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RICHARD WAGNER ÜBER BEETHOVENS »HEROISCHE SYMPHONIE« Diese höchst bedeutsame Tondichtung – die dritte Symphonie des Meisters, und das Werk, mit welchem er zuerst seine ganz eigenthümliche Richtung einschlug – ist in vielen Beziehungen nicht so leicht zu verstehen, als es ihre Benennung vermuthen ließe, und zwar gerade weil der Titel »heroische Symphonie« unwillkürlich verleitet, eine Folge heldenhafter Beziehungen in einem gewissen historisch dramatischen Sinne durch Tonbildungen dargestellt sehen zu wollen. Wer mit einer solchen Erwartung sich zum Verständnisse dieses Werkes anläßt, wird zunächst verwirrt und endlich enttäuscht werden, ohne in Wahrheit zu einem Genusse gelangt zu sein. Wenn ich mir daher erlaube, die Ansicht, die ich mir selbst von dem dichterischen Inhalte dieser Tonschöpfung gewonnen habe, so gedrängt wie möglich hier mitzutheilen, so geschieht dieß in dem aufrichtigen Glauben, manchen Zuhörern der bevorstehenden Aufführung der »heroischen Symphonie« ein Verständniß zu erleichtern, das sie selbst sich nur bei öfter wiederholter Anhörung besonders lebenvoller Aufführungen des Werkes würden verschaffen können. Zunächst ist die Bezeichnung »heroisch« im weitesten Sinne zu nehmen und keinesweges nur etwa als auf einen militärischen Helden bezüglich aufzufassen. Begreifen wir unter »Held« überhaupt den ganzen, vollen Menschen, dem alle rein menschlichen Empfindungen – der Liebe, des Schmerzes und der Kraft – nach höchster Fülle und Stärke zu eigen sind, so erfassen wir den richtigen Gegenstand, den der Künstler in den ergreifend sprechenden Tönen seines Werkes sich uns mittheilen läßt. Den künstlerischen Raum dieses Werkes füllen all’ die mannigfaltigen, mächtig sich durchdringenden Empfindungen einer starken, vollkommenen Individualität an, der nichts Menschliches fremd ist, sondern die alles wahrhaft Menschliche in sich enthält und in der Weise äußert, daß sie, nach aufrichtigster Kundgebung aller edlen Leidenschaften, zu einem, die gefühlvollste Weichheit mit der energischesten Kraft vermählenden, Abschluß ihrer Natur gelangt. Der Fortschritt zu diesem Abschlusse ist die heroische Richtung in diesem Kunstwerke. Der erste Satz umfaßt, wie in einem glühenden Brennpunkte, alle Empfindungen einer reichen menschlichen Natur im rastlosesten, jugendlich thätigsten Affekte. Wonne und Wehe, Luft und Leid, Anmuth und Wehmuth, Sinnen und Sehnen, Schmachten und Schwelgen, Kühnheit, Trotz und ein unbändiges Selbstgefühl, wechseln und durchdringen sich so dicht und unmittelbar, daß, während wir alle diese Empfindungen mitfühlen, keine einzelne von der anderen sich merklich loslösen kann, sondern unsere Theilnahme sich immer nur dem Einen zuwenden muß, der sich uns eben als allempfindungsfähiger Mensch mittheilt. Doch gehen alle diese Empfindungen von einer Hauptfähigkeit aus, und diese ist die Kraft. Diese Kraft, durch alle Empfindungseindrücke unendlich gesteigert und zur Äußerung der Überfülle ihres Wesens getrieben, ist der bewegende Hauptdrang dieses Tonstückes: sie ballt sich – gegen die Mitte des Satzes – bis zu vernichtender Gewalt zusammen, und in ihrer trotzigsten Kundgebung glauben wir einen Weltzermalmer vor uns zu sehen, einen Titanen, der mit den Göttern ringt. Diese zerschmetternde Kraft, die uns mit Entzücken und Grauen zugleich erfüllt, drängte nach einer tragischen Katastrophe hin, deren ernste Bedeutung unserem Gefühle im zweiten Satze der Symphonie sich kundgiebt. Der Tondichter kleidet diese Kundgebung in das musikalische Gewand eines Trauermarsches. Eine durch tiefen Schmerz gebändigte, in feierlicher Trauer bewegte Empfindung theilt sich uns in ergreifender Tonsprache mit: eine ernste männliche Wehmuth läßt sich aus der Klage zur weichen Rührung, zur Erinnerung, zur Thräne der Liebe, zur innigen Erhebung, zum begeisterten Ausrufe an. Aus dem Schmerze entkeimt eine neue Kraft, die uns mit erhabener Wärme erfüllt: als Nahrung dieser Kraft suchen wir unwillkürlich wieder den Schmerz auf; wir geben uns ihm hin bis zum Vergehen im Seufzer; aber gerade hier raffen wir abermals unsere vollste Kraft zusammen: wir wollen nicht erliegen, sondern ertragen. Der Trauer wehren wir nicht, aber wir selbst tragen sie nun auf dem starken Wogen eines muthigen männlichen Herzens. Wem wäre es möglich, in Worten die unendlich mannigfaltigen, aber eben unaussprechlichen Empfindungen zu schildern, die vom Schmerz bis zur höchsten Erhebung, und von der Erhebung bis zur weichsten Wehmuth, bis zum letzten Aufgehen in ein unendliches Gedenken, sich berühren? Nur der Tondichter vermochte dieß in diesem wunderbaren Stücke. Die Kraft, der – durch den eignen tiefen Schmerz gebändigt – der vernichtende Übermuth genommen ist, zeigt uns der dritte Satz nun in ihrer muthigen Heiterkeit. Das wilde Ungestüm in ihr hat sich zur frischen, munteren Thätigkeit gestaltet; wir haben jetzt den liebenswürdigen, frohen Menschen vor uns, der wohl und wonnig durch die Gefilde der Natur dahinschreitet, lächelnd über die Fluren blickt, aus Waldhöhen die lustigen Jagdhörner erschallen läßt; und was er bei alledem empfindet, das theilt uns der Meister in dem rüstig heiteren Tonbilde mit, das läßt er uns von jenen Jagdhörnern endlich selbst sagen, die der schönen, fröhlichen, doch auch weichgefühlvollen Erregung des Menschen selber den musikalischen Ausdruck geben. In diesem dritten Satze zeigt uns der Tondichter den empfindungsvollen Menschen von der Seite, welche derjenigen entgegengesetzt ist, von der er ihn uns im vorangehenden zweiten Satze zeigte: dort der tief und kräftig leidende, – hier der froh und heiter thätige Mensch. Diese beiden Seiten faßt der Meister nun in dem vierten – letzten – Satze zusammen, um uns endlich den ganzen, harmonisch mit sich einigen Menschen in den Empfindungen zu zeigen, in denen selbst das Gedenken des Leidens sich zu Trieben edler Thätigkeit gestaltet. Dieser Schlußsatz ist das nun gewonnene, klare und verdeutlichende Gegenbild des ersten Satzes. Wie wir dort alle menschlichen Empfindungen in den unendlich mannigfaltigsten Äußerungen bald sich durchdringen, bald heftig verschiedenartig sich von sich abstoßen sahen, so einigt sich hier diese mannigfaltige Unterschiedenheit zu einem, alle diese Empfindungen harmonisch in sich fassenden Abschlusse, der sich in wohlthuender, plastischer Gestalt uns darstellt. Diese Gestalt hält der Meister zunächst in einem höchst einfachen Thema fest, welches sicher und bestimmt sich vor uns hinstellt, und der unendlichsten Entwickelung, von der zartesten Feinheit bis zur höchsten Kraft, fähig wird. Um dieses Thema, welches wir als die feste männliche Individualität betrachten können, winden und schmiegen sich vom Anfange des Satzes herein all’ die zarteren und weicheren Empfindungen, die sich bis zur Kundgebung des reinen weiblichen Elementes entwickeln, welches endlich an dem – durch das ganze Tonstück energisch dahinschreitenden – männlichen Hauptthema in immer gesteigerter mannigfaltiger Theilnahme sich als die überwältigende Macht der Liebe offenbart. Diese Macht bricht an dem Schlusse des Satzes sich volle, breite Bahn in das Herz. Die rastlose Bewegung hält an, und in edler, gefühlvoller Ruhe spricht sich die Liebe aus, weich und zärtlich beginnend, bis zum entzückenden Hochgefühle sich steigernd, endlich das ganze männliche Herz bis auf seinen tiefsten Grund einnehmend. Hier ist es, wo noch einmal dieses Herz das Gedenken des Lebensschmerzes äußert: hoch schwillt die liebeer füllte Brust, – die Brust, die in ihrer Wonne auch das Weh’ umfaßt, wie Wonne und Weh’, als rein menschliches Gefühl, ein und dasselbe stud. Noch einmal zuckt das Herz, und es quillt die reiche Thräne edler Menschlichkeit; doch aus dem Entzücken der Wehmuth bricht kühn der Jubel der Kraft hervor, – der Kraft, die sich der Liebe vermählte, und in der nun der ganze, volle Mensch uns jauchzend das Bekenntniß seiner Göttlichkeit zuruft. Nur in des Meisters Tonsprache war aber das Unaussprechliche kundzuthun, was das Wort hier eben nur in höchster Befangenheit andeuten konnte. (Aus dem Programmheft eines Konzerts am 25. Februar 1851 in Zürich) |
Programm:
Symphonie No. 3 „Eroica“ 1804: Uraufgeführt von Beethoven mit 28 Musikern im Palais Lobkowitz in Wien [01] 16:26 Allegro con brio total time 44:16 Ensemble28 Daniel Grossmann, Dirigent |
Pressestimmen:
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