Ernst von Siemens Musikpreis 2023

Wenn man auf George Benjamins Werdegang zurückblickt, ist man von der Kohärenz seines Vorgehens und der absoluten Treue zu sich selbst beeindruckt. So gelangte er zur großen Form der Oper, der Krönung seiner Entwicklung, ohne dass er je die geringsten Zugeständnisse gemacht hätte oder von seinem Weg abgewichen wäre. Ganz er selbst war er schon bei seinem ersten öffentlichen Auftritt aus Anlass eines denkwürdigen BBC Proms-Konzerts, bei dem sein Orchesterstück Ringed by the Flat Horizon aufgeführt wurde. Wie hatte er eine solche Meisterschaft im Komponieren, vor allem für Orchester, erlangt, obwohl dies sein erster Versuch in diesem Bereich war? Woher kam sein schon damals so persönlicher Stil? Diese Fragen sind auch vierzig Jahre später noch schwer zu beantworten; und man ist schnell versucht, einfach auf das Genie zu verweisen, dem Kant eine höhere Intuitionskraft zuschreibt. 

Benjamins Verbindung zur englischen Musik ist kaum zu erkennen, weder zu der in Britten gipfelnden konservativen Tradition, noch zu den modernistischen Bestrebungen der Birtwistle-Generation. Und auch die Prägung durch Olivier Messiaen, mit dem Benjamin seit dem unglaublich frühen Alter von sechzehn Jahren zwei Jahre lang gearbeitet hatte, ist in seinen ersten Werken nicht zu spüren. Man fragt sich zu Recht: Wie konnte ein Jugendlicher, der zweifellos von dem Meister geblendet war, den er sich selbst gewählt hatte und dem er nach eigener Aussage so viel verdankt, wie konnte ein solcher Jugendlicher so stark dem Einfluss des Meisters widerstehen, ohne sich gegen dessen Musik aufzulehnen, wie es Boulez vor ihm getan hatte. Ebenso wenig findet man in seinen Anfängen irgendeine Spur der in den 1970er Jahren aktuellen Strömungen: Minimalismus, neue Einfachheit, Spektralismus, New Complexity, konkrete Instrumentalmusik, Entwicklung der Live-Elektronik. 

Auszug aus Essay (Georges Benjamin)

https://www.evs-musikstiftung.ch/de/preis/george-benjamin-essay

Alben:

musica viva vol.22:

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