, punctuated by fierce percussion attacks. Also from 1987, Post-prae-ludium Donau is very obviously a splinter from the same creative block, placing a solo tuba at the centre of a web of electronic refractions and echoes. Both works are strangely beautiful, mysterious and totally compelling.
Andrew Clements
http://www.guardian.co.uk/music/2011/sep/15/nono-risonanze-erranti-review
15.09.2011
RAUM AUS KLANG
Der mikroskopische Blick in die Tiefe des Klangs prägt das Spätwerk von Luigi Nono (+1992). Möglich geworden waren derlei Erkundungen durch die computergestützte live-elektronische Klangmanipulationen. Auf der vorliegenden CD wurde die Musik durch das Experimentalstudio des SWR realisiert, mit dem Nono schon in den 1980er Jahren eng zusammengearbeitet hat.
In dem 1986/87 entstandenen Risonanze erranti, das nun erstmals eingespielt wurde, setzt Nono einen tiefen Alt, eine Flöte und Tuba gegen ein Ensemble von fünf Schlagzeugern, wobei die Grundfarben über die Dauer des Ganzen Stückes klar identifizierbar bleiben. Dabei werden die durch Spieltechniken und Elektronik transformierten „Atemklänge“ von Singstimme und Bläsern mit oft harten, rhythmisch pointierten Einwürfen konfrontiert, die klare Zäsuren setzten.
Die Textur ist, wie meistens in Nonos Spätwerk, extrem reich in der Ausschöpfung von Klangfarben, dabei zugleich sehr ausgedünnt und fragmentiert. Einzelne Klangereignisse manifestieren sich für einen Augenblick, schweben im Raum, wandern umher, nehmen einen flüchtigen Kontakt mit anderen Elementen auf, um dann wieder in die Stille des Raumes hinein zu verklingen. Eine hintergründige Balance sorgt dafür, dass dieses Spiel irrender Resonanzen nicht auseinanderfällt. Trotz der relativ offenen Architektur entsteht eine Atmosphäre von ritualhafter Strenge, die Assoziationen an asiatisches Theater weckt, wobei die Klänge wie Personen auf- und abtreten.
Unterstützt wird dieser dramatische Eindruck durch die Expressivität, die Nono zu erzeugen versteht, indem er heftige Forte-Ausbrüche in Klangereignisse an der Schwelle zur Stille einbettet. Außerdem integriert er Bruchstücke polyphoner Renaissance-Kompositionen in die Musik. Diese ‚zerbrochenen Schönheiten‘ sorgen immer wieder für die vertraute rhetorische oder gestische Anmutung verlorener Belcanto-Welten.
Wesentlich abstrakter wirkt das 1987 entstandene Post-prae-ludium per Donau. Nono konzentriert sich hier auf die Tuba, deren elektronische Transformation sehr weitgehend ist. Ob es sich um Instrumental- oder Naturklänge oder gar menschlichen Gesang handelt, ist nicht immer mit Bestimmtheit zu sagen. Aus den Volumen und Schichtungen des Klangs formt Nono einen eigenen Klangraum, der in maritime Tiefen oder kosmische Weiten hineinzulauschen scheint. Am Ende verzehrt sich die Musik selbst in einem geheimnisvollen spektralen Leuchten.
Die Interpretationen durch das Ensemble Experimental, Les Percussions de Strasbourg und die Tontechniker des Experimentalstudios des SWR sind in ihrer Verbindung von ausdrucksvoller Strenge und sinnlicher Abstraktion mustergültig.
Georg Henkel
http://www.musikansich.de/review.php?id=10508
Preis der deutschen Schallplattenkritik 4/2011 für Luigi Nono
Die Juroren der Vereinigung „Preis der deutschen Schallplattenkritik“ zeichnen die NEOS-Produktion „Luigi Nono: Risonanze erranti, Post-prae-ludium per Donau.“ NEOS 11119 durch die Aufnahme in die Bestenliste 4/2011 aus.
Lange Passagen der Stille, plötzliche Ausbrüche, im Raum wandernde Resonanzen: Luigi Nonos „Risonanze erranti“ erkunden Grenzbereiche des Hörens
(Für die Jury Thomas Meyer)
Auszeichnungen & Erwähnungen:
12/2011
6/2011
20.10.2011
Die Schönheit der Verzweiflung
Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert:
Booklet:
25 Jahre sind mittlerweile seit der Uraufführung der ersten Version von Luigi Nonos Komposition ‚Risonanze erranti‘ für Mezzosopran, Flöte, Tuba, sechs Schlagzeuger und Live-Elektronik (1986/87) im Jahr 1986 vergangen. Dass es genau so lange gedauert hat, bis erstmals eine Einspielung dieses zentralen Werks aus Nonos Spätphase veröffentlicht wurde, hat mit der schwierigen Quellenlage der Kompositionen aus dieser Zeit zu tun, deren live-elektronische Parts – und damit die Basis für eine Anpassung der Werkwiedergabe in unterschiedlichen Räumlichkeiten – oft nur unzureichend fixiert waren und einer Anpassung an die Erfordernisse einer aktuellen Aufführung bedurften. Dass man das Stück in den vergangenen Jahren wieder vermehrt aufgeführt und so Erfahrungen für die Produktion der nun bei NEOS erschienene Aufnahme gesammelt hat, ist erfreulich und zeugt von der akribischen Vorbereitung. Damit reiht sich die Veröffentlichung nahtlos in die Reihe der in den vergangenen Jahren auf Tonträger gebannten Realisierungen von Nonos Werken ein und schließt eine empfindliche Lücke.
Im Grunde handelt es sich bei den ‚Risonanze erranti‘ um eine Art ‚Winterreise‘ – ein Vergleich, der durch den Untertitel ‚Liederzyklus‘ vollauf gerechtfertigt ist, obgleich die Musik nur aus der Ferne an einen solchen erinnert: eine zyklisch konzipierte Musik der Verzweiflung, wie sie Nono sonst niemals wieder formuliert hat. Wortfetzen, die sich auf unterschiedlichen Bahnen durch den Raum bewegen und zu Klangkomplexen werden, immer wieder zerschnitten von harten Schlägen der Bongos oder den hohen Tönen von Crotales und Piccolo, Fragmente einer Sprache – Nono wählt als Ausgangspunkt Herman Melville und Ingeborg Bachmann –, die ihre Inhalte nur in einzelnen Augenblicken preisgibt. Es ist die tiefe Stille zwischen den kurzzeitigen, manchmal aufschreiartigen Ausbrüchen, die den Hörer anzieht, aber auch das über Live-Elektronik erreichte Kreisen der Vokal- und Instrumentalklänge im Raum und der dadurch erzielte Aufbau einer klingenden Architektur: Hier entstehen Dank technisch durchdachter Realisierung magische Momente voller Subtilität, die selbst dann ihre Wirkung nicht verfehlen, wenn man sich die SACD nur mit einem Stereo-Abspielgerät anhört, und im Idealfall gar den Eindruck erwecken, als würde man tatsächlich einer Aufführung beiwohnen und inmitten der Klänge sitzen.
Die Einspielung setzt zudem auf einige Interpreten der ersten Stunde: Der nuancenreiche Gesang der Altistin Susanne Otto, manchmal zu Augenblicken höchster Konzentration verdichtet, hat noch immer nichts von seiner Faszination verloren, und Roberto Fabbriciani setzt seinen Flötenpart mit der ihm eigenen Kenntnis von Nonos Spätwerk um. Neu hinzugekommen ist der Tubist Klaus Burger, der sich, ebenso wie die Musiker der Percussions de Strasbourg, auf ideale Weise in die vom Experimentalstudio des SWR betreute und von Detlef Heusinger geleitete Wiedergabe einfügt. Letzterer hat sich mittlerweile so tief in die Musik eingearbeitet, so dass alle Reste von Unsicherheit, wie sie noch vor einigen Jahren in Live-Aufführungen des Werkes zu hören waren, auf der Strecke geblieben sind. Dadurch wird der Weg frei zur Entfaltung einer Schönheit und Fragilität, die ihn Nonos Schaffen einzigartig geblieben ist.
Als Ergänzung zu dem rund 40-minütigen Werk erweist sich Nonos ‚Post-Prae-Ludium per Donau‘ für Tuba und Live-Elektronik (1987) als erstklassige, ideale Wahl: Die Solokomposition, zur Zeit ihrer Uraufführung durch die geforderten neuen Anblastechniken und deren Kombination mit live-elektronischer Klangumwandlung ihren Interpreten mit völlig neuen Aufgabenstellungen konfrontierend, gehört mittlerweile zum Kernrepertoire der neueren Musik für Tuba. Burgers Umsetzung ist faszinierend: Der Musiker schafft eine Welt aus sensibel geformten, runden und oftmals auch sinnlichen Klängen, die er selbst in den extrem leisen Bereich mit enormer Präsenz erfüllt. Einen besseren Abschluss für diese Produktion hätte man sich nicht wünschen können.
Dr. Stefan Drees
http://magazin.klassik.com/reviews/reviews.cfm?TASK=REVIEW&RECID=21127&REID=12960
01.10.2011
10/2011
10/2011
Neue CDs mit Neuer Musik, abgehört von Max Nyffeler
Im fragmentarisierten, live-elektronisch transformierten Vokal- und Instrumentalklang der „Risonanze erranti“ (1986/87) von Luigi Nono klingt noch der „Prometeo“ nach.· Doch unter dem Einfluss der depressiv-nihilistischen Texte unter anderem von Ingeborg Bachmann und·Herman Melville wird nun die Werkstruktur bis an die Grenze der Selbstauflösung geführt.
Das Ensemble Experimental unter der Leitung von Detlef Heusinger spitzt die Kontraste entsprechend zu: Die stark in den Vordergrund gerückten Bongos knallen, die Dissonanzen schmerzen, die langen Pausen sind fast überlang.
Eine überdeutliche, technisch makellose Aufnahme aus dem EXPERIMENTALSTUDIO des SWR.
Das prozesshaft flackernde Tubasolo „Post-prae-ludium per Donau“ ist eine gute Ergänzung
26.09.2011
Zwei Werke aus dem Spätschaffen Luigi Nonos: bewegende musikalische Zeugnisse einer rastlosen Suche im schlechthin Unbekannten.
Weltweit erstmals auf Tonträger veröffentlicht: die 1986 in einer ersten, 1987 in dritter, definitiver Fassung entstandenen Risonanze erranti für tiefe Altstimme, Piccolo bzw. Bassflöte, Posaune bzw. Tuba, sechs Schlagzeuger und Live-Elektronik. Ein als „Liederzyklus“ apostrophiertes Meisterwerk im Nachklang unter anderem zur monumentalen „Tragödie des Hörens“ Prometeo, für welche Nonos Künstlerfreund, der Philosoph und Widmungsträger Massiomo Cacciari den Textcorpus zusammengestellt hatte. Dort hatte es zwischen insularen musikalischen Gebilden der Eindringlichkeit noch die Vorstellung realer Spuren einer weghaften Vernetzung gegeben; in den Risonanze erranti aber fehlt jede Stringenz eines Richtungswillens. Komponiert sind tatsächlich irrende, umherirrende Resonanzen – in vielerlei Weise kontrastierende Klangereignisse und stimmliche Evokationen in einem Meer aus Stille.
Trotz gelegentlicher Impulsattacken der Bongos oder markerschütternd greller Piccolo-Flatterzungen: die Anmutung des rund vierzig Minuten dauernden Werkes voller mythischer Echoräume und zeitverlorenen Nachlauschens trägt deutlich rituelle Züge. In den elektroakustisch vielschichtig verfremdeten Raum-Zeit-Koordinaten regen sich das Echo geschichtlicher Momente und der Vorschein künftiger Zeichen. Denn Nonos späte Musik lauscht vor allem nach vorn, ins Offene. Auch wenn sie – wie in den Risonanze erranti – dunkel getönt ist. Denn das Werk, dessen fragmentierter Gesang von Unglück und Ödnis, von Zweifel und Abgrund auf Wortsplittern aus der Lyrik von Herman Melville und Ingeborg Bachmann beruht, in dessen Struktur Tonsiegel aus Klageliedern von Machaut, Ockeghem, Josquin vorborgen sind, galt Nono als Winterreise „in meinem Herzen“. Freilich: eine Musik, welche wandernd im Horizont existenzieller Fragen nach dem Neuen, dem Unerhörten sucht, kann, nein: Muss bei erster Annäherung fremd wirken, manchem Hörer vielleicht sogar befremdlich. Wer sich dem Abendteuer allerdings stellt – und den fantastischen Interpreten, sowie der virtuosen live-Elektronik-Klangzauberern des Experimantalstudios des SWR ist unter Detlef Heusinger eine Aufnahme voller Präsenz und Augenblicksmagie geglückt, das Paradox einer Balance im dem Boden-, Himmel- und Richtungslosen – wird Erfahrungen machen, die nicht kalt lassen können.
Wie bereits im Titel angedeutet, hat auch das zweite aufgenommene Stück mit der Relativität von Zeitlichkeit zu tun: Klaus Burger, seines Zeichens Blechbläser der Ausnahmeklasse, realisierte Nonos 1987 in Donaueschingen uraufgeführtes Post-prae-ludium n.1 per Donau für Basstuba und Live-Elektronik. Ein Musizieren ohne Netz und doppelten Boden; Risiko, Wagnis, Konzentration des Gestaltens; und glückendes, beglückendes Eintauchen in ein Klangband inwendig voller Leben.
Helmut Rohm
http://www.br-online.de/br-klassik/cd-tipps/cd-aktuell-klassik-cd-luigi-nono-ID1317129861719.xml
15.09.2011
The biggest project of Luigi Nono’s last decade was the composition of Prometeo, the „tragedy for listening“ first performed in 1984. In the pieces that followed, up to his death in 1990, Nono built on the new world of electro-acoustic possibilities he had opened up in that work, and of those, perhaps the most extraordinary is Risonanze Erranti for contralto, bass flute, tuba, percussionists and live electronics, which first appeared in 1987, though Nono continued to revise the score for each subsequent performance. It has remained the most elusive of the late works, and this meticulous recording is its first appearance on disc.
Based on texts by Herman Melville (from his civil war Battle Pieces) and Ingeborg Bachmann (her poem Keine Delikatessen), as well as quoting fragments from 14th- and 15th-century songs by Machaut, Josquin and Ockeghem, Risonanze Erranti is an almost frighteningly bleak and austere work, in which every word seems suspended in its own time and space, and interspersed with sounds conjured from flute, tuba and the electronic transformations that envelope them, punctuated by fierce percussion attacks. Also from 1987, Post-prae-ludium Donau is very obviously a splinter from the same creative block, placing a solo tuba at the centre of a web of electronic refractions and echoes. Both works are strangely beautiful, mysterious and totally compelling.
Andrew Clements
http://www.guardian.co.uk/music/2011/sep/15/nono-risonanze-erranti-review
15.09.2011
RAUM AUS KLANG
Der mikroskopische Blick in die Tiefe des Klangs prägt das Spätwerk von Luigi Nono (+1992). Möglich geworden waren derlei Erkundungen durch die computergestützte live-elektronische Klangmanipulationen. Auf der vorliegenden CD wurde die Musik durch das Experimentalstudio des SWR realisiert, mit dem Nono schon in den 1980er Jahren eng zusammengearbeitet hat.
In dem 1986/87 entstandenen Risonanze erranti, das nun erstmals eingespielt wurde, setzt Nono einen tiefen Alt, eine Flöte und Tuba gegen ein Ensemble von fünf Schlagzeugern, wobei die Grundfarben über die Dauer des Ganzen Stückes klar identifizierbar bleiben. Dabei werden die durch Spieltechniken und Elektronik transformierten „Atemklänge“ von Singstimme und Bläsern mit oft harten, rhythmisch pointierten Einwürfen konfrontiert, die klare Zäsuren setzten.
Die Textur ist, wie meistens in Nonos Spätwerk, extrem reich in der Ausschöpfung von Klangfarben, dabei zugleich sehr ausgedünnt und fragmentiert. Einzelne Klangereignisse manifestieren sich für einen Augenblick, schweben im Raum, wandern umher, nehmen einen flüchtigen Kontakt mit anderen Elementen auf, um dann wieder in die Stille des Raumes hinein zu verklingen. Eine hintergründige Balance sorgt dafür, dass dieses Spiel irrender Resonanzen nicht auseinanderfällt. Trotz der relativ offenen Architektur entsteht eine Atmosphäre von ritualhafter Strenge, die Assoziationen an asiatisches Theater weckt, wobei die Klänge wie Personen auf- und abtreten.
Unterstützt wird dieser dramatische Eindruck durch die Expressivität, die Nono zu erzeugen versteht, indem er heftige Forte-Ausbrüche in Klangereignisse an der Schwelle zur Stille einbettet. Außerdem integriert er Bruchstücke polyphoner Renaissance-Kompositionen in die Musik. Diese ‚zerbrochenen Schönheiten‘ sorgen immer wieder für die vertraute rhetorische oder gestische Anmutung verlorener Belcanto-Welten.
Wesentlich abstrakter wirkt das 1987 entstandene Post-prae-ludium per Donau. Nono konzentriert sich hier auf die Tuba, deren elektronische Transformation sehr weitgehend ist. Ob es sich um Instrumental- oder Naturklänge oder gar menschlichen Gesang handelt, ist nicht immer mit Bestimmtheit zu sagen. Aus den Volumen und Schichtungen des Klangs formt Nono einen eigenen Klangraum, der in maritime Tiefen oder kosmische Weiten hineinzulauschen scheint. Am Ende verzehrt sich die Musik selbst in einem geheimnisvollen spektralen Leuchten.
Die Interpretationen durch das Ensemble Experimental, Les Percussions de Strasbourg und die Tontechniker des Experimentalstudios des SWR sind in ihrer Verbindung von ausdrucksvoller Strenge und sinnlicher Abstraktion mustergültig.
Georg Henkel
http://www.musikansich.de/review.php?id=10508
Im März 2018 erschien dieser Artikel, in dem Dr. Hartmut Hein Andreas Skouras‘ Einspielung der Klavierwerke Kalevi Ahos mit der von Sonja Fräkis aus dem Jahr 2014 vergleicht: https://magazin.klassik.com/reviews/reviews.cfm?TASK=REVIEW&RECID=32221&REID=17601
08/17
Kalevi Aho (geb. 1949) ist vor allem als Schöpfer von Orchesterwerken ein Begriff (16 Sinfonien!), sein Œuvre für Klavier ist vergleichsweise schmal geblieben. Seltsam angesichts der Qualität, die sich in Andreas Skouras‘ fast vollständigem Überblick zeigt.
Gewichtiges und Aphoristisches halten sich hier die Waage, auch insofern als Bedeutendes immer zugänglich klingt und die „Kleinigkeiten“ unerwartete Abgründe öffnen können. Das liegt nicht zuletzt an den so differenziert klangsinnlichen wie rhythmisch zupackenden Interpretationen von Skouras. Die dreisätzige „Sonata“ (1980) und das „Solo II“ (1985) verlangen alles, was ein avancierter Pianist an Virtuosität und expressivem Gestaltungsvermögen aufbieten kann. Sie schwanken zwischen lyrischem Innehalten und vorwärtstreibender Motorik, präsentieren schillernde harmonische Schwebezustände und orchestrales Denken in komplexer Rhythmik. Das Prestissimo der Sonate endet in heftigen Clusterentladungen, das raumgreifende Tranquillo molto beginnt mit stillen Klanginseln und mündet in Liszt’schen Orchesterevokationen.
Die Ersteinspielung des etwas altbackenen „Halla“ für Violine und Klavier (1992) hingegen präsentiert eine elegisch-verklärte Zwiesprache in nächtlichen Klangvaleurs.
Auch die bescheidener angelegten Stücke haben es in sich: Die „Three Small Piano Pieces“ (1971) scheinen mit ausgebeinter Faktur und sardonischen Zwischentönen Schostakowitsch die Ehre zu erweisen; die „Two Easy Piano Pieces for Children“ (1983) verstecken im lustigen Scherzo-Gewand bizarre Gewaltausbrüche.
Bemerkenswert auch die „19 Preludes“ (1965-68), die das enorme Talent des damals 16-jährigen Komponisten an den Tag legen. Der Zyklus ist zwar noch deutlich an spätromantische Vorbilder angelehnt, beinhaltet jedoch ungemein reife, ausdrucksstarke Eingebungen, die im „Grave“ tödlichen Ernst ausstrahlen können.
Dirk Wieschollek
07 / 2017
[…] „Sonata“ (1980) und „Solo“ (1985) verlangen alles, was ein avancierter Pianist an Virtuosität und expressivem Gestaltungsvermögen so aufbieten kann. Das „Prestissimo“ der „Sonate“ endet in heftigen Clusterentladungen, das raumgreifende „Tranquillo molto“ beginnt still und mündet in Liszt’schen Orchesterevokationen. Auch die bescheidener angelegten Stücke haben es in sich. […] Andreas Skouras‘ Interpretationen sind klanglich differenziert und rhythmisch zupackend.
Dirk Wieschollek
07 / 2017
22.06.2017, SZ- Extra
CD-Tipp
Andreas Skouras beginnt seine spannende CD, die das Klavierwerk des 1949 geborenen renommierten finnischen Komponisten Kalevi Aho enthält, mit seinem gewichtigsten und in jeder Hinsicht anspruchsvollsten Werk, der „Sonata“ von 1980. Sie klingt kontrastreich und farbig wie ein riesiges dreisätzigen Orchesterstück. Er endet mit frühen Préludes des 16- bis 19-Jährigen, die einen schönen Einblick in die Entwicklung des Musikers bieten und ein guter Einstieg für den Hörer sind. Dazwischen gibt es eine feine Sonatina (1993), witzige kleine Stücke sowie „Halla“ für Violine und Klavier.
Klaus Kalchschmid