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WERKSTATTNOTIZEN Die Arbeit an der Plainsound Glissando Modulation war ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang, kein Routine-Fall der Neuen Musik. Sie forderte zähe Geduld und den ständigen Umgang mit der eigenen Unvollkommenheit. Die Zerbrechlichkeit des Materials führte zunächst in Bereiche unüberwindbar scheinender technischer Probleme, bald aber forderte sie sensuelle Verfeinerungen des Instrumentalspiels und des Hörens heraus. Die Proben gestalteten sich als Exerzitien der Langsamkeit. Neue Intervalle und Akkorde besaßen auf Anhieb große Verführungskraft, ebenso das bewusste und sinnliche Erleben der Differenztöne und Obertonkonsonanzen. Die grifftechnische Grundlage war mit unglaublicher Akribie recherchiert und damit von vornherein überzeugend – ›eigentlich‹ sollte es gehen. Das Suchen nach den richtigen Intervallen: kein Herumstochern im atonalen Raum, sondern ständiges Finden, Einrasten, Aha-Erlebnis, einhergehend mit herzklopfender Faszination. Immer waren es die Klänge selbst, die Recht hatten – unsere Aufgabe bestand nur darin, ihnen nicht im Wege zu stehen. Rein gestimmte Intervalle sind in jeder Musik ohnehin das schönste, hier nun konnten viele neue Bekanntschaften geschlossen werden, die Intervalle mit dem 7., 11., 13., 17. und 19. Oberton. Um sie sicher identifizieren zu können, hat der Komponist die durch sie entstehenden Differenztöne und Obertonkonsonanzen ganz genau in der Partitur notiert. Sie sind es, welche die harmonische ›Signifikanz‹ des jeweiligen Klanges bestimmen. Alle neuen Intervalle haben ihre unverwechselbaren Gesichter, deren Charaktere man erst im Laufe der Probenarbeit zu lieben oder fürchten lernt. Dieser Zaubergarten von Klängen kennt kein Ungefähr. Es gibt keine Meinungsverschiedenheiten über die Intonation von Dur-Terzen oder Leittönen, wie sie Musiker sonst erleben, wenn sie die Unstetigkeitsstellen des temperierten Systems auszugleichen versuchen. Die Plainsound Glissando Modulation bietet in ihrer Kompromisslosigkeit beiden Spielern zugleich eine strenge Intonationsschule mit heilsamer Rückwirkung auf das klassische Instrumentalspiel. Darin unterscheidet sie sich von vielen Werken der Neuen Musik. Sie entfaltet ein erweitertes und kontinuierliches Ausdrucksspektrum: von aufblühenden Konsonanzen über stetig rauer werdende Klänge, zu scharfen Dissonanzen, bis hinein in geräuschhafte Zonen. Beide Parts stellen die Spieler vor ungeahnte technische Herausforderungen. Die Kontrabass-Stimme besteht aus einem Gewebe von Flageolett-Tönen, die melodisch oder/und innerhalb von Doppelgriffen erklingen sollen. Der Komponist bedient sich der verfügbaren, sehr eng beieinander liegenden natürlichen Flageolett-Töne der leeren Saiten – vom zweiten bis einundzwanzigsten. Der Spieler ist gefordert, eine möglichst große Sicherheit ihrer Ansprache zu erreichen. Je höher der gewünschte Ton, desto riskanter seine Ansprache. Drückt man an den Stellen benachbarter Flageoletts die Saite gegen das Griffbrett, gewinnt man Basstöne, die zueinander sehr leicht verschoben sind, deren Tonhöhen aber immer in einem konsonanten Verhältnis zu ›ihrem‹ Flageolett-Ton stehen. Auf diese Weise ›konstruiert‹ der Komponist innerhalb eines Ganztonintervalls bis zu zwölf verschiedene Tonhöhen, die trotz ihrer extremen Nähe zueinander alle exakt eingestimmt werden können. Diese Basstöne bilden über alle sechs Regionen des Stücks hinweg, vom Sattel bis zur Saitenmitte, ein extrem langsames, mikrotonal abgestuftes Oktav-Glissando, welches das konzeptionelle Rückgrat des Werkes bildet. Die Kontrabass-Flageolette, was für ein Zoo von eigenwilligen kleinen Wesen! Einige sind gutmütig, manche eher kapriziös oder bockig, einige wollen geradezu auf Knien gebeten werden, andere drängeln sich gerne ungebeten auf die Bühne. In dieser Musik benimmt sich das Instrument wie eine wetterfühlige Diva. Um die Töne jenseits des 11. Obertons zuverlässig zugänglich zu machen, mussten die dünnsten Stahlsaiten und der leichteste Bogen eingesetzt werden. Im Kampf gegen die Fragilität der Naturtöne mussten unterschiedlichste Kolophonium-Sorten verwendet werden. Dem Geiger bleiben Hürden dieser Art zwar erspart, dafür muss er – den Dimensionen seines Griffbretts entsprechend – geradezu mikroskopische Sensibilitäten entwickeln. Die häufige Kombination von Flageoletts und normal gegriffenen Tönen als Doppelgriff fordert das Tastgefühl der Finger aufs Äußerste heraus. Da er seine Klänge nicht aus vorgeschriebenen Griffen ableiten kann, hängt der Geiger quasi in der Luft, denn er muss sie ausschließlich über das Gehör intonieren. Mit der Glissando Modulation verlässt Wolfgang von Schweinitz das Prinzip fester Skalen und Tonleitern zugunsten einer flexiblen Anordnung verwandter Obertonreihen, indem er nach dem Urprinzip des harmonischen Modulierens von einer zur nächsten gelangt. So kann beispielsweise der 5. Oberton des einen Klanges zum 11. des nächsten werden. Moduliert nun die Musik auf diese Art, entstehen sofort erhebliche Abweichungen vom traditionellen ›Weltgebäude‹ der zwölfstufigen temperierten Stimmung. Somit ist der Tonvorrat im Prinzip unbegrenzt. Die reine Stimmung offenbart weichere, anrührendere Konsonanzen, andererseits aber auch wesentlich schärfere Dissonanzen als die früheren tonalen und atonalen Konzepte der temperierten Musik. Wir haben es mit der ersten konsequent durchdachten mikrotonalen Funktionsharmonik zu tun. Hier treten Konsonanz und Dissonanz nicht mehr als Gegensatzpaar auf, sondern sie bilden durch ihre Vervollständigung einen kontinuierlichen Übergang. Der historisch unbeständige Grenzverlauf zwischen beiden war stets ästhetisch oder stimmungstechnisch bedingten Kriterien unterworfen, hier nun hat das akustische Prinzip der Konsonanz offensichtlich an Boden gewonnen. Als mögliche Neu-Definition schlägt Wolfgang von Schweinitz vor: Klänge können als konsonant gelten, wenn sie präzise ausstimmbar sind. Es werden auch jene Konsonanzen verwendet, um die sich das vereinfachende temperierte System geradezu betrügt: zunächst die sehr sonor und weich klingende reine Durterz, die um etwa 14 cent verstimmt wird, damit sie hineinpasst. Dann die wunderbaren, nach dem 7. Oberton gestimmten septimalen Intervalle, welche unserer traditionellen Musik fast gänzlich vorenthalten bleiben. Hermann von Helmholtz moniert diesen Sachverhalt in seiner ›Lehre von den Tonempfindungen‹ von 1863: »Die Tonleiter der modernen Musik kann die durch die Zahl 7 bestimmten Töne nicht in sich aufnehmen.« Helmholtz stellt fest, dass die natürliche Septime mindestens ebenso gut klinge, wie die kleine Sexte, und dass die septimal verminderte Dezime sogar meistens besser klinge als »die ziemlich unvollkommene Consonanz der kleinen Decime«. Und er folgert: »Es sind also Gründe, die nicht in der Natur der Intervalle selbst, sondern in der Konstruktion des ganzen Tonsystems liegen.« In unserem Raga entfalten die Naturseptimen ihre volle Pracht, ebenso die charakterstarken, eigenwilligen viertel- und dritteltönigen Konsonanzen des 11. und des 13. Obertons. Stets war Komponisten und Theoretikern die Unvollkommenheit des temperierten Tonsystems bewusst, was seinen Siegeszug jedoch nicht aufhalten konnte. Arnold Schönberg, der relativierend von einem ›Waffenstillstand‹ sprach, baute nichtsdestotrotz auf dessen Grundlage die Zwölftontechnik auf. Er riskierte die Dissonanz. Wolfgang von Schweinitz konstatiert, dass die Zwölftontechnik dem temperierten System sehr viel konsequenter und ehrlicher gerecht wurde, als einst die tonale Musik. Er selbst allerdings verlässt das Prinzip festgefügter Tonsysteme und riskiert die Konsonanz. Frank Reinecke SECHS REGIONEN Berührungen In Auseinandersetzung mit Phänomenologen und Praktikern entwickelt Wolfgang von Schweinitz seit Jahren neue Instrumental- und Ensemblespieltechniken zur Intonation von Klängen aus reinen Naturtonintervallen. Begeisterungsfähig wie kein Zweiter bringt er auf den Punkt, was die Alten über das pythagoräische und syntonische Komma sowie das zwischen ihnen bestehende Schisma erspürt und erkannt hatten – Boethius oder Zarlino, Mersenne, Tartini oder Kirnberger. Was für Temperaturen im Zuge der Feinabstimmung von Tasteninstrumenten vorgeschlagen wurden – er kennt sie. Er ist zuhause im akustischen Kosmos der Helmholtzschen Lehre von den Tonempfindungen, den panchromatischen Systemen Hábas oder Wyschnegradskys, den Schriften des indischen Gelehrten Sambamoorthy. Mit schlafwandlerischer Sicherheit und Lust sondiert er in den gekrümmten Tonräumen der computergestützten Klanggenese. Und mit seinen jüngsten Kompositionen hat er die Tore ins Reich der Berührungen mit dem Unendlichen ganz weit aufgestoßen. Brennweiten Brennweitenflexibel hatte Wolfgang von Schweinitz in den Siebzigern und Achtzigern des vergangenen Jahrhunderts den Fokus auf das gerichtet, was Tonalität gewesen war von Bach bis Schönberg. Und flugs fing er sich das Stigma ein, zu den ›Neotonalen‹ zu gehören. Klischees kleben und Musikbetriebsamkeit kennt Scheuklappen. Sogar die 1990 im Rahmen der ersten Münchener Biennale für zeitgenössisches Musiktheater uraufgeführte Azione musicale ›PATMOS‹, ein wuchtiges Werk nach der Apokalypse des Johannes, fand im Lichte seiner Rubrizierung als ›postmodern‹ nicht die Beachtung, die es in Wahrheit verdient. Seit Mitte der 1990er Jahre schreibt Wolfgang von Schweinitz nun Musik, in der das mikrotonale Tonhöhenrepertoire sich aus dem Fundus reinen Intonierens ergibt und entfaltet; dergestalt, dass – quasi wie von selbst – eine Fülle noch nie gehörter, dem Ohr aber unmittelbar plausibler Harmonien entstehen. Musik von bezwingender Wahrhaftigkeit ist entstanden; Stücke wie KLANG auf Schön Berg La Monte Young für Streichtrio mit live-elektronischer Ringmodulation; die Miniatur des Himmels Höhe glänzet – ein Gesang in reiner Stimmung auf die letzten geschriebenen Worte Friedrich Hölderlins für Sopran und zwei Violinen mit elektrischer Verstärkung ad libitum. Allen voran die mächtige Plainsound-Sinfonie für Bassklarinette, Ensemble und Orchester (2003–2005), in deren harmonischen Labyrinthen längst vergessene mit zukunftsweisenden Wegen sich kreuzen. »Ich sehe vor mir Arbeit für Jahrzehnte, fühle mich noch immer total am Anfang. Ein neues Feld liegt vor mir mit diesen Hunderten von Tönen, die jetzt unterschieden werden. Wie kann man sich da drin bewegen als Komponist, wie kann die Musik da drin fließen, und – das hängt alles zusammen – wie kann der Musiker, der es spielt, sich darin zurechtfinden…«‚ ›just intonation‹ – was Helmholtz als ›reine Stimmung‹ auf den Begriff gebracht hatte, hat sich in Amerika als ›J-I‹ etabliert. Schmetterling Mannshoher Kontrabass, federleichte Violine. Können ein fürs tiefste und ein fürs höchste Register zuständiges Streichinstrument harmonieren? Und wenn ja, wie? Wolfgang von Schweinitz machte sich die spiegelförmige Anordnung ihrer leeren Saiten zunutze. Gestimmt in den Quarten E1-A1-D-G bzw. den Quinten g-d1-a1-e2 geben sie seinem Raga in just intonation die Zentraltöne bereits vor. Es gibt eine Balance im Flug des Schmetterlings. Ähnlich wie im modalen Musizieren auf Basis der abendländischen Kirchentöne, werden im weitaus differenzierteren System der traditionellen indischen Musik Zentral- oder Haupttöne, die als Leben spendend gelten, vom melos umrankt. Sie definieren den Stimmungsgehalt und das Wesen der an die Hunderte zählenden, nur bedingt in einem Ordnungssystem fassbaren rāga. Als individuelle Klangpersönlichkeiten dürfen manche zum Beispiel nur vor Morgengrauen angestimmt werden, keinesfalls am Nachmittag. Andere sind den Jahreszeiten zugeordnet und alle stehen in Wechselwirkung mit den Kräften des Universums. Die Kunst des Spielers besteht darin, im Medium der reinen Stimmung aus einem Schatz überkommener Ornamente und Wendungen zu schöpfen und sie durch feinstes mikrotonales Färben der Tongebung in Resonanz mit dem Fluss des Lebens zu bringen. Auch Wolfgang von Schweinitz rührt mit seinem rāga an universale Erscheinungen. Dass dieses op. 49 schließlich als Plainsound Glissando Modulation in die Welt gekommen ist, hat zu tun mit einem Form bildenden Gerüst; einem Konzept, das, dezidiert als ideelle Basis, verborgen ist hinter dem »Gewand der oft farblich und emotional geladenen Klänge«. Beide Instrumente beginnen mit dem Klang ihrer leeren G-Saiten und sie ergänzen sich perfekt in ihrem Spiel. Doch haben sie verschiedene Rollen. Während – vereinfacht ausgedrückt – der Kontrabass, einem Gesetz des roten Fadens folgend, das Firmament der Töne durchmisst und auffächert, flicht sich die Violine mit ihren Potentialen ein in diesen Reigen und deutet so den Geist der neu entstehenden harmonischen Konstellationen und allen Farbenreichtum aus. Schwingungsknoten Oft hat konzeptuelle Kunstmusik zu tun mit der Vision des Grenzenlosen, die Repräsentation des Unendlichen bleibt aber angewiesen auf ein Referenzsystem. So entsprechen den sechs ›Regionen‹ des Stückes die sechs Grundpositionen, welche der Kontrabassist nacheinander mit seiner linken Hand einzunehmen hat, um alle auf seinem Instrument spielbaren Töne zum Klingen zu bringen: alle natürlichen Flageolette und alle mikrotonal unterscheidbaren, das heißt stimmbaren Tonstufen. Quasi glissandierend durchs Kontinuum und doch engst mögliche diskrete Tonhöhen unterscheidend, durchmisst er dabei aufsteigend die Oktave. Nachdem dieser Prozess im Klang der leeren Saite seinen Anfang genommen hat, beginnt der Spieler am obersten Ende, direkt am Sattel seines Griffbretts zu intonieren und wandert dann in sechs Etappen bis hin zur Mitte der Saiten. Am Schwingungsknoten der Oktave – als Flageolett oder niedergedrückt intoniert – rundet sich tönend der Kreis. Eine neuartige Spielweise wird kultiviert, eine Virtuosität des fühlenden Eintauchens in die molekularen Regionen der Schwingungsphysik. So werden auf der höchsten Saite des Kontrabasses, der G-Saite, Flageoletts bis zum 21. Oberton als spielbar angenommen. Der entspricht einem viergestrichenen, um ein septimales Komma, d.h. um etwa 27,3 cent erniedrigten ›c‹. Unter erschwerten Bedingungen möge der Interpret den Finger auf einen der Schwingungsknoten legen, welche die Saite in einundzwanzig gleiche Teile teilen. Er muss die einzelnen Töne erspüren, erhören, beschwören – alle klingen sie gemäß ihrer individuellen Art. Das Potential der tiefsten Saite, der E-Saite, ist gröber gerastert. Hier gibt es unter den ansprechenden Partialtönen besonders »charaktervolle und widerborstige Gesellen«. Durch solch feinnervige Möglichkeiten des Lokalisierens höherer und höchster Obertöne wird der Kontrabassist in die Lage versetzt, die kompliziertesten Intervallverhältnisse zu kontrollieren, indem er den Finger an solch einer Flageolett-Stelle durchdrückt und den entsprechenden Ton zum Klingen bringt. So kann er z.B. auf der Naturseptime der D-Saite, die ebenfalls einem etwa um 27,3 cent erniedrigten ›c‹ entspricht, einen Dreiklang mit eigener Obertonreihe errichten und in ein anderes Intonationszentrum modulieren. Ein unendlicher Reichtum neuer harmonischer Zusammenklänge tut sich auf. Mit Vierteltönen, die das Ohr als Konsonanzen erlebt, mit herben oder süffigen Sonoritäten, wunderbar lieblichen Klängen, die von einem natürlichen Ein-Verständnis künden ins innerste Gefüge der akustischen Welt. Zahlendom Was Violine und Kontrabass zu spielen haben und was erklingt, ist auf zwei mal zwei, also insgesamt vier Systemen notiert. Wolfgang von Schweinitz bedient sich einer erweiterten ›Helmholtz-Ellis J-I Pitch Notation‹, deren Vorzeichen er zusammen mit Marc Sabat weiter ausdifferenziert hat. Nicht weniger als 33 verschiedene Vorzeichenvarianten und ihre Kombinationen sind in Gebrauch, um all die intervall-relevanten syntonischen oder septimalen Kommata, Erhöhungen und Erniedrigungen um undezimale Vierteltöne der 11-er-Relation, tridezimale Dritteltöne oder Siebzehner-Schismata genau zu bestimmen. Das Notenbild, in dem normal zu intonierende Klänge, die Saiten-Lokalität der Flageolette, aber auch ihre real erklingen Töne samt Obertonzahl notiert sind, wirkt durchaus luzide und zieht in seinen Bann. Entstehende Differenzton-Klänge sind verzeichnet, genaue cent-Angaben zu den Flageoletten und gelegentlich das mathematische Bruchzahl-Sigel zum Schwingungsverhältnis der Intervalle. All dies dient den Musikern zur Orientierung bei der Probenarbeit und liefert Informationen über das Timbre der intendierten Klänge. Lesenderweise, so, wie das ein Alfred Kolisch oder Adorno einst propagierten, lässt sich diese Musik kaum erschließen. Die Partitur erfordert Eingeweihte und fordert Magier heraus. Und gewiss geht es nicht – so Wolfgang von Schweinitz – um das Errichten »eines Zahlendoms und mathematische Spökenkiekerei, obwohl ich bei dieser Arbeit ständig mit Zahlen zu tun habe«. Denn die Musik führt in die Regionen einer Poesie, da Georg Cantors transfinite Punktemengen zu tanzen beginnen. Flüssigkristall Unzählige Lieder schlafen in den Tiefen dieser Klänge. Ein Hauch versunkener Posthorn-Assonanzen und die Ahnung utopischen Friedens. Wolfgang von Schweinitz vermeidet es, Konnotationen dieser Art ins Spiel zu bringen. Mit altmeisterlicher Akribie und Rationalität arbeitet er am Paradox, vielfach lichtbrechende Flüssigkristalle zu schleifen. Wer eintaucht in ihre Fluidität, kann unerhörte Erfahrungen machen und vergisst die Zeit. Kommt ihr abhanden. Lässt unter sich zurück der Berge Grenzen. Helmut Rohm |
Programm:
Wolfgang von Schweinitz (*1953) Plainsound Glissando Modulation [01] Region 1 09:44 [02] Region 2 16:01 [06] Region 6 09:32 total time 70:29 Helge Slaatto, violin World Premiere Recording
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Pressestimmen:
Plainsound Glissando Modulation In den 1990er Jahren wendete sich der 1953 in Hamburg geborene Komponist Wolfgang von Schweinitz der „reinen Stimmung“ zu, also weg vom Dur-Moll-Denken unserer abendländischen Musik und der kleinen pythagoreischen Ungenauigkeit ihrer „temperierten Stimmung“ (z.B. fis gleich ges). Nach Arbeiten von Hermann von Helmholtz und Alexander von Ellis schuf von Schweinitz eine neue Art der Notation, „Partituren“ mit richtungsgebenden Anweisungen und neuen Vereinbarungen, mit denen sich die Musiker vor dem ersten Ton zunächst einmal auseinandersetzen müssen. Die gefundenen Differenztöne und Obertonkonsonanzen, die das alte Gegensatzpaar konsonant/dissonant völlig aushebeln, faszinieren mit Wirkungen, deren Sogkraft man sich nicht entziehen kann. Vielleicht sollte man sich nicht die gut siebzig Minuten der CD ohne Pause anhören, zum Glück gibt es ja sechs Tracks. Besser ist es vielleicht, eine der Regionen (zwischen 8 und 16 Minuten) zunächst mehrfach abzufahren, um die Besonderheiten dieser Musik, die keinen Anfang und kein Ende hat, besser aufzunehmen. Nichts ist gleich, immer wieder ergeben sich neue Klangkombinationen durch Obertoneffekte. Die Wirkungen hoher Flageolett-Töne des Kontrabasses müssen hier ja nicht mehr beschrieben werden, auch die Wirkungen profunder Pizzicati nicht. Im Zusammenwirken mit den Besonderheiten ähnlicher und doch ganz anderer Möglichkeiten auf der Geige verblüffen sie jedoch. Die Definition der Inder: „Das, was den Geist färbt, ist ein Raga“, ist hier wirklich übertragbar, und von Schweinitz benutzt den Begriff im Titel zurecht. Man erlebt Ansätze von Melodien, Erinnerungen an Formen und manchmal sogar Klänge aus der guten alten Zeit; dann aber wieder experimentelle Querstände, bohrende Tonwiederholungen, wie improvisiert wirkende Klangsuche. Insgesamt ein hochinteressantes Dokument und ein überaus virtuoses noch dazu: „Die grifftechnischen Grundlagen wurden mit unglaublicher Akribie recherchiert“, schreibt der Bassist in dem liebevoll aufbereiteten Booklet, das auch ins Englische, Französische und Spanische übersetzt wurde. Die Aufnahme des Bayerischen Rundfunks in einer Kirche wurde von der spanischen Fundación BBVA unterstützt. Wolfgang Teubner
Musik aus einem Paralleluniversum Das System der temperierten Stimmung ist diktatorischer, als man vielleicht denkt. Zweifelsohne eine geniale Idee, hat es doch die Möglichkeit anderer Systeme in der abendländischen Kunstmusik zurückgedrängt oder verhindert. Gegen Halb- und Ganztonschritt ist schwer anzukommen, das mussten nicht nur die Viertelton-Experimentatoren erkennen. Der deutsche Komponist Wolfgang von Schweinitz (geb. 1953) ließ sich davon nicht abschrecken; er hat sich in seinem Schaffen intensiv mit der reinen Stimmung auseinandergesetzt und arbeitet mit Mikrointervallen und Obertönen. Das alles schafft eine Klangsprache, die gleichzeitig in der Tradition wurzelt und erfrischend anders, unverbraucht klingt. Violine und Kontrabass ‚Plainsound Glissando Modulation’ nennt der Komponist sein 2006/07 komponiertes op. 49 – ein ‚Raga in reiner Stimmung’ für die ungewöhnliche Besetzung von Violine und Kontrabass. Sechs ‚Regionen’ werden dabei berührt – 70 Minuten lang. Das fordert vom Hörer, sich auf die Musik einzulassen – es ist aber erstaunlich, wie gering die Abnutzung der Klänge ausfällt und dass sich keine Ermüdungserscheinungen einstellen. Phasenweise mag man sich an die Vokalpolyphonie der Renaissance erinnert fühlen – oft wirkt die Musik zugleich eigenartig vertraut und doch fremd, fast so, als klänge sie aus einem Paralleluniversum zu uns herüber. Manches ist rau und schroff, anderes von bestechender Rein- und Schönheit. Der Komponist webt ein feines Geflecht fragiler Klänge, das steter Veränderung unterworfen zu sein scheint – eine schillernde Oberfläche, an deren Farbspiel man sich kaum satt sehen kann. Obwohl sehr viel mit Zahlen hantiert wird (eine Kostprobe aus dem Booklet: ‚Erhöhungen und Erniedrigungen um undezimale Vierteltöne der 11-er-Relation, tridezimale Dritteltöne oder Siebzehner-Schismata’), ist das Resultat weit davon entfernt, ein artifizielles Konstrukt zu sein – es ist Musik, die ihren Zauber nur klingend entfaltet. Eingetaucht Wolfgang von Schweinitz verlangt nicht nur vom Hörer, sich auf seine Musik einzulassen. Viel mehr ist das sogar noch für die beiden Interpreten nötig, die sich nicht nur bloß öffnen müssen, sondern geradezu eintauchen müssen. Denn es gilt, ungewohnte Spieltechniken und Griffe mühsam zu erarbeiten. Die technischen Schwierigkeiten sind immens; insbesondere lässt sich das wohl für den Kontrabassisten sagen, dem beispielsweise Flageolette in höchsten Lagen abverlangt werden. Frank Reinecke gibt in seinen ‚Werkstattnotizen’ einen lebendigen Eindruck von den Schwierigkeiten. Zusammen mit dem Geiger Helge Slaatto hat er die ihnen gewidmete Partitur gründlich verinnerlicht und schließlich gemeistert. Das hört man mit jedem Ton – denn so schwierig die Klänge auch erzeugt worden sein mögen, das Resultat klingt herrlich schwerelos und wie natürlich gewachsen. Referenzklasse Die Mitte 2008 vorgenommene Einspielung, die vom Label Neos als Weltersteinspielung beworben wird, hat wegen der herausragenden technischen wie interpretatorischen Leistung der Widmungsträger zweifelsohne Referenzklasseniveau und wird wegen der enormen Schwierigkeiten an die Interpreten wohl auch auf längere Sicht die einzige Einspielung bleiben. Sehr gut ist die Klangqualität – hier bleiben keine Wünsche offen. Auch das gesamte Drumherum gefällt – angefangen vom aufgeräumten Layout bis hin zum Abdruck einer autographen Notenseite des Komponisten. Die vielen Streichungen und Ergänzungen geben einen lebhaften Eindruck von der Schwierigkeit, die auch der Komponist bei der Zähmung des Materials hatte; von Interpretenseite sind die erwähnten ‚Werkstattnotizen’ aufschlussreich. Alle Texte liegen übrigens in vier Sprachen vor. Im Internet ist übrigens ein Stück als Partitur verfügbar – hier kann man sich direkt am Objekt eingehender mit der ungewohnten Notation und ihrer Fülle von Versetzungszeichen beschäftigen; im Booklet kommt dieser notationstechnische Aspekt naturgemäß etwas kurz. Interpretation: Christian Vitalis
Wolfgang von Schweinitz: ‚Plainsound Glissando Modulation‘ Der er ur-musikalske elementer i spil på denne nye cd. Med rødderne nede og suge kraft i den allerførste musik, tager Helge Slaato og Frank Reinicke dig med på en meditativ rejse i et snurrende strygerland. Undertitlen på Wolfgang von Schweinitz‘ musik er ‚raga i ren stemning‘. Den rene stemning giver en særlig skala, hvor forholdet mellem tonerne kan udtrykkes ved hele tal (1, 2, 3, 4, osv.). Det har andre komponister også leget med, og resultatet er som regel en særlig snurrende lyd, og en varme i tonerne, som kan være utrolig behagelig. Det lyder også som om de to musikere, Helge Slaato og Frank Reinicke, har det behageligt med Schweinitz‘ musik. Sammen fremkalder de en intens, meditativ stemning, der virkelig fastholder lytteren. Som en klokkestreng Wolfgang von Schweinitz er født i Hamburg, hvor han også har studeret hos den ungarske komponist György Ligeti. Han har også været en tur forbi opfinderen af den moderne synthesizer, John Chowning. Nu opholder han sig i USA, på kanten af Mojave-ørkenen, når han altså ikke er i Tyskland. Efter førsteopførelsen af ‚Plainsound Glissando Modulation‘ i USA (en opførelse, som foregik i Walt Disney Concert Hall i Los Angeles), skrev en anmelder, at koncertsalen var badet i et sonisk extravaganza(!). Hypnotiserende musik uden retning ‚Plainsound Glissando Modulation‘ er inddelt i ‚regioner‘ på cd’en. Ideen er, efter sigende, at der er tale om forskellige regioner på de to strengeinstrumenter. Men den overordnede musikalske ide er og bliver den samme: En musik der har godt fat i nuet og i rødderne. I region 2 bliver det nærmest magisk sitrende, og i region 3 blafrer melodier afsted i de øverste luftlag. Man får ikke hold på dem, men det gør heller ingenting. Det er kun med til at tune sindet ind, når øret leder efter holdepunkter. Før man ved af det, er man fanget ind af det raga-spind som de to musikere udspænder. Din mening Max Fage-Pedersen
This CD is an absolute rarity. If J. S. Bach with his Art of Fugue had set a milestone in the directions music history took, then it is Wolfgang von Schweinitz who with his Plainsounds has taken a similar compositional step in the first century of the third millennium.
Wolfgang von Schweinitz Wer neugierig auf wahrhaft neue Musik ist und einem ungeahnten und ganz individuellen Hörerlebnis begegnen will, wird beglückt mit einer neuen Komposition des deutschen Komponisten Wolfgang von Schweinitz: gut siebzig Minuten für Violine und Kontrabass, untergliedert in sechs Teile (Ragas), hat er mit seiner „Plainsound Glissando Modulation“ vorgelegt, die auf dieser CD von Helge Slaatto (Violine) und Frank Reinecke (Kontrabass) in grandioser Weise zum Klingen gebracht wird. Der 1953 in Hamburg geborene Wolfgang von Schweinitz fand seine unverwechselbare kompositorische Handschrift über Studien in Deutschland und in den USA, eckte in dogmatischen Avantgardezirkeln in den 1970er Jahren durch seine Auseinandersetzung mit Tonalität und traditionellen Formen an und lehnte in seiner Arbeit serielle Kompositionsprinzipien durchweg ab. Seit etwa Mitte der 1990er Jahre kehrte von Schweinitz – angeregt durch die Beschäftigung mit Musik von La Monte Young, James Tenney oder Harry Partch – der gleichstufig temperierten Stimmung den Rücken, veränderte seinen Kompositionsstil grundlegend und widmet sich seither intensiv Obertonphänomenen und reinen Stimmungen. Klänge und Klangverläufe, die aus den natürlichen Schwingungsverhältnissen der Obertonreihe gewonnen und deshalb vom Komponisten als „tonal“ bezeichnet werden, stehen im Zentrum. Gemeinsam mit dem Geiger und Komponisten Marc Sabat entwickelte er für diese Musik, die den Interpreten äußerst komplexe Spieltechniken abverlangt, sogar eine eigene Notation, die „Extended Helmholtz-Ellis JI Pitch Notation“. Feinste Mikrointervalle Sogartige Wirkung Meret Forster
Plainsound Glissando Modulation Sechs Sätze (Ragas), 70 Minuten Vio-line und Kontrabass! Und dennoch nirgendwo durchhängend. Schweinitz hat seit einigen Jahren seinen Kompositionsstil radikal verändert und widmet sich reinen Stimmungen und Obertonphänomenen. Das ist sein bisheriges Hauptwerk dieser Richtung. Alles scheint klanglich in der Schwebe zu sein. Feinste Mikrointervalle verlangen den Interpreten das Äußerste ab. Und dann löst sich alles in nervig differenziertem, gleichwohl ungemein stimmigem Zusammenklang. Reinhard Schulz
Review: A Wolfgang von Schweinitz work mesmerizes at REDCAT In the fall of 2007 and without fanfare, CalArts installed a German composer little known in American in the Roy E. Disney Family Chair in Music Composition. This is one of the most prominent American academic American posts for a composer of experimental bent. For a year and a half there was hardly a peep from Wolfgang von Schweinitz in the public sphere. You certainly would not have known from the much-publicized Los Angeles Philharmonic announcement last week of its major festival of California music next season that perhaps the leading European figure to have embraced microtonality and other aspects of the West Coast scene is now in our midst. But Saturday night at REDCAT there was, finally, a peep – and very big peep at that. A superb Norwegian violinist, Helge Slaatto, and an equally superb German double bass player, Frank Reinecke, gave the U.S debut of Von Schweinitz’ “Plainsound Glissando Modulation.” The subtitle is “Raga in Just Intonation.” It lasts 80 minutes. It explores a wondrous sonic universe. It is mesmeric music. But boy, could Von Schweinitz use some kind of publicist-publisher-handler if he hopes to make an impact on these shores. Nothing about this program looked particularly promising, nor did it begin well. The piece’s title sounds like the results of a 1950s German electronic sound lab project. Von Schweinitz’s program notes – a series of old questions about the nature of microtonal music – were of no help to the listener. Onstage, the performers introduced the music by revealing the healthful aspects of exploring pitch intervals made up of tones that fit between the cracks of the piano and are based on the natural harmonics of string tones. Such thinking is new to them, perhaps, but is as integral to West Coast music as local produce is to Alice Waters‘ cooking. To open the program, cellist Erika Duke-Kirkpatrick played the U.S. premiere of Von Schweinitz’s “Plainsound Litany,” a series of microtonal intervals, one after the other. The cellist made beautiful sounds, but the 16-minute work seemed little more than an exploratory worksheet for “Plainsound Glissando Modulation.” Exactly what goes on in the latter, which was completed in 2007, is a mystery to me. There was nothing especially raga-like and no indication whether the performers were improvising (they didn’t seem to be). Von Schweinitz has been called a neo-medieval avant-gardist, which this work sort of is, and he has been accused in the German press of being a neo-Romantic, which he hardly is although he does have a flair for creating rich swaths of string sound. And REDCAT was certainly bathed in continuous sonic extravagance Saturday. The so-called raga was in six regions, three played before intermission and three after. By regions, Von Schweinitz means regions on the violin and double-bass finger boards. The players keep their fingers put for long sections, yet through overtones and interesting bowing techniques create, within each region. an exciting full range of pitches from high to low. The score begins with drones of odd-tuned intervals that are like windows of pitch that open up ever more widely to let in an alternative harmonic universe. At no point during these 80 minutes did I know where I was in the music or have any notion of what would come next. With eyes closed it could even be impossible to tell which instrument was playing what. Others have explored these realms, notably these days Terry Riley and LaMonte Young, and Von Schweinitz has paid homage to them in earlier compositions. But he brings his own German flair to the microtonal table, one that finds roots in medieval music written before the modern tempered scale. He then sexes up the old with string playing from the Romantic virtuoso tradition to which he adds a dose of Stockhausen’s outer-space sound spectrum. All and all, this is heady, engrossing stuff and deserves much wider exposure. The REDCAT crowd tuned in immediately and sat in a remarkable silence throughout. A recording of “Plainsound Glissando Modulation” by the Slaatto/Reinecke duo is supposed to be released soon on Neos. The Munich-based label puts out great-sounding and imaginative CDs but has inadequate U.S. distribution. Somehow that’s seems sadly appropriate. Mark Swed |
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