Infotext:
ROBERT HP PLATZ: KLAVIERSTÜCKE Robert HP Platz verfolgt ein stringentes künstlerisches Konzept. Alle seit 1989 geschriebenen Stücke fügen sich in einen ›integralen‹ Werkkomplex ein, in dem jeder Baustein zwar für sich eigenständig ist und separat aufgeführt werden kann, jedoch im Hinblick auf seine Einbindung in ein übergeordnetes ›formpolyphones‹ Gewebe entworfen wird. Auch Platz’ Klaviermusik ist in diesen Prozess einbezogen, zumal er sie als Brennglas begreift, in dem sich kompositorische Entwicklungslinien bündeln und konzentrieren. Bereits in trail von 1981 zeichnen sich formpolyphone Tendenzen ab, setzte sich Platz in diesem Klavierstück 1 doch mit dem von Chemie-Nobelpreisträger Manfred Eigen generierten ›Hyperzyklus‹ auseinander – einem universalen Erklärungsmodell für die Steuerung genetischer Codes, das von einer komplizierten Struktur ausgeht, in der verschiedene Systeme um Vorherrschaft ringen, sich aber auch gegenseitig ergänzen. In dem ausgedehnten und virtuosen trail (Pfad) konstituierte Platz sieben hochgradig individualisierte ›Teilmusiken‹, die sich nach dem Vorbild des ›Hyperzyklus‹ spitzfindig durchdringen. Dramatisches Potenzial entfaltet auch das Klavierstück 2 von 1984, dessen formale Anlage im Sinne eines Kondensats von dem unvollendeten Opernprojekt Verkommenes Ufer abgeleitet ist. Instrumentalpart und Zuspielband basieren zwar auf einem Materialkern, kontrastieren aber auf klanglicher Ebene stark – als würden grelle Leuchtfarben wie schillernde Traumsequenzen in den herben Klangraum der schwarzen und weißen Tasten eindringen. Ganz auf den Klavierklang beschränkt bleiben dagegen Klavierstück 3 (1988) und Klavierstück 4 (1997/98) – wobei Platz generell auf Tonerzeugung im Klavierinnenraum verzichtet. Während Klavierstück 3 im Kontext der Ensemblekomposition from fear of thunder, dreams … entstand und sich im Spannungsfeld aus schneidenden Akkorden und fliehendem Duktus ausbreitet, ist up (Klavierstück 4) ein Segment des Zyklus up down strange charm. ›up‹ steht für Steigerung und Aufwärtsbewegung, was sich in einem reißenden Strom quirliger Klangfigurationen – changierend zwischen konstruktiver Strenge und gestischer Impulsivität – versinnbildlicht. Seinem Titel in jeder Hinsicht gerecht wird auch Unter Segel (Klavierstück 5) von 2007, wo in einer ›Studie‹ und den ›Ebenen I bis V‹ lyrische Verinnerlichung, federnde Leichtigkeit und subtile klangliche Auflösungsprozesse wundersam ineinander aufgehen. Egbert Hiller |
Programm:
35:24 ›trail‹ Klavierstück 1 (1981)
[01] 14:43 Takt 1
[02] 04:00 Takt 115
[03] 07:19 Takt 138
[04] 02:01 Takt 170
[05] 02:43 Takt 185
[06] 01:06 Takt 192
[07] 03:32 Takt 195
09:54 Klavierstück 2 (1984)
[08] 05:17 Teil 1
[09] 04:37 Teil 2
Tape: EXPERIMENTALSTUDIO SWR
[10] 09:02 Klavierstück 3 (1988)
[11] 07:55 ›up‹ Klavierstück 4 (1997/98)
12:21 ›Unter Segel‹ Klavierstück 5 (2007)
[12] 01:42 I. Studie
[13] 02:42 II. Ebene I
[14] 03:10 III. Ebene II
[15] 01:38 IV. Ebene III
[16] 00:58 V. Ebene IV
[17] 02:13 VI. Ebene V
Gesamt: 74:50
Rolf Hind, Klavier
Pressestimmen:
03-04/2010
18.01.2010
Teile des Ganzen
Robert HP Platz, geboren 1951 in Baden-Baden, ist als Dirigent und Komponist gleichermaßen bekannt geworden. Da er auf der hier zur Besprechung gelangenden Platte als Komponist zu erleben ist, sei dieser Aspekt seiner Biographie eingehender beleuchtet. Platz’ Kompositionslehrer waren Wolfgang Fortner (Freiburg) und ab 1973 Karlheinz Stockhausen in Köln; ein Computer-Kompositionskurs am Pariser IRCAM 1980 rundete seine Ausbildung ab. Das Oeuvre von Robert HP Platz ist in seiner Anlage sehr ungewöhnlich – zumindest seit 1989, als der Komponist begann, jede komponierte Note als Teil eines ‚Gesamtwerks’ zu begreifen, ein Gesamtwerk, das tagebuchartig anwächst und entsprechend fragmentarisch und sprunghaft ist. Die vorliegende Produktion des Labels NEOS ist geeignet, sich eingehender mit dem Komponisten Platz zu befassen, denn sie bietet ausschließlich Werke aus seiner Feder, die mit den Entstehungsjahren 1981 bis 2007 zudem quasi das gesamte schöpferische Leben abdecken und somit einen repräsentativen Querschnitt bilden. Da es sich ausschließlich um Klaviermusik handelt, bleiben die Werke zudem vergleichbar. Perfekte Laborbedingungen also!
Klavierstücke
Robert HP Platz hat fünf Kompositionen für Klavier geschrieben, die er stets schlicht ‚Klavierstück’ nennt (so unterschiedlich sie auch sein mögen), bisweilen durch einen ‚Untertitel’ präzisiert. ‚Klavierstück 1’ mit dem Titel ‚trail’ entstand 1981 – das Stück dauert mit seinen 35 ½ Minuten fast so lang, wie die anderen Klavierstücke zusammen. Hier – das hört man bald – ist ein Komponist zugange, der weiß, was er will, der radikal sein Kunstkonzept verfolgt und keinerlei Rücksicht auf den Hörer nimmt. Das gilt für die anderen Stücke gleichermaßen, wenn auch mit der Zeit eine gewisse Besänftigung eingetreten zu sein scheint. ‚Klavierstück 1’ spielt jedoch aus anderer Sicht eine besondere Rolle: die beiden folgenden Klavierstücke (1984/1988, ohne nähere Titel) sind im Prinzip Nebenprodukte der Arbeit an größeren Werken (‚Klavierstück 2’ bezieht zudem ein Zuspielband ein), ‚Klavierstück 4’ mit dem Titel ‚up’ (1997/98) und das ‚Unter Segel’ getaufte ‚Klavierstück 5’ von 2007 schließlich gehören der erwähnten Schaffensphase an, wo es keine ‚Einzelwerke’ mehr gibt. ‚up’ entstammt dem Zyklus ‚up down strange charm’ (das sind Erscheinungsformen der atomaren Bausteine Quarks). ‚trail’ ist demnach die einzige eigenständige und von Anfang an als solche geplante Klavierkomposition von Robert HP Platz.
Neue-Musik-Experte
Der in London geborene Pianist Rolf Hind genießt den Ruf, Fachmann für die pianistische Wiedergabe Neuer Musik zu sein – schon allein aus diesem Gesichtspunkt hat man mit ihm eine sehr gute Wahl getroffen. Für Hind scheinen die technischen Hürden dieser Musik ebenso wenig zu existieren wie solche der gestalterischen Meisterung der sperrigen Klangwelten Platz’. Immer wieder wird Hinds Spiel verhalten, zart, fast verträumt – das zeugt von seiner intensiven Beschäftigung und technischen Meisterschaft; viele andere hätten sich wohl damit begnügt, die Sache überhaupt halbwegs passabel in den Kasten zu bekommen. Konkurrenz hatte Hind bislang nicht zu fürchten – es handelt sich ausnahmslos um Ersteinspielungen – und wird es angesichts des Referenzcharakters wohl auch in naher Zukunft nicht müssen. Das Instrument wurde zudem sehr gut aufgenommen, ohne jedoch alles aus den Möglichkeiten der SACD herauszukitzeln. Der Klang ist zwar kristallklar und natürlich, insbesondere im ‚Klavierstück 2’ mit Tonband wäre aber eine deutlichere Trennung der Kanäle in der Mehrkanalwiedergabe möglich gewesen.
Tradition und Moderne
Zwar verzichtet Platz auf neuartige Spielweisen des Klaviers, etwa das Spiel direkt auf den Saiten oder deren Präparierung, dafür ist die Klangsprache selbst aber umso radikaler. Man spürt, dass es dem Komponisten weder 1981 noch 2007 darum geht, den Hörer für sich einzunehmen. Der klar konturierte Klavierklang ist das Mittel, abstrakte Strukturen Klang werden zu lassen. So zerfällt das bildlich betitelte ‚Unter Segel’ in wenig aussagekräftige Teile wie die eröffnende ‚Studie’ und ihr folgende ‚Ebenen’. Da hilft auch der im Booklet angestellte Vergleich zu Schumanns ‚Kinderszenen’ nicht viel weiter. Man sollte sein Ohr auf Neue Musik justiert haben, bevor man sich an diese Platte wagt, denn ansonsten stellt sich allzu rasch Ermüdung ein. Daran ist auch das dürftige Booklet nicht unschuldig, dessen Text sich – statt einen Zugang zu schaffen – eher hinter nebulösen Formulierungen versteckt; das gilt insbesondere für den deutschen Teil, der bei der Lektüre auf jeden Fall durch den handfesteren, allerdings auch alles andere als erschöpfenden englischen Text ergänzt werden sollte.
Christian Vitalis
Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert:
Booklet:
Positionen achtzig, August 2009, Seite 56
(…) Auf Naturerscheinungen beziehen sich die Kompositionen von Robert HP Platz auf der CD Piano Pieces, jedoch nicht nur in beschreibender, sondern in weit reflektierterer und komplizierterer Weise: Komplexe Modelle aus der Chemie, Physik und Astronomie sind Vorbild für die kompositorischen Strukturen vieler seiner Werke. Aber auch ohne solche Hintergrundinformationen sind alle seine Stücke spannend anzuhören, nicht zuletzt Dank der hervorragenden Interpretation des Pianisten Rolf Hind.
Karolin Schmitt/Daniel Osorio
06/09
03.10.2008
His music is hardly known at all in Britain, but on the other side of the North sea, Robert HP Platz is highly regarded as both a composer and a conductor.
Born in 1951, Platz studied in Cologne with Stockhausen, but unlike many German composers of his generation he has remained faithful to that modernist aesthetic. His recent music has been conceived in a continuous chain, so that while all his works may be performed separately, they can also be overlapped with previous or succeeding pieces, or in some cases even played simultaneously.
The five piano pieces Rolf Hind plays so scrupulously and elegantly here range across more than a quarter of a century of Platz’s development; the fifth was composed just last year. The first, subtitled Trail, is at 35 minutes by far the longest in the series, and the one most indebted to Stockhausen’s own piano music of the 1950s and 60s, while the second, which uses prerecorded tape, has a slightly dated 1980s feel.
But the later works reveal a more distinctive musical personality, especially Piano Piece 5, Unter Segel, an introspective sequence of six miniatures woven into a single, lingering musical strand.
Andrew Clements
6/08
Haste Töneÿ
Raoul Mörchen stellt Neuerscheinungen mit zeitgenössischer Musik vor
Infopaket für Presse und Vertriebe »
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