Xenakis – Ichiyanagi – Sugiyama: Orchestra Works

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1 CD

Artikelnummer: NEOS 12513 Kategorie: Schlagwort:
Veröffentlicht am: April 15, 2025

WERKE FÜR ORCHESTER
Iannis Xenakis – Toshi Ichiyanagi – Yoichi Sugiyama

 

Iannis Xenakis (1922–2001)
Jonchaies (1977)

Eine entscheidende Entwicklungsrichtung der musikalischen Kunst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war die Wende vom bloßen »Genuss« hin zur Suche nach völlig neuen, bislang ungeahnten Ausdrucksformen. In dieser Hinsicht steht die Laufbahn von Iannis Xenakis exemplarisch für die künstlerische Innovation im 20. Jahrhundert. Die Musik von Iannis Xenakis entstand durch die Anwendung mathematischer und stochastischer Prinzipien auf die Entstehung, Auflösung, Verteilung und Dichte von Klängen. Obwohl der Begriff »mathematisch« vielleicht etwas Kaltes, Unmenschliches suggeriert, erfordert der Versuch, groß angelegte Phänomene – etwa Konturen von Wolken oder Vogelschwärmen – zu gestalten, unweigerlich eine stochastische Denkweise. Als ausgebildeter Architekt hat sich Xenakis diese Methode ohne Hemmungen zu Eigen gemacht und ihre Möglichkeiten bis zuletzt erforscht.

Jonchaies, für 109 Instrumente komponiert und 1977 uraufgeführt, könnte als Pendant zum elektronischen Stück La Légende d’Eer betrachtet werden, das etwa zur gleichen Zeit konzipiert wurde. Wenngleich die beiden Stücke sich in ihrer klanglichen Wirkung stark voneinander unterscheiden, hat Xenakis darauf bestanden, dass sie auf dem gleichen mathematischen Grundkonzept beruhen. Das Kernelement von Jonchaies ist eine verräumlichte, nicht-oktavierende Tonleiter auf Grundlage der sogenannten Siebtheorie, die an die javanische Pelog-Tonleiter erinnert (e–f–g–h–c). Diese Tonleiter wird im Laufe des Stücks erweitert und verwandelt, wodurch eine markante und eindringliche Klangwelt entsteht. Das Werk beginnt mit einem stürmischen Streicherglissando, immer wieder von einem schrillen Ton in hoher Lage unterbrochen, der an die angespannte Atmosphäre von Hitchcocks Psycho denken lässt. Kurz danach erklingt die Pauke, und eine karge Melodie auf Grundlage der Pelog-Tonleiter tritt hervor. Diese Einleitung gehört sicherlich zu den eindrucksvollsten Werkanfängen im Œuvre von Xenakis. Durch das Winden und Schlängeln der achtzehnfach geteilten Streicher entsteht ein Ausdruck, der seltsamerweise eine gewisse Nostalgie hervorruft. Wie Xenakis aber selbst notierte: »Dieses Stück fängt geräuschhaft an, dann werden periodische Elemente mittels stochastischer Funktionen eingefügt« – die rhythmischen Strukturen verschieben sich allmählich, wobei der Puls mittels des Schlagzeugs akzentuiert wird. Ein langes Crescendo steigert sich allmählich bis zu einer geradezu wilden Heftigkeit, die fast ins Chaotische entgleitet. Nachdem der Sturm vorüber ist, tritt ein leiser, sanfter Klangraum hervor, gekennzeichnet durch Posaunenglissandi. Am Ende des Stücks bleiben nur noch die höchsten Töne der Pikkoloflöte übrig, während der Nachhall der Blechbläserklänge aus verschiedenen Richtungen ausklingt.

 

Toshi Ichiyanagi (1933–2022)
Doppelkonzert für Violine, Shamisen und Orchester (2021)

Toshi Ichiyanagi, 1933 in Japan geboren, zog nach dem Schulabschluss in die USA, um an der Juilliard School zu studieren. Dort begegnete er John Cage, dessen Musik ihn tiefgreifend beeinflusste, und es folgte eine Zeit der engen Zusammenarbeit. Als er 1961 nach Japan zurückkehrte, brachte er die Cagesche Aleatorik mit und stellte gleichzeitig eine Reihe eigener experimenteller Werke vor, die in der japanischen Musikszene großes Aufsehen erregten. Seine Laufbahn ging mit diesen frühen Innovationen aber nicht zu Ende. Ab den 1970er Jahren nahm er bald Repetitionsverfahren in seine Musik auf, und bis Anfang der 1980er Jahre hatte er bereits mehrere großangelegte Werke fertiggestellt – Opern und Oratorien –, die seine früheren Ansätze scheinbar vereinten und miteinander versöhnten. Sein Experimentiergeist erhielt sich bis an sein Lebensende. Ichiyanagi hinterfragte ständig die Beschaffenheit von Zeit und Raum; für ihn waren die beiden Dimensionen untrennbar. Diese Perspektive, die an Cages Sichtweise erinnert, entspricht auch dem japanischen Feingefühl gegenüber Natur und Zeitlichkeit. 

Ichiyanagis letzte Komposition war das Doppelkonzert für Violine, Shamisen und Orchester, im Alter von 89 Jahren fertiggestellt. Die Wahl der westlichen Violine und der japanischen Shamisen als Solo-Instrumente für ein Doppelkonzert ist äußerst ungewöhnlich; Lou Harrisons Konzert für Gamelan-Instrumente und Cello wäre eines der wenigen vergleichbaren Stücke. Es scheint sogar das erste Mal zu sein, dass Violine und Shamisen auf diese Weise kombiniert wurden. Doch es war mehr als eine bloße Neuheit: Ichiyanagi hatte seit den 1980er Jahren nach Möglichkeiten gesucht, um östliche und westliche Musiksprachen zusammenzubringen. Das Doppelkonzert bildet einen der Höhepunkte in seiner langjährigen Auseinandersetzung mit dieser Frage.

Auffällig ist das Fehlen von Blasinstrumenten; stattdessen enthält das Orchester vier Schlagzeugensembles, die eine bemerkenswerte Klangfarbenpalette entfalten. Der erste Satz beginnt mit der Solo-Violine; bald tritt die Shamisen hinzu, und es herrscht von Anfang an ein kadenzartiger Gestus. Die Shamisen spielt eine rasche Akkordfolge, das Orchester setzt ein, und es entwickelt sich sofort eine vielschichtige Textur. Die charakteristischen Gesten der Shamisen werden auf die Streicher übertragen, insbesondere auf die Solo-Violine, was eine plastische, einprägsame Klangwirkung erzeugt.

Den zweiten Satz könnte man vielleicht als Ichiyangis eigene Art von Minimalismus bezeichnen. Die Solo-Instrumente werden mit unnachgiebigen Repetitionen in den Bratschen und Cellos verflochten, was zu einer Vielfalt an Stimmungslagen führt. In der Mitte kommen Schlagzeug, Violine und Shamisen in einer flüssigen Passage zusammen, in der es zu einer allmählichen Verflechtung östlich und westlich geprägter Zeitflüsse kommt. Schließlich kehrt das Anfangsmaterial zurück, die Repetitionsmuster erscheinen in den tiefen Streichern. In den letzten Augenblicken des Stücks vereinigen sich die Rhythmen der Solo-Instrumente und erzeugen eine satte, kraftvolle Resonanz. Dieser bewegende Schluss stellt die Erfüllung von Ichiyanagis künstlerischem Lebensweg dar. 

 

Yoichi Sugiyama (*1969)
Autoritratto (2020)

Yoichi Sugiyama, 1969 in Tokio geboren, begann sein Kompositionsstudium bei Akira Miyoshi im Alter von zwölf Jahren und machte später seinen Abschluss an der Toho Gakuen School of Music. Dort studierte er auch Dirigieren bei Morihiro Okabe. Ab 1995 studierte er mithilfe eines Stipendiums der italienischen Regierung Komposition bei Franco Donatoni und Sandro Gorli sowie Dirigieren bei Emilio Pomarico. Nach der Übersiedlung nach Mailand hat Sugiyama eine Karriere als Komponist sowie als Dirigent aufgebaut. Er erhielt Kompositionsaufträge von zahlreichen japanischen und internationalen Institutionen, darunter Milano Musica, Biennale Venedig und Suntory Hall Summer Festival. Als Dirigent hat er mit namhaften Ensembles wie dem NHK Symphony Orchestra, Tokyo Philharmonic, Orchestra RAI, Teatro Comunale di Bologna, Ensemble Modern und Klangforum Wien gearbeitet. Er widmet sich außerdem der Ausbildung junger Musiker:innen und unterrichtet zurzeit an der Musikhochschule Claudio Abbado in Mailand.

Autoritratto [Selbstporträt] wurde 2020 komponiert, als die Corona-Pandemie die Welt überrollte und in Mailand, Sugiyamas Wohnort, zahlreiche Opfer forderte. Als Reaktion auf diese Umstände schuf er ein ungewöhnliches musikalisches Selbstbildnis.

Dieses Orchesterwerk dient als klangliche Chronik der Kriege, Konflikte und sozialen Unruhen, die in den letzten 50 Jahren auf der ganzen Welt ausgebrochen sind – von 1969, Sugiyamas Geburtsjahr, bis 2020, als das Stück abgeschlossen wurde. Er geht kompositorisch folgendermaßen vor: Zunächst zitiert Sugiyama aus Juan Bautista Cabanilles Batalla Imperial, einem Stück, das er als Kind oft gehört hat. Nach dieser Einleitung kommt eine lange Folge von Verweisen auf globale Konflikte. Für jedes Ereignis erklingt die entsprechende Nationalhymne (oder bei Bürgerkriegen die Regionalhymne). Jedes neue Jahr wird durch einen Schlag auf einer großen Trommel angekündigt, und eine Collage aus überlagerten Nationalhymnen tritt hervor. Die Hymne der jeweils angegriffenen Kriegspartei erklingt immer zuerst – beim Vietnamkrieg beispielsweise wird die Nationalhymne von Südvietnam zuerst gespielt. 

Eine weitere Komplexitätsschicht tritt durch die geographische Aufteilung des Orchesters hinzu. Die Holzbläser stehen für Staaten in Südasien, Zentraleuropa, Nordirland usw.; die Blechbläser spielen die Nationalhymnen postsowjetischer Staaten. Die ersten Geigen lassen afrikanische Hymnen erklingen, die zweiten Geigen die der arabischen Halbinsel, die Cellos diejenigen von Indonesien, den Philippinen, Südkorea, China und benachbarten Regionen, und die Kontrabässe schließlich die zentralamerikanischen Hymnen.

Drei Großereignisse – der Mauerfall, die Auflösung der Sowjetunion und die 9/11-Terroranschläge – werden als Ausnahmen behandelt, indem sie mit Röhrenglockenklängen markiert werden. Durch dieses komplexe Schema erzählt das gesamte Werk die düstere Geschichte der globalen Kriegsführung. Seine dichten, rastlosen Klänge spiegeln die Umwälzungen in der Welt wider. Das Stück endet mit einem italienischen Trauersignal auf der Trompete – als Symbol für die täglichen Opfer der Pandemie, deren Begräbnisse in Italien von genau diesem Klang begleitet wurden.

 

Yuji Numano
Übersetzung: Wieland Hoban

Programm

 

Iannis Xenakis (1922–2001)

[01] Jonchaies für 109 Instrumente (1977)

Tokyo Metropolitan Symphony Orchestra
Yoichi Sugiyama, Dirigent

 

Toshi Ichiyanagi (1933–2022)

[02–03] Doppelkonzert für Violine, Shamisen und Orchester (2021)

Welt-Ersteinspielung

Mayumi Kanagawa, Violine
Hidejiro Honjoh, Shamisen
NHK Symphony Orchestra
Yoichi Sugiyama, Dirigent

 

Yoichi Sugiyama

[04]   Autoritratto für Orchester (2020)

Welt-Ersteinspielung

New Japan Philharmonic
Yoichi Sugiyama, Dirigent

 

Gesamtspielzeit: 55:30

 

Live-Aufnahmen

Infos

Katalognummer: NEOS 12513

EAN: 4260063125133

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